t w e n t y n i n e

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Diesmal entgleisten seine Gesichtszüge nicht so wie vorhin beim Präger, aber sie wurden schlaff und emotionslos.

Seine Stimme war genau so kalt wie der Ausdruck in seinem Gesicht. ,,Ich habe ihnen das bereits einmal erklärt, und ein zweites Mal werde ich das nicht tun.

Du gehst nicht zurück. Das hier ist dein Leben. Du musst dich von deiner Familie und deinen Freunden fernhalten. Du hast eine ohnehin machtvolle Fähigkeit, und ich spüre etwas bei dir, was ich nicht deuten kann. Es schlummert in dir und ist jederzeit bereit, aufzuwachen und loszugehen. Du bleibst hier."

Ich erstarrte, und meine Gedanken wirbelten durch meinen Kopf. Er machte doch wohl einen schlechten Witz, oder?!

Natürlich würde ich zurückgehen, dieser lahme Abschied am Samstag würde nicht mein letzter gewesen sein.

Außerdem war es nicht so abgemacht. Der Deal waren zwei Wochen gewesen, zwei mickrige, verdammte Wochen. Kein ganzes Leben.

Er musste mich auf den Arm nehmen.

,,Nein. Nein! Sie nehmen mich doch auf den Arm! Sie müssen mich doch auf den Arm nehmen!" Meine Stimme überschlug sich mitten im Satz und hörte sich jetzt schrill und entsetzt, nein, ungläubig an.

Er schüttelte den Kopf. ,,Nein, Bronx. Das war mein voller Ernst. Sie wählen jetzt eine Ausbildung und dann bleiben sie hier."

Ich stand, ungläubig den Kopf schüttelnd, auf und entfernte mich rückwärtsgehend von ihm.

,,Warum?", fragte ich mit erstickter Stimme.

,,Sie sind gefährlich."

,,Guter Witz", kommentierte ich emotionslos. Er seufzte vernehmlich und sagte überdeutlich, aber mit einfühlsamem Tonfall: ,,Zoe. Ich habe doch dein Portal gesehen, und dumm bin ich auch nicht. Warum ist es schwarz?" Ich zuckte nur mit den Schultern und sagte gar nichts, dann erhob ich mich und machte mich auf den Weg zur Tür. ,,Bronx! Wo wollen sie hin?" Ich schwieg beharrlich, verließ den Raum und schlug die Tür hinter mit zu. Undeutlich hörte ich noch seine Stimme hinter mir, die irgendetwas brüllte. Stumm ging ich an seiner Sekretärin vorbei und warf einen Blick auf sie. Doch ich blickte nicht in das Gesicht der Frau von eben, sondern in das von Scarlett. Sie starrte mich an, doch ich wandte meinen Blick ab und lief aus dem Büro. Der Aufzug war nicht da, und ich wollte nicht lange warten, außerdem hatte ich die Befürchtung, dass Chris mir nachkommen würde, denn ich hörte hastige und schwere Schritte hinter mir. Ich stolperte die Treppe hinunter, nahm immer zwei Stufen auf einmal, doch schon nach kurzer Zeit knallte über mir eine Tür und ich hörte eine wütende Stimme brüllen: ,,Bronx! Kommen sie gefälligst zurück!"

Ich machte nicht die geringste Anstalt, zurückzukommen, im Gegenteil, ich beeilte mich nur mehr. Nach mehreren Sekunden Stille, in der nur meine hastigen Schritte zu hören waren, trommelten schwere Schritte auf die Stufen über mir. Chris folgte mir, und seinen Schritten nach zu urteilen war er deutlich schneller als ich und kam dementsprechend immer näher. Ich wusste, dass ich schlichtweg nicht schnell genug war, um davonzukommen, also musste ich es irgendwie anders machen. Als ich rennend um die nächste Ecke bog, erblickte ich eine erschrocken dreinblickende Putzfrau, die gerade eines der riesigen Fenster putzte, welches deshalb sperrangelweit offen stand. Abrupt bremste ich ab, da ihr vollbeladener Putzwagen den ganzen Gang versperrte.

Gehetzt blickte ich mich um, und die Frau war anscheinend so verschreckt, dass sie sich nicht mehr bewegen konnte. Jetzt musste ich mir etwas anderes überlegen. Mein hektischer Blick fiel auf das weit geöffnete Fenster unter dem es mindestens dreißig Meter in die Tiefe ging. Ich schluckte, mein Atem ging schnell und mein Hals war trocken. Aber es gab keinen anderen Ausweg, und die schweren Schritte kamen immer näher. Kurz entschlossen nahm ich Anlauf und stürzte mich aus dem Fenster, hinter mir hörte ich den entsetzten Schrei der Putzfrau verhallen.

Die Luft wurde mir aus den Lungen gepresst, denn ich fiel. Aber ich durfte nicht fallen. Fallen bedeutete Tod. Der Boden kam immer näher, und ich versuchte, die Schwerkraft unter Kontrolle zu kriegen. Es wollte einfach nicht gelingen. Der Asphalt raste auf mich zu. Vor meinem inneren Auge sah ich mich schon zermatscht auf dem Asphalt liegen. Ich kniff meine Augen zusammen und bereitete mich geistig auf den Aufprall vor...

Dann blieb ich mit einem Ruck hängen.

Ich hing für einige Sekunden in der Luft, unfähig irgendetwas zu machen und gerade noch drei oder vier Meter über dem Boden. Dann ertönte oben am Fenster eine laute Stimme, und als ich hochblickte sah ich Chris, der ungläubig, aber auch machtlos am Fenster stand und mich anglotzte. Dann brüllte er laut und wütend ,,Bronx! Kommen sie sofort zurück!"

Ich versuchte, mich von dem Schock zu erholen. Ganz ruhig, sagte ich mir. Dir ist nichts passiert. Aber das wird es, wenn du nich schleunigst von hier wegkommst.

Also machte ich mich auf den Weg und stieg höher und höher. Die Gebäude unter mir wurden immer kleiner, und mit jedem Meter, den ich mich von dem Turm und Chris entfernte, wurde ich entspannter. Die anderen hatten ja wahrscheinlich alle noch Unterricht, also beschloss ich, zu meinem und Scarletts Zimmer zurückzufliegen.

Das war jedenfalls mein Plan gewesen, aber das Fenster war nicht offen, und meine Prägung war vermutlich noch nicht auf mich und somit mein Zimmer eingetragen, also konnte das Schloss mit dem Scanner nicht öffnen.

Aufgrund mangelder Alternativen landete ich kurzerhand auf dem Dach.

Hier saß ich jetzt schon mindestens eine halbe Stunde, und mir wurde langsam kalt. Auf dem Hof hatte sich, abgesehen davon, dass eine einzige Gestalt darübergehastet war, nichts getan.

Ich war gerade aufgestanden und ein paar mal hin- und hergelaufen, um die kälte aus meinen Knoechen zu vertreiben, da hörte ich auf einmal viele lajte Stimmen im Hof und sah wie eine Menge Jugendlich sich auf den Hof ergossen. Hoffentlich war der Unterricht jetzt zu ende, und ich konnte endlich ins Gebäude und mit Scarlett reden.

Nach zehn weeitern, eisig kalten Minuten war der Hof komplett leer und la genau so ausgestorben da wie zuvor. Diesmal sprang ich vorsichtshalber zuerst in die Luft und flog dann über die Kante. Ich ließ mich an den Fenstern vorbei nach unten sinken und erntete dabei ein Paar erstaunte Bli ke von den Bewohnern der Räume hinter den Fenstern an denen ich vorbeischwebte. Peinlicherweise musste ich auch noch in jedes Fenster hineinstieren, weil ich nicht mehr ganz genau wusste, in welchen Stock mein eigenes lag. Beim nächsten Fenster bekam ich einen fürchterlichen Schrecken, denn jemand stand auf der Innenseite, schaute heraus und war mir so nah, dass ich erschrocken zurückzuckte.

Es war Scarlett, und sie schaute mich mindestens so erschrocken an wie ich sie. Nach einer Schrecksekunde öffnete sie mit einem besorgten Geskch das Fenster und zog mich an einem Arm herein. Ann bestürmte sie mich mit Fragen. ,,Wo bist du denn gewesen? Und warum hängst du da draußen vor dem Fenster rum? Es ist doch saukalt!"

Ich rieb mir frierend über die Oberarme und beantwortete dann ihre Fragen. ,,Ich war erst beim Präger, und dann bei Chris. Und weil es im Begrif war, kein gutes Ende zu nehmen, hänge ich bei Eiseskälte erst auf dem Dach fest und dann vor meinem Eigenen Fenster rum."

Jetzt zogen sich ihre dicken Augenbrauen zusammen. Sie ließ nicht locker. ,,Was meinst du denn mit 'kein gutes Ende nehmen?! Aber warte, erklär es mir gleich, ich mach uns kurz Tee"

Als die Teebeutel dann schon in unseren Tassen gelandet waren und wir an ihren Schreibtisch saßen, erzählte ich ihr in allen Einzelheiten, was heute so passiert war.


Die Schattentänzerin | AbgebrochenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt