t w e n t y s e v e n

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Ich trat aus dem Laden mit der schwarzen Fassade heraus und rieb mir meinen linken Arm. Er brannte ein bisschen, aber es war nichts im Vergleich zu dem Brennen, das ich verspürt hatte, als Thomas mich geprägt hatte. Er hatte die Stelle freigelassen, an dem später das Symbol für meine Ausbildung eingefügt werden würde. Zum ersten Mal betrachtete ich die Stadt genau. Ich sah zwar viel Asphalt, und wenig Natur, aber wenn man über diese Äußerlichkeiten hinwegsah war die Stadt wunderbar. Die Leute, die Gebäude, die Magie.

Gerade die Magie. Man spürte sie in der Luft, um Himmel, in der Straße, in den Menschen.

Ich schlenderte die Straße entlang zurück. Ich konnte es mir sparen, den richtigen Weg zurückfinden zu wollen, denn mein Orientierungssinn war eigentlich, bis auf die Situationen, in denen ich ausnahmsweise mal wusste, wo es langging, total grottig. Also lief ich ein wenig durch die Stadt und sah mir die Straßen, die Läden und vor allem die Leute an. Ich stoppte meine langsamen Schritte vor einem kleinen Café mit dem Namen 'Sun Café'. Ich hatte Hunger, da ich seit dem Frühstück nichts mehr gegessen hatte. Und das war bestimmt schon vier Stunden her. Ich lenkte meine Schritte auf die marineblau gestrichene, gläserne Ladentür zu und drückte sie auf. Ein leises Bimmeln ertönte, und ich trat ein. Es war schön hier drinnen, alles war in maritimen Farben gehalten. Als ich mich auf die Sitzbank des letzten Tischs am Fenster gesetzt hatte, blickte ich durch das Glas auf die Straße. Es sah hübsch aus draußen, und ich fragte mich, was wohl meine Mum dazu gesagt hätte, würde sie mich hier sitzen sehen. Würde sie stolz auf mich sein? Traurig? Oder würde sie denken, dass ich verrückt wäre und mir das alles nur einbildete? Ich wusste es leider nicht.

Wie ging es ihr wohl dort, wo sie jetzt war? in dem Korridor mit den vielen Türen und dem Licht am Ende? Und wieder konnte ich nur sagen, dass ich es nicht wusste. Ich hätte es so gerne gewusst. Was ich mir wünschen würde, wenn ich einen einzigen Wunsch freihätte, hatte Rose mich mal gefragt. Ich hatte nicht mit Reichtum oder Berühmtheit geantwortet. Ich hatte gesagt, dass ich alles dafür tun würde, dass meine Mum nie gestorben wäre. Alles. Aber alles war leider nicht genug, denn keine Macht der Welt konnte Menschen von den Toten erwecken. Egal, was ich tun würde, wenn ich denn würde. Sie war tot. Und tot ist tot. Man stirbt seinen Tod nicht umsonst, denn wenn man leben sollte, dann wäre man nicht gestorben. Aber warum musste sie sterben?, fragte ich mich, immer und immer wieder. Sie hatte nichts Böses getan, war immer ein guter Mensch gewesen. Sie hatte nie jemanden umgebracht oder beraubt, nie geschlagen oder gestohlen. Warum sie? Diese Frage wurde ich nicht los, und ich würde sie auch nie loswerden. Diese Frage, die mich Nacht für Nacht quälte, diese Frage würde ich erst vergessen können, wenn ich die Antwort darauf finden würde. Was aber bedauerlicherweise schlicht unmöglich war.

Ich spürte eine Hand auf der Schulter und schreckte hoch. Eine rundliche Dame mit freundlichem Gesicht, grauen Haaren und Lachfältchen um die braunen Augen sah mir freundlich entgegen. ,,Hallo, Schätzchen. Bist du etwa alleine hier? Willst du etwas zu essen oder zu trinken, meine Liebe?" Überrascht von ihrer Fürsorglichkeit fragte ich zaghaft: ,,Oh, ähm, ja, ich bin alleine hier. haben sie vielleicht eine heiße Schokolade?"

Sie lächelte immer noch. ,,Natürlich Liebes, ich bring sie dir gleich, ja?" Ich nickte.

Ihre Fürsorglichkeit erinnerte mich in gewisser Weise an Jake. Was würde er sagen, wen er mich hier sitzen sähe? Durchzogen von Zweifeln und fragen, auf die es keine Antworten gab? Er würde sich neben mich setzen, mich fest umarmen und mir sagen, dass alles wieder gut werden würde, und dass ich mir nicht so viele Sorgen machen solle. Dann würde er mich an der Hand nehmen und aus der Tür ziehen, um draußen in der Welt etwas zu erleben anstatt nur hier zu sitzen und sich Dinge zu fragen, auf die Niemand eine Antwort wusste.

Es war nicht so, dass ich keine Freunde hatte. Ich hatte nicht so viele, aber dafür die richtigen Freunde, und mehr brauchte ich auch nicht. und trotz meiner Freunde und meiner Familie saß ich hier nun alleine. Ich saß hier alleine und machte mir zu viele Gedanken über das Leben.

Ich raffte mich auf und fasste einen Entschluss. Ich würde jetztgleich meinen Kakao austrinken und mich auf den Weg zu dem Mädchen machen, das über die Unsichtbarkeit herrschte. Dann würde ich zu meiner neuen zweiten Schule, wenn man es so nennen konnte, zurückkehren und nach Chris suchen, immerhin wollte ich so langsam auch mal meine Ausbildung wählen und einen Stundenplan bekommen. Und nicht zu vergessen und fast noch wichtiger für mich , einen Stadtplan.

Die alte Dame brachte meine heiße Schokolade, ich bedankte mich, trank sie aus und bezahlte sofort. eilig verließ ich das Café, um meinem frisch entstandenen Plan auszuführen. Leider hatte ich keine Ahnung, wo Chris' Büro war, aber fragen kostete mich ja wohl nichts, oder?

Ich ging also auf einen Passanten zu, einen Mann um die Vierzig, und fragte zaghaft: ,,Entschuldigen sie, können sie mir sagen, wie ich zum Büro von Chris komme?"

Was hatte der Mann denn? Ich hatte doch nur ganz freundlich gefragt, ob er den Weg zum Büro kennen würde?! Nun gut, dann würde ich es eben nochmal versuchen. Diesmal steuerte ich auf eine junge Frau mit Handtasche zu und fragte wieder das gleiche wie bei dem Mann davor, nur dass ihre Reaktion sehr viel positiver ausfiel. ,,Zum Büro von Christopher Wright? Das ist ganz einfach. Du gehst Einfach diese Straße hinunter. An der ersten Kreuzung biegst du rechts ab, und in dieser Straße suchst du dann das größte Hochhaus in der Straße. Es ist komplett verglast. Dort fährst du mit dem Aufzug bis ganz nach oben. Hast du alles verstanden?" Ich nickte und bedankte mich höflich bei ihr. Sie lächelte und eilte weiter die Straße entlang. Ich ging ebenfalls geradeaus, jedoch in die Richtung, in die die Frau eben gezeigt hatte, und nicht in die, in die sie selber gegangen war. An der Kreuzung ging ich, wie die Frau mir empfohlen hatte, nach rechts und kam in eine lange Straße, die mir irgendwie bekannt vorkam. Das Bürogebäude fand ich schnell, denn es war sehr auffällig, weil es eben das größte war und auch noch komplett verglast, genau wie die Frau es beschrieben hatte. Ich atmete einmal tief nervös durch. Was wäre, wenn ich ins falsche Stockwerk fuhr oder am falschen Büro klingelte? Was wäre wenn es so unfreundliche Menschen wären wie der Passant vorhin, die mich einfach aus dem Büro schmeißen würden? Mach dir nicht so viele Gedanken, Zoe, Sagte ich mir, während ich das elegante Gebäude betrat.











Die Schattentänzerin | AbgebrochenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt