Kapitel 11: Konflikt

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„Du willst mir also sagen, dass dieses Drecksstück, das unseren Vater getötet hat, kein Mensch war?" fragte Lucius mit tiefer, verärgerter Stimme.

Anna fing, durch Lucius' Blick schon leicht an zu zittern: „N-Nein, Xobar könnte jeder sein! Nur das Buch ist lediglich von den Kylak erschaffen worden!"

Sein Kopf sank erneut nach unten: „Kylak...euer Volk ist nichts weiter als ehrenlos und feige. Ihr benutzt dunkle Magie und tötetet unsere Liebsten. Solangsam begreife ich, warum meine Rasse gegen eure gekämpft hat."

Norlan fühlte sich irgendwie angesprochen. Nach einer stillen Minute richtete sich Lucius' Kopf wieder auf und blickte in seine Richtung: „Ich werde euch ein für allemal ausrotten!" schrie er und rannte wutentbrannt auf Norlan zu. Dieser wusste nicht, wie er reagieren sollte und blieb vor Schreck stehen. Lucius ballte seine Faust, holte mit seinem starken Arm aus und schlug mit geballter Kraft auf sein rechtes Auge. Er flog regelrecht nach hinten und landete auf dem kalten, steinharten Boden des Thronsaals.

Vor Schmerzen hielt er mit der rechten Hand sein Auge zu und streckte seinen Linken zu Lucius, um Abstand zu signalisieren: „Hng. Warte Lucius, nicht!"

Doch Lucius hörte nicht auf ihn. Die Kylak waren Schuld am Tod seines Vaters und dem von vielen anderen hilflosen Menschen. Er wollte sie töten. Alle. Und Norlan zu töten, auch wenn er nur zur Häfte einer von ihnen war, sollte sein erster Akt als neuer König sein. Und der letzte für die Kylak.

Mit schweren Schritten ging er auf den liegenden Halbkylak zu. Sein Köcher wackelte, als er den Pfeil rauszog mit dem er ihn erstechen wollte. Fest nahm er den Pfeil in die Hand, stieß Norlans Arm beiseite und beugte sich zu ihm runter: „Es tut mir leid. Ich dachte wir wären Freunde, aber du und dein Volk lasst mir keine andere Wahl."

Schnell holte er weit zum tödlichen Schlag aus, jedoch ergriff jemand sein Handgelenk: „Es reicht, Lucius."

Der junge Prinz zuckte an dem festen Griff, doch es nutzte nichts. Sein Kopf sah auf und drehte sich nach hinten: „Lass sofort los, Schwester." forderte er drohend. Doch Fina ließ sich davon nicht beirren: „Vater hätte nicht gewollt, dass-"

Plötzlich ruckte Lucius seinen Arm stark um sich loszureißen, wobei die Spitze des Pfeils in seiner Hand, eine tiefe Wunde durch Finas Unterarm schnitt: „Ich sagte, LASS MICH LOS!"

Ihr Atem stockte. Stemmend presste sie ihre Hand gegen die Schnittwunde. Unregelmäßige Atemzüge setzten ein, so als wenn sie eine Art Wut verspürte. Sie liebte ihren Bruder, doch musste sie ihn einfach aufhalten. Sie konnte ihn nicht einfach die letzte Hoffnung der Menschheit töten lassen. Eine unerbittliche Kraft durchdrang ihren Körper. Pure Macht floss durch ihre Adern. Auch, wenn es ihr Bruder war, er musste um jeden Preis gestoppt werden.

Lucius interessierte sich nicht für das, was er seiner Schwester angetan hatte. Gleich darauf blickte er wieder zu Norlan, bereitwillig ihm endlich den Todesstoß zu geben. Doch etwas Kräftiges packte ihn an der Schulter.

Mit Schwung riss ihn jemand nach hinten, quer durch den Thronsaal. Erst einige Meter von Norlan entfernt kam er schmerzhaft auf den Boden auf und ließ den Pfeil aus seiner Hand fallen. Als er aufblickte wurde ihm klar, was ihn so geschleudert hatte. Oder besser gesagt, wer ihn geschleudert hatte.

Er erblickte Fina. Ihre Augen leuchteten stark, wie der Mondschein in eiskaltem Blau und ihre Hände waren keine Hände mehr. Konzentriert blickte Lucius darauf. Es waren Klauen. Dunkelgrün und ledrig, schon fast schuppenartig. Fünf dünne, gewetzte Finger hingen daran herunter. Doch nicht nur das war anders. Etwas hinter Fina war zu erkennen. Weiß und kaum von der Rüstung, die sie immer trug, zu unterscheiden. Waren das etwa...Flügel?

Verärgert blickte Fina auf Lucius. Ihre Augen waren leer, abgesehen vom hellen Schein, den sie erzeugten. In schnellen Schritten ging sie auf ihn zu, während alle anderen im Raum ihren Augen nicht trauen konnten. Niemand hielt sie auf und Lucius blieb vor Angst hilflos liegen. In ihrem graziösen Gang erstreckten sich die großen, weißen Gebilde hinter ihr. Majestätische Flügel, bestückt mit schimmernd weißen Federn, welche im Kronleuchterlicht jedoch etwas gelblich zu sein schienen.

Mit einem Arm packte sie Lucius am Kragen und hob ihn mit Leichtigkeit hoch. Obwohl er größer als sie war, hingen seine Beine zappelnd in der Luft. Mit beiden Armen versuchte er sich krampfhaft von ihrer Faust zu lösen, doch es brachte nichts.

Norlan rappelte sich währenddessen wieder auf und beobachtete die ganze Szenerie. War das wirklich Fina? Was könnte sie zu diesem Wesen gemacht haben oder war es doch bloß Magie? Irgendetwas sagte in ihm, dass es bestimmt nicht nur bei einer Zurechtweisung bleiben sollte. Sie schien völlig außer Kontrolle.

Tief blickte Fina in Lucius' Augen. Ihr Schein erleuchtete sein verängstigtes Gesicht hellblau und mit einer fast mechanischen Stimme sprach sie zu ihm: „Du, der unser aller Hoffnung und Kamerad infrage stellst. Du, der seinen Freund nicht vertraut und die Tore der Vernunft geschlossen hältst . Du, Prinz von Dy...Bruder, ich will nicht...du wirst dafür büßen, seinen Lebenssinn beendet haben zu wollen und in die endlosen Abgründe der Hölle fahren. Heleaster tum pabisae."

Mit diesen Worten hob sie langsam ihren klauenbesetzten Arm, willig Lucius' Gedärme zu durchstoßen. Norlan hatte nebenbei bemerkt, wie sie kurzzeitig etwas anderes gesagt hatte, so als würde sie die Kontrolle kurz wiedererlangt gehabt haben.

„Nein, Schwester, bitte!" presste er. Fina jedoch erkannte nicht, dass es zu weit ging. Innerlich kämpfte sie dagegen an, doch es half nichts. Sie war nicht stark genug.

Norlan bemerkte sie gefährliche Lage und sprintete daraufhin zu der Kreatur, die sich Fina nannte. Auch Wilhelm war nun bewusste, dass er sich gegen die Prinzessin stellen musste, wenn er Lucius retten wollte. Trotzdem würden sie es nicht schaffen sie aufzuhalten. Die wenigen Meter Abstand reichten, um den Prinzen nicht mehr retten zu können bevor Fina ihn töten würde. Es war zu spät.

„Digleo can!" rief Anna und schoss präzise einen kleinen Blitz aus ihrer Hand direkt auf Fina, welche daraufhin die Klaue langsam wieder sinken ließ. Sie wurde müde, der Schein aus ihren Augen verblasste, die Beine wurden schwach. Schwankend ließ sie Lucius los und fiel schlagartig auch selbst zu Boden, doch Norlan konnte sie noch auffangen. Ihre Flügel und Klauen zerfielen zu einer fast schon schönen glitzernden Staubmenge. Doch auch der Staub verflog nach wenigen Sekunden und löste sich auf. Übrig blieb nichts. Wilhelm half kurz darauf Lucius wieder auf die Beine. Sie zitterten, der Schock saß tief. Seine eigene Schwester wollte ihn eben umbringen.

„Das sollte sie erst mal ein wenig schlafen lassen." sagte Anna aufatmend. Inzwischen versammelten sich alle Anwesenden um Lucius und oder schlafenden Fina.

„Mein Lord, ist mit ihnen alles in Ordnung?" fragte Wilhelm besorgt. Lucius nickte und wirkte wie betäubt.

„Oh Götter, i-ist mit Fina auch alles in Ordnung?!" stotterte Gwen angstschlotternd. Anna bückte sich runter zu Fina in Norlans Armen und begutachtete sie: „Keine Sorge, auch mit ihr ist alles in Ordnung soweit ich das beurteilen kann."

„Das sah aber gerade ganz anders aus!" brummte Isaac, welcher mit verschränkten Armen zwischen der zierlichen Anna und Gwen stand.

Nach all dem Trubel fiel Norlan eine Sache wieder ein: „Anna, weißt du, was Fina da eigentlich vorhin gesagt hat? Diese...andere Sprache?"

Anna legte ihre Hand auf Finas und sah schwerfällig zu ihm rüber: „Das war eine alte, längst vergessene Sprache aus dem Westen Dyarachs. Sie sagte 'Zu Ehren der Pabisa' " 

Kylak's WarWo Geschichten leben. Entdecke jetzt