t h i r t y f o u r

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Die Lehrerin projizierte auf irgendeine nicht technische Weise ein Bild an die Wand. Darauf war ein Mädchen zu sehen, und dieses Mädchen war unglaublich hübsch. Ihr schwarzes Haar glänzte in der Sonne, ihre blauen Augen waren faszinierend. Sie hatte auch ein wahnsinnig hübsches Gesicht, mit Stupsnase, vollen Lippen und großen Augen. Ich ließ meinen Blick über meinen Kurs wandern, und sah den Neid in allen weiblichen Gesichtern, unermessliche Begierde jedoch in den männlichen. Man konnte förmlich den Sabber aus dem Mund der Jungs laufen sehen. Ich blickte wieder nach vorne zu Miss Blanchet, die sich jetzt vernehmlich räusperte, woraufhin sich ein paar der Typen wieder berappelten und ihr Blick sich ein wenig klärte. Miss Blanchet begann nun mit ihren Ausführungen zu diesem Wesen, Iswong oder wie es hieß. ,,Nun, das ist die Aswang bei Tag. Sie übt eine hohe Anziehungskraft aus, wie den meisten von ihnen vielleicht aufgefallen sein dürfte." Ihr missbilligender Blick huschte über die Jungs. ,,Ja, sie haben richtig gehört. Bei Tag, wohlbemerkt. Bei Nacht jedoch wird sie zu diesem Wesen hier." Miss Blanchet machte eine kurze Kunstpause, dann führte sie mit ihrer Hand eine minimale Wischbewegung aus, und das Bild wechselte. Nun verschwand das hübsche Mädchen, und eine Kreatur tauchte auf. Eine Kreatur, sie so abscheulich war, dass viele, mich eingeschlossen, angewidert wegsahen. Es war eine alte Frau zu sehen, aber keine liebe Omi, sondern eine schmutzige, gedrungene Gestalt mit scheußlich roten, blutunterlaufenen Augen und verfilzten Haaren, die in ihr Gesicht hingen. Ihr Blick war nahezu ... beängstigend. Ich hatte den Eindruck, sie würde mich durch das Bild hindurch anstarren. Es lief mir kalt den Rücken hinunter und ich musste mich schütteln.

Scarlett neben mir schien es überhaupt nichts auszumachen, interessiert starrte sie auf die Frau, als versuchte sie, etwas zu ergründen was sich ihr nicht offenbarte.

Miss Blanchet erhob wieder ihre Stimme. ,,Die Aswang ist bei Nacht eine abscheuliche und boshafte Kreatur. Und nein, sie sieht nicht nur so aus. Als Vampirdämonin trinkt sie nachts das Blut ihrer Opfer, dabei bevorzugt sie Kinder, Alte oder werdende Mütter. Sie saugt das Blut der Menschen aus ihrem Körper heraus, und danach sieht ihr Bauch wegen der immensen Menge an Blut aus wie der einer hochschwangeren. ,,Uäh." machte ich nur angewidert, woraufhin ich einen mahnenden Blick von Miss Blanchet erntete, die aber fortfuhr.

,,Behandelt ihr eigentlich nur so ekelhafte Kreaturen im Unterricht oder ist da auch mal was Nettes dabei?", wollte ich immer noch leicht angeekelt von Scarlett wissen. Wir waren gerade auf dem Weg in die Stadt, wo Scarlett noch irgendetwas kaufen musste. Ich kuschelte mich ein wenig mehr in meine Floriane, als mich eine eisige Windböe traf, die über die schmale Straße fegte und tote Blätter mit sich riss, die sich von den immer kahler werdenden Bäumen gelöst hatten. Scarlett sah mich ein wenig befremdet an, doch dann antwortete sie. ,,Ekelhaft? Ich finde das nicht ekelhaft, viel eher interessant. Aber ich weiß, was du meinst. Wir lernen natürlich auch etwas über nicht böse Kreaturen, aber weil du als Schattenjägerin gegen die gefährlichen kämpfst, lernst du auch mehr über die." Ich sagte dazu nur ,,Aha", und wir beide setzten unseren Weg schweigend fort. ,,Wohin wollen wir eigentlich?", erkundigte ich mich nach ein paar Minuten Stille. Scarlett meinte, sie müsse sich neue Handschuhe für den nahenden Winter anschaffen, und bei der Gelegenheit solle ich mir auch welche besorgen. Ich stimmte ihr zu und versank wieder in Gedanken. Ich sollte heute Abend noch einmal mit Dad telefonieren. Ich hatte versprochen, ihn anzurufen. Ach so, Mist, ich musste mir von Scarlett eines dieser Spezial-Telefone geben lassen.

Ich fragte mich, was Dad dazu sagen würde, wenn er etwas von meinen übernatürlichen Kräften erfuhr. Würde er verängstigt sein? Zornig? oder überrascht? Ja, überrascht wäre er ganz sicher. Aber eines würde er ganz sicher nicht sein: erfreut. Warum auch? Er hielt absolut nichts von übernatürlichen Kräften, er glaubte genau so wenig an ihre Existenz, wie daran, dass die Erde eine Scheibe war. Nämlich gar nicht. Ich wusste nicht, ob es schwer werden würde, das alles vor ihm zu verheimlichen. Ich musste mir unbedingt noch eine passende Ausrede einfallen lassen, warum ich jeden Mittag nicht da sein werden würde. Das würde schwer werden, aber ich würde einfach Chris fragen, schließlach war ich hier, weil er es so wollte.

,,So, wir sind da!", unterbrach Scarlett beschwingt meine Gedankengänge. Sie deutete mit ihrem Finger auf einen Laden, der Strick- und Häkelsachen verkaufte. Als wir den Laden betraten, bimmelte eine kleine Glocke über unseren Köpfen, der in dem belebten Laden jedoch nicht weiter Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Alle möglichen Leute beugten sich interessiert über Mützen, Schals und Socken oder unterhielten sich mehr oder weniger angeregt mit anderen. Und da, eigentlich nicht weiter auffällig, stand wieder der Junge, der mir irgendwie bekannt vorkam. Abermals war sein Rücken zu mir gedreht und sein Gesicht unkenntlich, aber mehr denn je hatte ich das Verlangen, zu wissen, wer er war. Ich zupfte an Scarletts Ärmel, woraufhin sie sich überrascht zu mir umdrehte und mich mit leicht schiefgelegtem Kopf und hochgezogenen Augenbrauen fragend ansah. ,,Der Junge da", raunte ich ihr zu und zeigte unauffällig auf ihn, ,,der kommt mir irgendwie bekannt vor, aber bis jetzt konnte ich sein Gesicht noch nicht richtig erkenne. Was meinst du, könnte ich ihn kenne? Also aus der realen Welt? Soll ich vielleicht mal zu ihm gehen und ihn fragen?" Siesetzte zu etwas an und nickte leicht, doch als sie zu dem Jungen hinsah, der sich über eine Auslage beugte, veränderte sich ihr Gesichtsausdruck von fragend zu panisch und sie sagte hektisch ,,Ähh ..also ich würde auf keinen Fall zu dem hingehen. Wahrscheinlich bildest du dir das alles nur ein." Sie packte mich am Arm und zog mich aus dem Laden hinaus, ohne irgendetwas gekauft zu haben. Ich war ein wenig verwirrt. ,,Ähm, warum mussten wir jetzt aus dem Laden raus? Was ist denn mit dem Typen?" ,,Gar nichts ist mit dem. Mir ist grade eingefallen, dass ich doch keine Handschuhe brauche." Sie wurde rot während sie das sagte, außerdem vermied sie es, mir in die Augen zu sehen. Für meine Begriffe war sie eine ganz erstaunlich schlechte Lügnerin. Das sagte ich ihr aber nicht, sondern schwieg. Ich hatte Hunger, und auf der anderen Straßenseite befand sich eine Bäckerei, also fragte ich Scarlett,, ob wir uns dort nicht zusammen etwas zu essen holen sollten. Ihre Antwort überraschte mich etwas. ,,Oh, tut mir Leid Zoe. Mir ist gerade eingefallen, dass ich noch ganz schnell zurück in unseren Klassenraum muss, ich glaub, ich hab da meine Sachen liegenlassen, also meinen Rucksack und so. Du findest bestimmt auch allein zurück, oder?" Und mit diesen Worten rannte sie davon und ließ mich verdutzt stehen. Das war ziemlich seltsam, und außerdem glaubte ich Scarlett kein einziges Wort. Aus Ermangelung echter Alternativen machte ich mich auf den Weg zur Bäckerei. Ich blieb noch einmal kurz vor der Ladentür stehen und blickte mich nachdenklich zu Scarlett um, die immer noch gut zu erkennen war.

Ihr blauer Rucksack schlackerte auf ihrem Rücken hin und her.

Die Schattentänzerin | AbgebrochenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt