Die dunkelbraune Klinge aus Holz zielte genau von rechts auf Norlans Arm. Mit einem parierenden Block schützte er jedoch seinen Arm vor einem weiteren blauen Fleck.
„Das geht noch besser." sprach Wilhelm mit ausdruckslosem Gesicht und schlug weiter auf Norlan ein, welcher jeden Schlag erfolgreich parierte und abwehrte. Nachdem schon fast zwei Monate vergangen waren, verbesserten sich seine Reflexe und Kraft enorm. Inzwischen freundete er sich sogar langsam mit Wilhelm an, auch wenn dieser es nie zugeben würde. In den zwei Monaten zeigte sich, dass Wilhelm ein einigermaßen gefühlskalter Mensch war und anscheinend einen Ordnungsfimmel hatte. Bisher hatte er Norlan auch noch nie gelobt oder zeigte irgendwelche Anzeichen von Fröhlichkeit oder Zufriedenheit.
Plötzlich stoppte Wilhelm seine Angriffe:„So, das reicht."
Norlan ließ die Arme sinken. In seinen Händen hielt er ein nachgemachtes Schwert aus einem Holz, welches es in seiner Welt nicht gab und dessen Namen er vergessen hatte. Es war schwer den Griff mit seinen schwitzigen Händen festzuhalten, aber er gab sein Bestes. Ohne Worte schaute Wilhelm in seine großen Augen und nahm ihn sein Schwert ab. Dann kehrte er sich um und ging zu dem Waffenständer, welcher sich an der Wand der kleinen steinernen Trainingshalle befand. Hier trainierten sie nur, wenn es draußen zu kalt oder das Wetter unerträglich war (obwohl das Fina manchmal herzlich egal war).
Der große Ritter stellte das Holzschwert an seinen Platz und nahm zwei massive Eisenschwerter an seine Brust. Norlan wusste schon genau, dass ab hier der Spaß aufhörte. Als Wilhelm wieder bei ihm war, überreichte er ihm eines der beiden Schwerter: „Hier, nimm."
Er gehorchte und nahm das Schwert, welches von Wilhelm anscheinend so gut gesäubert war, dass es sein Gesicht spiegelte und im Schein, des von den Wolken verdunkelten Licht, glänzte. Doch als das Schwert in seinen Händen lag, bemerkte Norlan, dass es gar nicht so schwer war, wie es aussah.
„Plobarium-Eisen. Handgeschmiedet von unserem Isaac. Es ist leichter, als normales Eisen, aber dafür auch zerbrechlicher. Das hält mich aber nicht davon ab, dir die Gliedmaßen abzuschlagen, wenn du nicht parierst, verstanden?" drohte Wilhelm mit tiefer brummiger Stimme und blickte auf Norlan herab.
Wenn er auch nur einen Fehler machte, war es aus. Wie in einem echten Kampf. Doch ihm waren die Holzschwerter doch irgendwie lieber: „Ähm, ist das unbedingt notwendig? Ich meine, wenn ich nicht schnell genug reagiere könntest du mich-"
„Töten. Und genau das werden die Speichellecker von Xobar machen, wenn du nicht weißt, wie man mit einem echten Schwert zu kämpfen hat. Deine Fähigkeit im Schwertkampf ist nun soweit ausgereift, dass ich diesen Schritt gehen muss. Also, hör auf zu jammern und kämpfe!" sagte er mit zornigem Ausdruck, ging ein paar Schritte rückwärts und stellte sich bereit zum Kampf. In seinen grau-grünen Augen brannte die Kampfeslust.
Mit pochendem Herz ging Norlan ebenfalls ein paar Schritte zurück und machte sich für den Kampf bereit. Er atmete einmal tief aus und danach wieder langsam ein. Nun durfte kein Fehler mehr geschehen, sonst wäre er geliefert. Ein Moment der Ruhe kehrte ein. Bis Wilhelm aufschrie: „Los!"
Der große glatzköpfige Mann rannte auf den Anfängerkrieger zu und holte mit seinem Schwert zum ersten Schlag aus. Norlan hingegen blieb stehen. Er durfte jetzt nicht zu aufgeregt sein, das würde ihm vielleicht das Leben kosten.
Unterstützt mit einem lauten Brüllen, sauste das scharfe Stück Eisen auf Norlan zu. Er konzentrierte sich, beobachtete nicht nur Wilhelms Schwert, sondern auch seinen Körper. Dieser Schlag ging wohl von links oben nach rechts unten, vermutete er. Auch, wenn das Schwert von Wilhelm mit rasender Geschwindigkeit auf Norlan zukam, kam es ihm schon fast wie eine Zeitlupenbewegung vor.
Gerade als er seine Klinge zum Parieren gegen die von Wilhelm heben wollte, erinnerte er sich an das, was sein Lehrer ihm eben über die Schwerter sagte. „Zerbrechlicher" fiel es Norlan wieder ein, woraufhin er nicht parierte, sondern nach rechts ausweichte und abrollte. Wilhelms Schlag ging ins Leere. Er musste einen Weg finden, die Schläge seines Gegners nicht zu parieren, sondern sie irgendwie weiterzuleiten.
Blitzschnell versuchte Norlan die Rippen zu treffen, welche gerade einen guten Angriffspunkt dienten. Doch Wilhelm erkannte dies und konterte seinen Schlag mit einer Kombination aus Schwerthieben, denen es schwer war auszuweichen. Immer wieder musste Norlan sich entscheiden, ob er nun parieren oder ausweichen sollte. Meistens geschah Letzteres, weil Wilhelms Schläge sein Schwert einfach zerbrochen hätten. Nur wenige Male konnte er die Chance eines Konters nutzen, welche jedoch allesamt immer wieder von seinem Gegner abgewehrt wurden.
Im Laufe des Kampfes jedoch fiel ihm etwas ein. Es konnte zwar schief gehen, aber er musste es wenigstens versuchen, wenn der Kampf nicht ewig so weitergehen sollte.
Mittlerweile war es ein ständiges Hin und Her der beiden Krieger. Nun verrieten Wilhelms Armbewegungen, dass er einen Schwertstoß vollführen wollte. Das war die Gelegenheit. Wenn Norlan es jetzt richtig hinbekommen würde, hätte er gewonnen. Also dachte er nicht lange nach und weichte dem Stoß aus und ließ seine Klinge an Wilhelms entlang gleiten, sodass Funken sprühten. Mit einer großen, fließenden halbmondförmigen Bewegung seines Schwertes, Klinge an Klinge, ließ er Wilhelms Schwert nach rechts aus dessen Hände fliegen. Mit lautem Scheppern fiel sein Schwert zu Boden und Norlans Schneide flog intuitiv direkt zu Wilhelms breiten Kopf. Kurz bevor sein Schwert den Kopf traf, bremste er ab und verharrte in dieser Position. Eine paar Sekunden lang war nichts als das Keuchen, der Erschöpfung, beider Kämpfer zu hören.
In Wilhelms Gesicht war ein leichter Ausdruck von Verblüfftheit und Zufriedenheit zu erkennen: „Dachte schon, du kommst nie drauf."
Mit einem zufriedenen und erleichterten Grinsen ließ Norlan das Schwert sinken.
„Manchmal ist es besser die Angriffe des Gegners gegen ihn selbst zu verwenden. Damit du das erkennen konntest, musste ich dich unter Druck setzen." sagte Wilhelm. Norlan erkannte, dass Wilhelm Recht hatte. Er nickte anerkennend.
Ein kleines Knarren der einer Holztür war zu hören und Gwen lugte hervor: „Meine Herren, ihre Trainingszeit ist vorüber. Norlan sollte zu seinen letzten Trainingsstunden mit Fina gehen."
„Na da hast Du's gehört. Gib mir das Schwert und geh, sonst brüllt mich Fina wieder voll." forderte der bärtige Mann ihn auf.
„Natürlich, sofort." entgegnete Norlan, übergab Wilhelm sein Schwert und ging mit schweißnassen Sachen und Haaren geradewegs zur Ausgangstür der Halle. Wilhelm blieb an Ort und Stelle und blickte das Schwert in seinen Händen an: „He, Kleiner!"
Kurz bevor er hinausgehen wollte, vernahm er Wilhelms Ruf: „Ja?"
Der wortkarge Ritter blickte über seine Schulter zu Norlan: „Gut gemacht."
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Kylak's War
FantasyDas Schicksal einer Welt liegt im Herzen eines Helden ~ Der Krieg verwandelt das einst so schöne Reich Dyarach voller Magie, fremdartigen Kreaturen und ungeahnten Möglichkeiten in ein Schlachtfeld voller Elend, Blut und Tod. Als Auserwählter einer P...