Metaphern - Bazinga

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Den ganzen Weg zur Innenstadt plauderte Jenny über die haarsträubendsten Themen: Wie sehr sie ihre Haare hasse, dass Rosen ihre Lieblingsblumen seien und sie gerne kurze Röcke trug und dass die Schule uns Omaröcke tragen ließ, sie sie aber trotzdem hübsch fand, weil es sie an die englischen Privatschulen erinnerte, und außerdem mochte sie keine schnelle Musik, nur Klassik, am liebsten Klavier Anscheinend quatschte der Rabe gern über sich selbst. Allerdings nicht mit arrogantem Tonfall oder Hochnäsigkeit - sie ratterte einfach alles mögliche über sich herunter so dass der Zuhörer sie als offenes Buch vor sich sah.
Überraschend angenehm, da sie einem nichts vorspielte.
Quentin verhielt sich dagegen erwas ruhiger. Wenn ich ihn etwas fragte antwortete er, witzelte herum oder erzählte von Damals - was er und Jenny zum Beispiel schon alles angestellt hatten. Von simplen Schulstreichen bishin zu wilden Partys oder Roadtrips nach Russland. Ja, anscheinend hatten die zwei schon ganz schön was auf dem Kerbholz. Sie waren genau so alt wie ich, also kurz vor dem Schulabschluss. Q erzählte, er würde später als  Landschaftsgärtner arbeiten, und Jenny gab preis, dass sie einen Bürojob in der Firma ihrer Mum bekommen hätte. "Und was willst du machen?", fragte Quentin. Ich zog etwas den Kopf ein. "Ich hatte eine Zusage für einen Ausbildungsplatz bei einer Zeitung. Also Journalistin wäre ich gern."
Die beiden fragten, wie ich auf diesen Zweig gekommen sei, und ich erklärte dass ich schon als Kind gut schrieb und gern las, und das bis heute. Außerdem hatte ich in Hamburg so manch verschwundene Katze oder verlegtes Portemonnaie wiedergefunden, weshalb Dad mir den Spitznamen Sherlock gab. Anscheinend war mir der Gute Riecher für verworrene Fälle oder interessante Storys angeboren. Die beiden Kids nickten aufrichtig bewundernd. "Klingt echt gut. Es gibt hier eine Zeitung, und die sucht auch immer Auszubildende. Du könntest dort die Lehre beginnen ..."
"Schon, ja, aber nein danke.", unter brach ich Jenny. "Ich habe nur vor hier die Schule fertig zu machen. Sobald ich 18 bin, werde ich zurück nach Deutschland gehen." Ja, das war insgeheim mein Plan. Die zwei starrten mich entgeistert an. Ups? Hatte ich sie damit so getroffen? Q schüttelte den Kopf. "Warum denn? Ist Norwegen zu kalt oder stehst du einfach nicht darauf ne neue Sprache zu lernen?" Sein Tonfall war etwas abschätzig, doch Jenny bremste ihn schnell ein. "Halt die Klappe, du Volltrottel. Ist doch logisch dass Mona kein Bock hat sich hier einzunisten wenn sie schon längst andere Zukunftspläne geschmiedet hat!" Das trieb mir sofort ein kleines Grinsen auf meinen Mund. Jenny war so direkt wie ich, vielleicht sogar noch etwas krasser. Quentin hob abwehrend die Hände. "Okok, das ist mir so rausgerutscht. Sorry, Mona." Ich zuckte die Schultern.
Somit war das Thema für uns gegessen.
Wir erreichten die kleine Innenstadt.
Kopfsteinpflaster, hohe, alte Häuser und Akaden sowie ein, zwei Brunnen mit Bänken und schmalen Bäumen zwischen den kleinen Gassen. Es war hübsch, und nicht mal der junge Winter und der trübe,  finstere Tag vermochten das idyllische Bild zu zerstören.
"Also? Wohin zuerst?", fragte Q. Erst jetzt begann ich zu realisieren dass er an seiner Augenbraue ein Piercing hatte, außerdem Schrammen an Händen und Kiefer. Als er nun auch noch eine Schachtel Zigaretten aus seiner Tasche zog, und mir eine anbot, begann ich zu begreifen wie unpassend die Schuluniform war und dass er sie mit einer solchen Abscheu trug, dass mir der Mund offen stand. Quentin war kein braver, smarter Musterschüler. Oh Mann, was so 'ne Krawatte alles bewirken konnte.
"Äh ..." Ich wollte bereits verneinen und seine Hand von mir wegschieben, doch dann zog ich einen der Glimmstängel und steckte ihn mir in den Mund. Jenny grinste und hob das Feuerzeug - doch reflexartig hob ich eine Hand. "Ne, nicht nötig." Ich behielt die Kippe unangezündet zwischen den Lippen. Q und der Rabe guckten wie Blobfische. Genau wie Augustus Waters nahm ich das Tabakröhrchen aus dem Mund. "Es ist eine Metapher, Kinder.", erklärte ich und wartete dass es bei einem von beiden klingelte. Da zeichnete sich auch schon ein verstehendes Grinsen auf Quentins Mund ab. "Du steckst dir das tötliche Ding zwischen die Lippen, gibst ihm aber nicht die Macht dich zu töten.", zitierte er aus John Greens Buch Das Schicksal ist ein mieser Verräter. "Verdammt, Fray du bist ganz schön cool.", lachte der Badboy. Anstatt seine Zigarette anzuzünden, die er bereits zwischen zwei Fingern hielt, tat er es mir gleich und steckte sie sich nicht brennend in den Mund. Es war unglaublich. Dieser Kerl verstand meine Insiderwitze und Gedanken, liebte sogar Nirvana! Konnte es noch besser werden? Ich lieferte mir ein Blickduell mit ihm - wir grinsten beide bis zu den Ohren, die Metaphern rauchten nur so vor Gemeinsamkeit. "Äh ... hallo?" Jenny wedelte vor unseren Nasen herum. "Bin ich die einzige die diesen Gag nicht kapiert??" Aufgeregt schnippte sie die Asche zu Boden - ihre Kippe brannte nämlich. Ich schüttelte lachend den Kopf.

"Da niemand von euch Anstalten macht, mir diesen Buch-Insider zu erklären oder einen Platz vorzuschlagen, an dem wir chillen können, übernehme ich nun das Kommando.", posaunte Jenny als es ihr zu bunt wurde und setzte sich in Bewegung. "Gut. Wo gehen wir hin?", fragte ich als ich sie eingeholt hatte. "Wir gehen zum Plattenkelker. Cat wartet eh bestimmt schon auf uns!"

Cat war ein dürres, blasses Mädchen mit schwarzem Bob-Haarschnitt und viel zu großen dunklen Augen. Als wir den Plattenkeller betraten - einen Laden der unmengen LPs, Kassetten und anderen Kram verkaufte, den heute nur noch die Wenigsten schätzten - stand sie hinter einer Theke, auf der eine uralte Kasse stand, dazu eine Schale mit Band-Buttons und Festival-Bändchen. Als sie Q und Jenny erkannte breitete sich ein überdimensionales Grinsen auf dem schmalen Gesicht von Cat aus, das beinahe lächerlich groß wirkte, und sie kam hinter ihrer Kasse hervor um uns zu begrüßen. "Leuuuuute!", jaulte sie euphorisch und schlang die Arme jeweils um Jenny, dann um Quentin. Sie schienen ziemlich gut befreundet zu sein. Ein kleiner Stich durchzuckte mich als ich an Tina dachte. Verdammt. Cat wandte sich mir zu und ich schob das unangenehme Ziehen in meinem Herzen beiseite. "Hi, ich bin Catalinda. Aber Cat ist mir lieber. Und du bist?"
"Mona." Ich schüttelte ihre mir entgegen gestreckte Hand. Und wäre beinahe zusammengezuckt. Okay, Cat hatte einen kräftigen Händedurck. Sie sützte die Fäuste in die Hüften. "Woah. Geile Haare.", lobte sie und zeigte die schneeweißen Zähne. Es wirkte beinahe so als hätte sie mehr Zähne als ich im Mund. "Danke." Ich lachte etwas zurückhaltend. Ehrlich gesagt brannte ich drauf, in diesem traumhaften Laden herumzustöbern. Cat schien es zu begreifen. "Aaah, ich seh schon - du stehst auf Vinyl?" Eifrig musste ich nicken. "Ist das so offensichtlich?", fragte ich in die Runde. Einstimmiges Nicken. Catalinda wickelte den Saum ihres roten Bazinga-Shirst aus der Serie The Big Bang Theory um ihren Finger. Anscheinend freute sie sich tierisch dass ich nicht so >Spotify-verseucht< war. Cat nickte in Richtung der vielen Ausstelltische und grinste wissend. Mit einem freudigen Quietschen stürmte ich davon und verschwand zwischen den Reihen aus grandios alter Musik, die noch mit Herz und Seele geschrieben worden war.

Woodchild  -  BEENDET Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt