Fin
Sie sah immer noch müde aus. Das pinke Haar hing ihr strähnig im Gesicht, außerdem klopfte sie unruhig mit den Fingern auf die Tischplatte.
Nicht mal der Kaffee schien zu helfen. Es war sehr still in der Küche. Als ich gerade krampfhaft nach Stoff für eine Unterhaltung suchte, warf Mona plötzlich etwas sehr Unvermitteltest ein. "Nicht mal die Nordlichter hab ich gesehen." Ich versuchte ernst zu nicken, musste allerdings dann grinsen. "Wir hatten ja genug anderes zutun." Mit einem entschuldigenden Lächeln stimmte sie mir zu. "Allerdings."
"Du siehst sie bestimmt noch.", redete ich ihr gut zu. "Und wann?" Sie wirkte ehrlich enttäuscht. Aber kein Wunder. Die Nordlichter sind wunderschön. Wenn man einmal von ihnen gehört hat, muss man sie einfach sehen. Ich erinnerte mich an meine erste Nacht unter der Aurora Borealis. Es war magisch. Damals hatte mich meine Mutter auf einen kleinen Anstieg geführt, der weit vom Dorf entfernt lag. Dort waren keine Straßenlaternen oder Autos, und so war es möglich sie zu sehen. Wir setzten uns auf eine Decke und starrten in den Himmel. Ich hatte keine Ahnung, auf was ich warten sollte und langweilte mich. Alles dunkel. Wo waren die bunten Lichter am Horizont? Als ich bereits darum bettelte wieder nach Hause zu dürfen weil ich frohr und überhaupts kein geduldiger Junge war, und meine Mutter nur immer wieder sagte: "Warte." passierte es endlich. Der eben noch schwarze Himmel wurde zuerst etwas heller, dann brachen mit einem mal Milliarden von bunten Lichtschleiern zu uns hindurch. Vor lauter Begeisterung taumelte ich ein paar Schritte und ließ die Hand meiner Mutter los, die ich gerade versucht hatte auf die Beine zu zerren. Es war atemberaubend. Ich konnte meinen Blick nicht mehr lösen. Ab da schaltete mein Gehirn ab. Und ab da war ich ganz und ganz ein Naturblut. Noch nie hatte ich soetwas Schönes gesehen. Mein Puls erhöte sich drastisch und meine Finger kribbelten. Ich hatte mich davor bereits einige Male in meine Wolfsgestalt verwandelt. Aber dieses Mal hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, nicht völlig verkorkst zu sein. Ich wusste, dass es okay war, so zu sein. Und ab da liebte ich es, ein Blüter zu sein.
"Fin?" Ich blinzelte und schaute zu Mona auf. "Über was denkst du nach?" Und dann hatte ich eine Idee. "Was hältst du von einem nächtlichen Ausflug?"Mona
"Was?" Was meinte er damit? Mühsam versuchte ich die aufkeimende Hoffnung in mir nieder zu kämpfen. Er würde mich bestimmt nicht fragen. Er hatte doch selbst genug zutun. Er musste sie mir nicht extra zeigen. Obwohl es grandios wäre. Wunderschön. Ich schluckte. "Morgen ist Sonntag. Da hab ich frei. Und ich kenne eine Stelle, an der man die Nordlichter gut sehen kann..." Mein Herz setzte einen Schlag aus. Ich war ja schon vor der Feier aufgeregt gewesen so viel mit Fin zu unternehmen. Aber nun nur wir beide? Wie sollte ich es schaffen bis dahin an keinem Herzinfakt zu versterben? "...würdest du da mit mir hingehen?" Seine tiefe Stimme brachte alles in mir zum Vibrieren. Als ich ihn ansah brannte Hoffnung und noch etwas anderes in seinem Blick ... Nervosität? Er war also genau so aufgeregt. Ich nickte wie von selbst. Wie ein Wackelkopf-Figürchen. "Ja. Ja natürlich geh ich da mit dir hin!" Durch mein Lächeln wurde meine Stimme lauter und heller. Fin guckte mich an wie ein kleiner Junge. Ein sehr, sehr glücklicher kleiner Junge. "Okay." Er verschluckte sich fast an diesem Wort. "Dann morgen Abend?"
"Morgen Abend." Wir sahen uns an und grinsten.Als letztendlich auch Fin nach Hause ging, war es früher Abend. Paps war noch nicht zuhause, also hatte ich - wie schon einige Male - den Adlerhorst für mich allein.
Ich spülte ab, während der einzige deutsche Radiosender lief, den ich mit unserem demolierten UKW-Radio hatte empfangen können. Es war eine ruhige, nostalgische Stimmung; in der alten Küche, mit der weißen Winterlandschaft vor dem Haus und der Musik aus den 70gern und 80gern. Natürlich genau mein Geschmack.
Ich trocknete mir nach einer halben Stunde die aufgequollenen Hände an meiner Jeans ab, um die Arbeit Arbeit sein zu lassen und mich mit einem guten Buch in die Badewanne zu verziehen, da ließ mich eine Bewegung draußen aufsehen. Und ich hatte nicht geträumt - inmitten der weißen Wiesen kam ein noch viel weißeres, kleines Auto auf den Horst zugeflitzt. Ich erkannte den Peugeot sofort. "Quentin?", raunte ich verwirrt und sah zu, wie der Wagen auf dem Hof hielt. Tatsächlich war es er. Das Haar fiel ihm tief in die Stirn und seine Augen wirkten müde, wie ich auf die Entfernung erkennen konnte. Seine Augen - die so gefährlich gelb geblitzt hatten, mit den schlitzförmigen Pupillen. Hatte ich mir das ganze vielleicht nur eingebildet? Hatte mich die drohende Verwandlung halluzinieren lassen?
Q stapfte nun über die dicke Schicht Neuschnee, direkt zur Haustür. Nicht mal eine Zigarette zündete er sich an - was er sonst so gut wie immer tat wenn er die Chance dazu hatte. Kaum war er aus meinem Sichtfeld verschwunden, klopfte es. Sofort war ich an der Tür. Ich riss sie auf, der überrumpelte Q stolperte herein und mir direkt in die Arme. "Jesus! Mona, wie schnell bist'n du bitte?", stieß er wie immer auf Englisch hervor und guckte mich an. Ich ließ ihn eintreten und er klopfte sich die Stiefel auf dem Teppich an der Garderobe ab. "Hab dich herfahren sehen.", erklärte ich kurz. Ich war noch immer etwas verlegen wegen neulich. Ich hatte ihn einfach ohne Rücksicht bedrängt, ihn über sich und Jenny ausgequetscht. Obwohl wir uns noch gar nicht lange kannten. Ich war so dämlich.
Gerade als ich Luft holte um ein Gespräch zu beginnen, setzte Q ebenfall an. Wir lachten beide verlegen. "Es tut mir leid wegen letztens.", brachte ich dann endlich hervor. Quentin schmunzelte etwas trüb. "Hör auf. Ich hab ja gleich so blöd reagiert. Ist meine Schuld." Wir guckten uns stumm an. Das fahle Licht im Flur ließ sein schmales Gesicht noch eingefallener wirken. Es ging ihm wirklich beschissen. Da brauchte ich gar nicht zu fragen. Also trat ich auf ihn zu und umarmte meinen Kumpel einmal, fest und kurz. Er erwiderte die Umamrmung, und als ich zurückwich bat ich ihn in die Küche.
Natürlich war das ersten, das auf den Tisch kam, Kaffee. Q trank vier Tassen und verputzte einen Krapfen vom Vortag, den ich ihm wortlos hinstellte. Erst dann begann er wieder klare Worte von sich zu geben. "Mann, ich bin so ein Trottel." Meine Reaktion war eine hochgezogene Augenbraue. Quentin schien mit sich zu ringen, dann rückte er damit heraus, was ihn offensichtlich so arg beschäftigte. "Jenny hat jetzt ein Date." Nun wanderte meine andere Braue auch noch dem Haaransatz entgegen. "Ohje."
"Ja!" Q stützte den Kopf in die Hände. So hatte ich ihn noch nie gesehen. Also mochte er sie doch ganz schön dolle. Ich lächelte sanft. "Aber es ist doch nur der eine Ball, oder? Das heißt nicht, dass sie diesen Typen gleich heiraten muss." Bei dieser Vorstellung erbleichte Q noch mehr. Nun musste ich wirklich etwas lachen. "Ach, ich glaube nicht dass sie etwas von ihm will. Vielleicht will sie dich ja auch einfach nur eifersüchtig machen.", spekulierte ich. "Dann hat sie das einwandfrei hinbekommen.", murmelte Q. Ich tätschelte ihm die Hand. "Mensch, Quentin. Ich hab dir doch gesagt, dass sie dich echt mag. Da nimmt sie sich doch nicht einfach den Nächstbesten. Sie wartet darauf, dass du um sie kämpfst." Ich meinte meinen Rat toternst. Die ganze Geschichte war doch offensichtlich. "Meinst du echt?" Er guckte wie ein geprügelter Hundewelpe. Ich nickte fest. "O-kay? Also ... soll ich sie trotzdem noch fragen ob sie mit mir hingeht?" Ich riet davon ab. "Versuch' einfach, mit ihr zu sprechen. Sag ihr was du denkst. Klartext ist immer am besten.", erklärte ich. Er nickte. Endlich trat das selbstvewusste Funkeln zurück in seine Augen. "Danke, Mona. Du hast's mal wieder echt bewiesen, Wunderkind. Du bist ein Wunder!" Augenblicklich sprang er auf, schneller, als ich es für möglich gehalten hätte, und flippte herum. "Ich sag es ihr gleich Montags. Danke, Kleines." Quentin drückte meine Schultern und guckte mir in die Augen - und etwas blitze schon wieder. Ich war zu gefesselt, um ihn darauf anzusprechen, außerdem war er wenige Sekunden später auch schon bei seinen Schuhen und im nächsten Moment draußen auf dem Hof. Dann war er weg. Und ich war irgendwie verwirrt und zufrieden zur gleichen Zeit.
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Woodchild - BEENDET
FantasySimona Frey ist gerade dabei, ihren Platz im Leben zu finden, und hat es schon fast geschafft. Aber dann - kompletter Umbruch. Sie und ihr Vater ziehen nach Norwegen. Anfangs ist Mona alles andere als begeistert. Doch dann lernt sie Leute kennen, d...