Anderswelt, nein danke!

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Jenny reichte mir den Joint.
Meine Finger zitterten. Verdammt, die Kids hier rauchten wirklich Gras.
Chris hatte ein paar feinsäuberlich gedrehte Glimmstängel auf einem kleinen Silbertablett an unserem Tisch abgestellt, sich dann einen Stuhl herangezogen und erneut mit dem unangenehmen Starren angefangen. Was mich alles ziemlich abfuckte.
Komischer Weise schockte mich der Beweis auf Drogenhandel im Zizzi's weniger als die Tatsache, dass ich bereits an meinem ersten Schultag in eine Qulique geraten war, die ich dazu auch noch ziemlich gern leiden konnte. Ja, in Hamburg hatte ich nicht viele feste Freundschaften außer Tina's und meine pflegen können. Dieses merkwürdige Gruppengefühl war berauschend.
Genau so berauschend wie der Anblick des glimmenden Joints, der einen süßlichen Geruch verströmte. Allein vom Rauch wurde mir schon schwindelig.
Trotzdem nahm ich den Stängel, führte ihn jedoch nicht an die Lippen. Vorhin hatte ich mich noch gegen Zigaretten gesträubt. Und nun hielt ich das hier in der Hand. Okay ... Gab es ein Buch das ich als Ausrede benutzen konnte, so wie vorhin? Wohl eher nicht. Zumindest kannte ich keins. Also griff ich auf die altmodische Methode zurück: "Nein, danke. Kein Interesse." Ich reichte den Joint weiter an Chris, der mich, wie ich dann bemerkte, mit weit aufgerissenen Augen anstarrte, verwundert, nicht mehr gierig oder lüstern. Nein, diese Gedanken schienen gerade wie weggeblasem. "Als ob. Du kiffst nicht?" Er sagte das, als wäre es völlig irrelevant, ein Ding der Unmöglichkeit. Ich zuckte die Schultern. "Ich steh nicht so drauf." Zugegeben, ich hatte bereits einmal an einem solchen Teil gezogen. Zusammen mit Tina war ich einmal auf eine Party gegangen, bei der sich eigentlich nur Studenten herumdrückten, und irgendwie war es dann dazu gekommen.
Anschließend hatte ich mir die halbe Nacht die Seele aus dem Leib gekotzt.
Also konnte ich gut und gerne drauf verzichten, mich vor meinen neuen Freunden hochgradig zu blamieren.

Am späten Nachmittag, als ich mich von Jenny und den anderen verabschiedet und mich am Rande der Stadt auf eine flaschengrüne Parkbank niedergelassen hatte, rief ich Dad an und bat ihn, mich abzuholen. Nach dem langen Tag, an dem ich mich ausschließlich mit der englischen Sprache verständigt hatte, war es beinahe unangenehm wieder Deutsch zu sprechen.
Trotzdem war ich froh als ich mich neben Paps in den Jeep fallen ließ. "Na, wie war der erste Tag so?", fragte er und ließ den Wagen zurück Richtung Landstraße rollen, um anschließend die kleine Zivilisation hinter uns zu lassen.
"Interessant.", berichtete ich ausreichend. Es war besser, wenn ich Tomas nichts von den Angewohnheiten wie Kiffen oder Rauchen erzählte. Dad war ein überzeugter Nichtraucher, was ich auch gut fand. Er hatte mich zu einer einigermaßen klugen Frau erzogen, die vielleicht etwas zu viel Temperament abbekommen hatte, und dazu gehörte auch meine Einstellung zu Drogen: Man brauchte sie nicht, um Spaß haben zu können, genau so wenig Zigaretten zum Coolfühlen. Im Nachhinein war ich froh, heute dem Gruppenzwang nicht nachgegeben zu haben. "Und wieso hast du dich hier herumgetrieben? Ich weiß ja nicht, aber die Schule liegt ungefähr einen Kilometer weiter westlich.", witzelte er, den Blick auf die Straße gerichtet. "Ich hab ... neue Freunde gefunden. Mit denen war ich in ... einem Café." Das war eigentlich ja sogar die Waheheit. Tomas nickte, und Freude blitze in seinen Augen auf. Während der restlichen Fahrt erzählte Dad von der Arbeit, wie er sich in der neuen Zweigstelle seiner Firma zurecht fand, und was er heute noch erledigen müsse. Außerdem erinnerte er mich an die Zusatzstunde bei diesem Nachhilfelehrer, die mich morgen erwarten würde. Ich erzählte von meinem Vorhaben, meine Regale anzuschrauben und anschließend all meine Bücher einzusortieren ... und ich erwähnte Fins Einladung zum Fest am Freitag. Das löste in Dad offensichtlich gemischte Gefühle aus. Ich war mir nicht sicher, aber es schien mir als läge Nostalgie und Euphorie in seinem sehnenden Blick. Ich konnte beinahe seine Gedanken sehen: Mein kleines Mädchen wird erwachsen! Ich grinste in mich hinein. Paps kannte es nicht, dass ich mich mit Jungs traf. Das war neu.
Ich dachte an Fins breites Grinsen, das nach einiger Zeit das schüchterne Lächeln verdrängte. Sofort bildete sich eine Gänsehaut auf meinen Armen. Mein Herz schlug ein bisschen schneller. Nicht nur für Dad war das neu.

Ich lag im Bett und hielt mir den schmerzenden Kopf. Die Fenster waren abgedunkelt, und trotzdem erschien mir alles viel zu hell. Argh. Der Tag hatte so gut angefangen, und nun lähmten mich höllische Kopfschmerzen. Kaum hatte Dad den Jeep in die Garage gestellt, hatte das dumpfe Pochen in meinem Hinterkopf begonnen und sich zu einem nervtötenden Brummen ausgebreitet. Ich zog mir die Decke über den Kopf.
Nach etwa einer halben Stunde oder drei Tagen klopfte es an meiner Tür. Ich grummelte etwas als Einladung und schließlich betrat Tomas mein Zimmer. "Wie geht's, Mäuschen?", flüdterte er und stellte ein Tablett mit Tee und ein paar Butterbroten auf einer Umzugskiste neben mir ab. Ich stöhnte. "Biiiiitte mach, dass es aufhört.", jammerte ich, als stünde ich kurz vor dem Tode. Aber so kam es mir in diesem Moment nunmal wirklich vor. Noch nie hatte ich solche Schmerzen gehabt - eigentlich war ich gar nicht anfällig für Migräne oder Föhn. Ob das die ... Zeitumstellung war? Oder der Stress? Das veränderte Klima? Das ewige Englisch-Sprechen? Verdammt.
"Wie spät ist es?", erkundigte ich mich leise. "Halb zehn. Versuch, langsam zu schlafen. Falls es morgen nicht besser ist, melde ich dich einfach krank. Und wir fahren zum Arzt." Ich nickte ins Kissen. Obwohl ich es hasste, Stoff in der Schule zu verpassen, und das auch noch ausgerechnet jetzt, erschien es mir wie ein angenehmer Ausweg. Paps gab mir einen Gutenachtkuss auf die verschwitzte Stirn, strich mir übers Haar und zog dann die Tür hinter sich zu um mich im Dunkeln zuückzulassen.

Woodchild  -  BEENDET Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt