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Die Gesichter sämtlicher in der Notaufnahme befindlicher Leute hatten sich zu uns umgewandt und die Schwester am Info-Schalter hatte zu Hörer gegriffen und telefonierte, dem Anschein nach, mit einem Arzt, während sie uns mit besorgtem Blick ansah und wild gestikulierte.

Ich bemühte mich um einen panischen Gesichtsausdruck, was nicht so schwer war, denn ich geriet langsam wirklich in Panik.

Warum zur Hölle kam denn niemand?!

Ah, endlich, hinter der Ecke kam ein Arzt hervor. Er hielt mit schnellen Schritten auf uns zu und blieb dann stehen. Er begutachtete Zoe mit einem erfahrenen Blick, und als dieser die Wunde an ihrem Handgelenk sah, weiteten sich seine graubraunen Augen, er drehte sich hektisch nach hinten um und rief: "Eine Trage! Schnell!"

Als hätte sie schon die ganze Zeit dort auf ihren Einsatz gewartet, stürmte eine Krankenschwester mit Trage hinter der Ecke hervor. Sie sah aus, als wäre sie geradewegs einer schlechten Arztserie entsprungen.

Braune Haare, hinten im Nacken zu einem ordentlichen Knoten zusammengefasst, der keinen einzigen Zentimeter verrutscht war. Ein langer weißer Kittel und um den Hals ein rotes Stethoskop.

Und das alles gekrönt von einem weißem Häubchen mit rotem Kreuz.

Ich musste mich zusammenreißen, um nicht genervt die Augen zu verdrehen und zu seufzen.

Das hätte einen Riss in meiner Fassade verursacht.

Auf Geheiß des Arztes legte ich Zoe auf die Trage und die falsch-perfekte Krankenschwester schob die Trage in Richtung der OPs, wie mir ein in neutralem weiß gestaltetes Schild verriet, bis sie von dem Ruf des Arztes unterbrochen wurde.

"Trauma-Raum 1!", rief er mit einer Stimme, die es offenbar gewohnt war, Befehle zu geben.

Ich lief die ganze Zeit neben der Trage her, doch gerade als ich 'Trauma-Raum 1' betreten wollte, wurde ich von einem ausgestreckten Arm daran gehindert.

Er gehörte dem Arzt, der mir ohne Emotionen sagte: "Sie dürfen nicht mit herein. Dieser Raum ist nur für Patienten und ärztliches Fachpersonal. Familienangehörige oder Partner müssen draußen bleiben."

Und mit diesen Worten knalle er die Tür vor meiner Nase zu.

'Wenn es so weitergeht wie bisher, bin ich auch bald Patient hier. In der Psychiatrie.',

dachte ich verbittert.

Die konnten mich doch jetzt nicht einfach so rausschmeißen!

Doch, sie konnten.

Und ich konnte verdammt noch mal nichts dagegen tun!

Und das trieb mich in diesem Moment so zur Weißglut, dass ein Trinkwasserspender zu meiner Rechten platzte und eine schätzungsweise 80-Jährige Omi komplett durchnässte.

Sie schnappte nach Luft und stöckelte auf ihren hohen Schuhen und mit ihrer schrecklichen Fellhandtasche empört davon.

Ich musste mir mein Lachen verkneifen, bis mi einfiel, wie schlecht es Zoe ging.

Ich lehnte mich an die Milchglastür und blickte durch die klaren Buchstaben.

Ich sah Zoe auf der Trage liegen, reglos und an unzählige Schläuche angeschlossen.

Ihr Atem von einem Pump-Dings gelenkt, ihre Herzkurve sorgfältig protokolliert.

Es verpasste mir einen Stich, sie so zu sehen, aber meine düsteren Gedanken wurden davon unterbrochen, dass ihre Herzkurve total ausrastete und das Piepen, was den Herzschlag anzeigte, sich ziemlich stark beschleunigt .

Und dann schlug sie die Augen auf.

》Zoes Sicht《

Als ich die Augen aufmachte, empfand ich zunächst nur eins: Verwirrung.

Was machte ich hier? Und wie zum Teufel war ich hierher gekommen?

Ich hatte nur ein paar verschwommene Erinnerungen.

Wie ich mit einem der Entführer kämpfte. Wie ich versagte und er mich verletzte. Wie alles in Schmerz verschwand. Und dann, ein wenig später, wie ich kurz wieder zu Bewusstsein kam und in Panik verfiel, und wie Florian mich minimal beruhigte.

Und dann, als ich lange genug verwirrt gewesen war, bekam ich Panik, weil ich merkte, wie ich an unzählige Schläuche angeschlossen war und mich zudem der Schmerz wieder überfiel.

Meine Lunge inklusive Atemwege zog sich zusammen, was nicht gelang, weil ein Schlauch in meiner Luftröhre steckte.

Das versetzte mich noch viel mehr in Panik, ich wollte keinen Schlauch in meinem Hals! Ich zog und zerrte daran, doch dann trat so eine Bilderbuch-Krankenschwester in mein Blickfeld und hielt meine Arme fest, wobei einer von einem dicken Verband umwickelt war, der sich trotzdem allmählich rot verfärbte. Mir wurde irgendwie schummerig zumute, und als dann mein Blick zu Tür fiel und ich Florian sah, tickte ich vollkommen aus. Ich riss unaufhaltsam an dem Schlauch, er flog mit einem lauten 'Ratsch' aus meinem Hals raus, und ich musste kurz darauf feststellen, dass es ein Fehler gewesen war.

Ich bekam nämlich fast gar keine Luft, und ich wurde jetzt so panisch, dass sich meine Luftröhre vollends zu schwoll.

Das Gerät rechts neben mir piepte immer lauter und hektischer, vermutlich rastete mein Herz gerade aus.

Ich wollte hier raus!

Ich sah zur Tür, zu Florian.

Ich flehte ihn mit meinem Blick an, zu kommen, zu helfen.

Aber er blickte mich total emotionslos an, und dann wandte er seinen Kopf ab.

Ich schlug um mich, ich bekam keine Luft.

Ich riss an den Schläuchen, die noch an mir befestigt waren, doch ich wurde von starken Armen festgehalten und daran gehindert. Die Töne wurden noch hektischer, und dann war es nur noch ein einziger, durchdringender Ton.

Ich warf einen Blick auf den Monitor, und zu meinem Erschrecken zeigte er nur eine gerade Linie.

Und weil meine Mum so lange im Krankenhaus gewesen war, und ich sie oft besucht hatte, wusste ich, was das hieß.

Herzstillstand.

Dann kippte ich um und mein Bewusstsein verabschiedete sich wieder.

》Florians Sicht《

Sie verdrehte die Augen und kippte nach hinten um.

Scheiße man, sie hatte einen Herzstillstand! Und ich fühlte mich schuldig, weil ich ihr nicht geholfen hatte. Sie hatte mich mit ihrem Blick angefleht. Ihre klaren, grauen Augen hatten um Hilfe geschrien.

Und ich hatte es ignoriert, mich abgewandt.

Es wäre nicht gut für meine Lügenfassade gewesen.

Verdammt, diese Scheißlügen! Sie hatten mein Leben zugleich gerettet und zerstört.

Ich hätte so gerne damit aufgehört, doch immer wenn ich in Versuchung geriet, in einer brenzligen Situation mal die Wahrheit zu sagen, hörte ich die strenge Stimme meiner Mum in meinem Kopf: 'Lüge. Immer, wenn es dir irgendwie hilft. Lüge deine Feinde an, Fremde. Lüge sogar deine Freunde an, wenn es dir hilft. Bau dir eine Fassade, eine Festung aus Lügen. Ein Leben aus Lügen. Sehe die Lüge nie als etwas schlechtes, sie ist einer deiner besten Freunde'

Ich hatte diese Belehrung von ihr gehasst. So gehasst.

Aber dann war sie gestorben, und es war eines der Dinge, die mir am klarsten in Erinnerung geblieben waren.

Und so hatte ich ihren Grundsatz verinnerlicht. Und befolgt.


Die Schattentänzerin | AbgebrochenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt