Kapitel 9.2: Fragen über Fragen

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Es waren bereits einige Tage vergangen und Norlan gewöhnte sich langsam an die Umgebung und Gepflogenheiten der Leute in Dyarach. Der Morgen durch die Albträume und der Alltag durch das Training wurden zwar hart, aber er wusste, dass er nur so Xobar vernichten konnte und dass so hoffentlich endlich diese Albträume ein Ende nahmen. Das Grundwissen über die verschiedenen Trainingseinheiten hatte er schon fast vollständig erworben. Anna gab ihm über die Tage ein Buch, was er durchzulesen hatte und sollte sich mit den Grundbegriffen der Magie vertraut machen. Es erinnerte Norlan an seine Zeit in der Schule, wo die Schüler jedes Jahr mindestens ein Buch lesen musste. Bloß er war lediglich immer derjenige, der sich nicht das Buch, sondern sich in der Zeit vor dem Test über dem jeweiligen Band eine Inhaltsangabe durchlas und hoffte dies würde reichen. Erfolg erzielte er mit dieser Methode jedoch meistens nicht und das ließen ihn seine Deutschnoten spüren. Dass diese Zeit aber um war, wusste Norlan und quälte sich tagelang durch die todlangweiligen Seiten des rund 200 Seiten großen Werks.

Nach dem schweren Muskeltraining mit Isaac heute, würde eine schön ruhige Trainingseinheit bei Anna ihm sicher gut tun, dachte er sich. So ging Norlan also zurück in den Bergfried geradewegs zu Annas Zimmer und klopfte zweimal bis eine hohe Stimme „Herein!" rief. Er machte die Tür auf und sah Anna, wie sie etwas in den Regalen voller Bücher suchte. Als sie sich zu ihm wandte, fing sie an zu grinsen: „Hallo Norlan, hast du das Buch, welches ich dir gab gelesen?"

Norlan nickte: „Ja, hab ich und...oh." Ihm fiel auf, dass er das Buch in seinem Zimmer auf dem Holztisch vergessen hatte.

„Und du hast es vergessen, richtig?" fragte Anna ergänzend nach und ihr Grinsen verschwand.

„Äh, richtig. Entschuldige, ich bringe es dir morgen, versprochen." sagte Norlan mit ängstlicher Mine. Hoffentlich würde sie nicht sauer werden.

„Ach, macht doch nichts. Mir egal wann du es mir wiedergibst, Hauptsache ich bekomme es irgendwann wieder." kicherte Anna daraufhin.

„Na denn." Antwortete Norlan erleichtert. Er war allgemein schon etwas vergesslich und musste sich manchmal für fehlende Materialien in der Schule entschuldigen. Doch Anna war viel gelassener (und klüger), als die Lehrer auf seiner Schule, welche ihm nur mit Beschuldigungen und Provokation entgegentraten. Anna war nicht so. Sie war lustig und brachte Norlan in den paar Tagen gefühlt mehr bei, als seine Lehrer in den ganzen letzten Schuljahren. Ihre permanente Fröhlichkeit und Neugier machten sie zu einem lebensbejahenden Menschen.

Zielstrebig suchte Anna noch immer. Ihre Augen wanderten von Buch zu Buch und bald hatte sie auch dieses Regal vollständig abgesucht. Norlan ging derweil zu ihr rüber und fragte: „Soll ich dir irgendwie helfen, Anna?"

„Nein, ich suche bloß...ach egal. Komm, ich zeig dir, wie du deinen ersten Zauber wirken kannst!" sagte sie und lief zum Podest in der Mitte des Raumes. Ihre langen blauen Haare glänzten im weißen Licht der schwebenden Kugel.

„OK. Könnte ich dich vorher aber noch was fragen?" rief Norlan ihr hinterher. Mittlerweile wusste Anna schon, was OK bedeutete. Sie drehte sich um: „Klar, was ist los?"

„Kann es sein, dass du irgendwie ein Auge auf mich hast oder so?" fragte er. Ihm fiel es schon seit dem ersten Abendmahl auf, dass Anna besonders ihn in ihr Blickfeld einschloss und beobachtete.

„Ich möchte dich nicht anlügen. Ja, ich beobachte dich wenn wir essen oder wann wir uns sonst sehen."

Norlan wurde nachdenklich: „Aber warum?"

Sie dachte kurz nach und redete weiter: „Du bist der Auserwählte, das ist klar. Klar, ist aber nicht, ob man dir vertrauen kann. Diese eine Sache beschäftigt mich seit du hier bist."

„Du kannst mir doch vertrauen! Ihr alle könnt mir vertrauen!" sagte Norlan und versuchte so überzeugend, wie möglich zu klingen.

„Bleib ganz ruhig, Großer! Noch hast du nichts getan, was mich glauben lässt, dir nicht zu vertrauen. Bevor du aber fragst: Nein, ich kann nicht aufhören dich zu beobachten." Grinste sie wieder.

Norlan atmete auf. Er musste es wohl so hinnehmen, dass jemand ihn beim Essen ständig anguckte.

„Erstaunlich finde ich aber noch was anderes." dachte Anna laut nach.

„Na?"

„Du bist der Sohn des Kylak, der vor 1000 Jahren die Menschheit zum Herrscher über Dyarach machte. Aber wir können ausschließen, dass deine menschliche Mutter über 982 Jahre lang mit dir schwanger war. Folglich gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder dein Vater schickte deine Mutter mithilfe dunkler Magie in eure Welt, in der die Zeit sehr viel schneller vergeht als in Unserer oder deine Mutter lebte bereits in eurer Welt und dein Vater reiste dorthin. So oder so vergeht, wie gesagt, in eurer Welt die Zeit schneller als in Unserer und das enorm. Aber genug mit sowas. Dürfte ich dich im Gegenzug was fragen, was ich eigentlich schon gestern machen wollte?"

„Natürlich." entgegnete er, während er über das nachdachte, was Anna gesagt hatte.

Auf einmal wurde ihr Grinsen noch breiter und sie kicherte ein wenig: „Du magst Fina, nicht wahr?"

Norlan wurde rot. Naja, nachdem sie ihn die ganze Zeit immer beobachtete, war es auch kein Wunder, dass sie es herausfand, dachte er für sich. Anna sah wie er nur wortlos mit rotem Gesicht vor ihr stand: „Ha, ich hab's doch gewusst! Soll ich ihr sagen, dass du sie magst?" fragte sie mit lockendem Blick.

„Oh Gott, nein, bitte nicht!" rief Norlan vor Schreck.

Anna lachte auf: „Haha, keine Sorge dein kleines Geheimnis ist bei mir sicher. Weißt du, unter ihrer harten Schale verbirgt sich ein weicher Kern. Sie ist die einzige, die mir immer Gesellschaft leistete, wenn sie Zeit hatte. Wenn ich mich nicht täusche, ist sie nur ein bisschen älter als du, aber kein ganzes Jahr. Ich würde sogar behaupten, dass ihr super zusammenpasst."

Norlan wurde schon leicht neugierig: „Denkst du das wirklich?"

„Ja klar, aber denn müsstest du dich da mehr reinhängen! Sie ist ein sehr komplizierter Mensch."

Seine Freude stieg, als er von Anna hörte, dass er und Fina möglicherweise ein gutes Paar abgeben würden. Vielleicht schaffte er es auch irgendwie sie aus ihrer harten Schale rauszulocken. Aber um über sowas nachzudenken war schlichtweg keine Zeit, es war schließlich Krieg. Er erinnerte sich aber noch an das, was sie zuvor gesagt hatte: „Warte mal, du hast keine Freunde, außer Fina gehabt?"

„Exakt. Als ich letztes Jahr vom ehemaligen obersten Meistermagier, als seinen Nachfolger ernannt wurde und hierher kam, wollte niemand mit mir etwas zu tun haben. Es zählte nur mein Nutzen, nicht mein Wille. Aber dann kam Fina. Sie war mein einziger Gesprächspartner und sie vertraut mir mehr als jeden anderen und andersherum."

Das erinnerte Norlan traurigerweise an ihn selbst, nur dass dieser einzige Gesprächspartner seine Mutter war und niemand in seinem Alter. Er hatte nie wirkliche Freunde.

„So, soll ich dir jetzt endlich mal den Zauber beibringen? Wir haben wieder viel zu lange geredet."

Norlan wachte aus seinen Gedanken auf und willigte ein: „Ja, ich denke du hast recht. Bring mir die Kunst der Magie bei!"


Kylak's WarWo Geschichten leben. Entdecke jetzt