Freaks mit Fell und Hufen

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Ich wandte mich frustriert ab. Der Wolf war weg. Zum ersten Mal im Leben war ich einem echten, freilebenden Wolf begegnet und schaffte es nicht einmal, ihm nahe genug für eine Berührung zu kommen. Mit einem lauten Knall warf ich die Haustür ins Schloss und schlurfte zurück in die Küche. Ich wollte noch schnell abwaschen und mich anschließend nach oben verziehen. Ich war müde und ich hatte Kopfschmerzen. Schon wieder. Zwar lange nicht so schlimm wie letztens, trotzdem schlauchte das ständige Pochen im Hirn.
Mit noch nassen Fingern rannte ich nach oben. Schnaubend warf ich mich aufs Bett, den Kopf im Kissen vergraben. Uff. Erledigt zerrte ich die Decke über mich und verkroch mich im Dunkeln. Der Schwindel ließ etwas nach - aber nur so lange kein Handy klingelte. So wie gerade eben. Der schrille Ton meines Telefons, das ich wohl irgendwann während meinem Telefonat mit Tina auf laut gestellt haben musste, durchbrach die Stille. Ich fuhr stöhnend hoch. Angestrengt tastete ich nach dem verdammten Gerät. Was ... Ich warf einen Blick aufs Display.
Es war Fin.
Mein Kopf schaltete sich ab. Sein Name brachte mich aus dem Konzept. Mit zitternden Fingern drückte ich auf den grünen Button ... "Hallo?"
"Mona?", erklang seine raue Stimme am anderen Ende der Leitung. Sofort schrillten bei seiner eindeutig gehetzten, panischen Stimme meine Alarmglocken. "Fin? Was ist los?" Er keuchte und ich hörte wie er über knirschenden Schnee ging. "Kann ..." Er brach kurz ab. "Kann ich vorbeikommen?" Ich setzte mich im Bett auf. "Alles in Ordnung?" Meine Stimme klang ohne mein Zutun besorgt. "N-nein. Aber egal. Ich bin gleich da." Mit diesen Worten beendete Fin das schnelle Gespräch.
Genau sieben Minuten später stand Fin vor der Tür. Sein Haar war zerzaust und in seinen Augen lag eine unnatürliche Wildheit. Sie erinnerte mich an den Furcht einflößenden Blick von Tyrell am ersten Tag hier ... "Tut mir leid, dass ich hier so reinplatze. Ich ..." Er unterbrach sich erneut und sah sich über die Schulter. "Wir sollten reingehen.", bestimmte er und drängte mich mit seinem Körper zurück, bis er die Tür hinter sich schließen konnte. Ich roch seinen herben Duft und war plötzlich unglaublich überrumpelt. Fins Körper so nah an meinem zu spüren ... Gott. Zu meiner Erleichterung und Enttäuschung zugleich nahm Fin schnell wieder Abstand und ließ sich schwer gegen die Haustür sinken und rutschte daran herab, bis er mit angezogenen Beinen auf dem Boden saß. Er sah frustriert aus, müde, zermürbt. Kurzerhand setzte ich mich neben ihn auf den dunklen Flurboden und griff nach seiner Hand. Verblüfft sah er auf. Ich erwiderte seinen Blick. "Alles gut. Es wird alles gut, okay?", flüsterte ich beruhigend und drückte seine kalten Finger. Ich sah im Halbdunkeln wie er sich auf seine Unterlippe biss. Wir waren uns verdammt nah. Obwohl es mucksmäuschen still war, meinte ich die Luft knistern zu hören. Mein Blick fiel auf Fins Mund. Etwas durchzuckte meinen Körper. "Mona." Fin wand seine Hand aus meiner und rieb sich angestrengt übers Gesicht. "Ich ..." Er brach erneut ab, beließ es aber nun dabei. Er hatte offenbar keine Ahnung was er hatte sagen wollen. Vorsichtig hob ich eine Hand und legte sie an seine stoppelige Wange. Ich wollte ihn einfach nur berühren. Irgendwie bei mir haben. Es war ein seltsam animalisches Gefühl, das ich nicht kannte. Fin ließ den Kopf gegen die Tür krachen. Ich zuckte zusammen und sah ihn im nächsten Moment böse an. "Nichts ist so schlimm um rechtfertigen zu können, dir selbst weh zu tun, du Idiot. Jetzt steh auf.", gekonnt drängte ich meine Gefühle zurück und rappelte mich hoch. Zwar sah ich in meiner bunten Hose und dem Pulli nicht gerade Angst einflößend aus, dennoch versuchte ich Fin streng und mit den Händen in die Hüften gestützt anzugucken, damit er mir gehorchte. Seufzend erhob Fin sich und folgte mir in die Küche.
Er ließ sich auf die Eckbank fallen und ich startete wortlos die Kaffeemaschine. Kaum stand der fertige Kaffee auf dem Tisch, schnappte Fin sich die größte Tasse, die ich im Küchenschrank gefunden hatte, und stürzte beinahe den gesammten Innhalt in einem Zug hinunter. Mit besorgtem Blick setzte ich mich ihm gegenüber. Nach einigen Minuten, in denen wir geschwiegen hatten, beschloss ich, ein komplett anderes Thema anzuschneiden, da Fin anscheinend über keines seiner Probleme sprechen wollte. "Hast du hier schonmal Wölfe gesehen?", fragte ich möglichst beiläufig und drehte meine eigene Kaffeetasse in den Händen. Obwohl ich die Frage als relativ harmlos eingeschätzt hatte, versteifte sich Fin augenblicklich und riss die Augen weit auf. Ich guckte ihn nur an. Nach einigen Sekunden löste der Möbelpacker sich aus seiner Starre und schüttelte langsam den Kopf. "Sie sind selten, aber es gibt sie. Sie sind ziemlich scheu." Ich begann zu grübeln. Sollte ich ihm von dem Wolf erzählen? Oder würde er mich dann für wahnsinnig halten, mich einem wilden Tier so unbedacht zu nähern? Ich wollte nichts riskieren. Also suchte ich mir ein neues Thema. "Na komm mit." Ich stand auf und streckte Fin die Hand hin. Er schaute mich nur an. Ich verdrehte die Augen und lächelte. "Du kennst bisher doch nur die Küche fertig eingerichtet. Jetzt bekommst du eine private, kostenlose Hausführung, schließlich hast du die meisten Möbel hier her geschafft." Ein simpler, aber effektiver Plan um Fin von seiner Grübelei abzubringen. Er stand auf und folgte mir ins Wohn- und Esszimmer, das zusammen mit meiner geliebten Couch und den dunklen Möbeln einen verdammt guten Eindruck machten. Zugegeben, ich mochte das Haus. Es war besonders und ländlich, es passte zu Dad und mir. Anschließend folgte das erste Stockwerk, ich zeigte ihm das pompöse Bade- und das Gästezimmer mit dem großen Doppelbett. Zuletzt erreichten wir den Dachboden ... meinen Dachboden. Ja, das hatte doch was. Selbstzufrieden grinste ich in mich hinein als Fin in meinem Zimmer staunend umherging und bewunderte, was ich hier irgenwie zustande gebracht hatte. Fin sah sich genau meine vielen Bücherregale, die Musik-Ecke und meinen klobigen alten Schreibtisch an, der jetzt schon vor Schriftstücken und Stiften verschiedenster Art überquoll. Es machte Spaß, dem Möbelpacker mit weit und erstaunt aufgerissenen Augen betrachten zu können. Die Bartstoppeln auf seinen Wangen traten so noch deutlicher hervor und plötzlich erschien mir Fin gar nicht mehr so jung, sondern erwachsen und wild. Ich schluckte.
E

r pfiff leise durch die Zähne. "Hübsch. Wirklich. Echt gut gemacht, Pinkie.", lobte er und ein sanftes Lächeln huschte über seine Lippen. Ich verschränkte zufrieden die Arme. "Danke." Wir sahen uns an. Nach einigen Minuten brach ich die Stille, da meine unbändige Neugierde siegte. "Wieso bist du hier, Fin? Was ist vorhin los gewesen?" Seufzend fuhr sich Fin durch die Haare. Dabei spannte das graue und ziemlich schmutzige Shirt, das er trug, eng über seinen Schultern. Ich wandte mich kurz ab um wieder Luft zu bekommen. "Mona, ich will dich in nichts mit reinziehen. Diese Sache ist ... komisch. Und verdammt ... ungünstig für mich." Seine Stimme stockte immer wieder. Er hatte Angst vor der Wahrheit, vor meiner Reaktion auf die Wahrheit. Ich durchquerte mein Zimmer und nahm in an der Hand. Zerrte ihn aufs Bett und setzte mich ans Fußende, nicht zu nah an ihn damit er nichts Falsches denken konnte ... ich wollte nicht zu aufdringlich sein. "Erzähl's mir. Egal was es ist. Von mir aus Drogengeschäfte oder ein illegales Bordell das ihr in einem eurer Lieferwägen betreibt -"
"Ich bin nicht normal. Und ich hab Probleme mit den anderen Freaks. Und du bist vielleicht auch einer von diesen nicht normalen Leuten." Ich legte den Kopf schief. "Also Drogen? Ich nehm' keine Drogen. Seh' ich so aus? Gott, ich sollte wirklich wieder zum Friseur -"
"Simona.", fuhr Fin mir erneut über den Mund, sprang auf und rannte ohne ein Wort die Treppe hinunter. Ebenso wortlos folgte ich ihm. Auf der zweiten Treppe holte ich hin ein, schwang meine langen Beine über das Treppengeländer und sprang den letzten Meter quer durch den dunklen Flur, nur um Fin an der Haustür aufhalten zu können. "Bleib sofort hier! Wage es dieses Haus ohne meine Erlaubnis zu verlassen und ich jage dich durch den gesammten Wald, Finnian!", feuerte ich aufgebracht. Wütend tippte ich ihm mit dem Zeigefinger auf die Brust. "Und jetzt erklär mir ..." Ein unglaublich wilder, brennender Blick seinerseits ließ mich verstummen. "Sag ich doch, du bist genau so wie ich. Du kannst dich ebenso wenig beherrschen wie ich selbst wenn dir etwas gegen den Strich geht, oder? Wie lange hast du das schon? War der Ohnmachtsanfall letztens an der Schule dein erster? Deine Kopfschmerzen sind immer noch nicht weg, hab ich Recht?" Überrumpelt von Fins grollender Direktheit taumelte ich zurück. Doch anstatt das dumpfe gestolper meiner in Socken steckenden Füße erklang ein Geräusch wie von Highheels, die auf dem hölzernen Boden aufstöckelten. Mir entwich ein überraschter Aufschei. Fin nutzte meine kurze Irritation und schlüpfte an mir vorbei, öffnete die Tür und entwischte mir nach draußen. Ich folgte ihm, merkwürdig wackelig auf den Beinen und mit kribbelnder Nase und heißen Ohren - etwas stimmte nicht, mit Fin und auch mit mir nicht. Draußen auf dem weiten mit Schnee bedeckten Feld, das an den großen Wald angrenzte, entdeckte ich Fin und stolperte auf ihn zu. Er stand breitbeinig am Waldrand, stark keuchend und mit gespreizten Fingern, die Arme von sich gestreckt als würde ihn etwas Unsichtbares zerreißen wollen. Ich verlor das Gleichgewicht, fiel im vollen Tempo und landete schlitternd in Schnee. Wie letztens nach der Schule. Ich stöhnte und rollte mich mühsam auf den Rücken. "Fin!", hauchte ich erledigt und strampelte mit dem Beinen - die sich immer noch merkwürdig anfühlten. Ich hob den Kopf und sah an mir herunter ... "Scheiße", flüsterte ich.

Woodchild  -  BEENDET Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt