Alte und neue Bekannte

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Nach einer halben Stunde wurde es meinen beiden Freunden im Plattenkeller langweilig. Sie fragten, ob ich mitkommen wolle zum Zizzi's aber ich verneinte. Heute hatte ich absolut keine Lust auf blöde Sprüche von diesem Chris. Also verabredeten wir uns morgen früh an der Schule. Q stieß seine Faust gegen meine, Jenny umarmte mich kurz, dann waren sie auch schon weg. Cat hatte frei heute, also bezahlte ich bei einem Typen mit schulterlangem Haar, der ein Iron Maiden-Shirt trug. Er grinste mich freundlich an und lachte fast laut auf, als er die Platte betrachtete, die ich kaufen wollte. The Rocky Horror Picture Show. Mein absolutes Lieblingsmusical. "Guter Geschmack.", kommentierte er und gab mir mein Wechselgeld. "Kennt nicht
jeder.", erwiderte ich und packte die Platte ein. "Ich bin auch nicht jeder." Ich hob eine Augenbraue. "Sondern?"
Er kapierte sofort. "Rudolf." Anerkennendes Nicken von mir. "Simona." Ich warf meinen Rucksack über die Schulter und spazierte zum Ausgang. Kurz bevor ich verschwand, drehte ich mich nochmal um. Dann zitierte ich Arnold Schwarzenegger. "Ich komme wieder.", sagte ich toternst, dann ging ich davon. Rudolfs Lachen verfolgte mich bis auf die Hauptsraße.

Fin

Nach einem langen Tag mit den Jungs in einer nahegelegenen Stadt kam ich müde und verschwitzt zuhause an. Das windschiefe Haus außerhalb der Stadt hieß mich willkommen. Ich parkte den Sprinter, schloss ab und betrat die Hütte. Heute war es ziemlich still. Kein Besuch, keine Rudelmitglieder. Zurzeit gab es weder Streit noch lief es besonders gut. Nach einigem Lauschen hörte ich Mum im Esszimmer. Ich zog die Stiefel aus und warf meine Jacke in die Wäsche. Als ich das Zimmer betrat, war es wie alle anderen im Haus hell erleuchtet. Meine Mutter verabscheute Dunkelheit und Kälte. Sie trat nur selten vor die Tür. Meist kam sowieso das Rudel zu ihr. Als Mutter des Alphawolfs - mir - hatte sie den allerhöchsten Rang und die Hütte galt in etwa als das Rathaus einer Gemeinde. Ich brachte Nahrung und Haushaltsartikel, sie kümmerte sich um alles innerhalb unserer vier Wände. Jetzt stellte sie Schüsseln, Teller und Pfannen auf dem großen Eichenholztisch ab, der schon einige Schrammen und Dellen von vielen Versammlungen davongetragen hatte. "Du kommst spät.", war ihre knappe Begrüßung. Sie war für jeden eine Mum, außer für ihren Sohn. Es klang hart, aber Fins Mutter war nunmal so. Und er hatte es akzeptiert. "Der Kunde wollte noch ein paar mehr Möbel aufgestellt haben, die nicht abgemacht waren." Sie nickte knapp. Dann drehte sie sich zu ihm um. Die kurvige, kleine Frau mit dem wilden braunen Haarschopf sah mit verkniffener Miene zu ihm auf. "Zieh dich um. Dann komm nach unten. Artemis und seine Leute werden in einer halben Stunde hier sein." Ihre Worte verpassten ihm einen Schlag in die Magengrube. Die Zentauren. Die Leute, die etwas gegen Mona im Schilde führten. Er schluckte und bemerkte nun auch die drei zusätzlichen Teller. "Was wollen sie?", fragte er. "Mit uns sprechen. Ihnen passt die momentane Situation nicht." Sein Herz hämmerte wie wild. Es ging bestimmt um den Adlerhorst. Die Zentauren machten selten Geschäfte mit den anderen Blütern. Sie waren zurückgezogen und scheu. Er fragte sich ob Lucinda dabei sein würde. Vielleicht konnte er ihr unauffällig an die Gurgel gehen. Sie war es, die Artemis auf die dummen Gedanken brachte. Meistens zumindest. Ohne ein weiteres Wort drehte ich mich um und ging nach oben.

Eine viertel Stunde später kam er leise die Treppe hinunter und straffte die Schultern. Das weiße, makellose Hemd fühlte sich ungewohnt an. Er kam sich lächerlich vor, so glattgebügelt und anständig. Sogar die Fingernägel hatte er gekürzt und gesäubert. Das Haar trug er so unverwuschelt wie nur möglich. Artemis neigte dazu, die anderen Blüter als unzivilisierte Tiere zu bezeichnen - am liebsten natürlich die Wölfe. Fin wollte genau das Gegenteil beweisen. Seine Mutter hatte wohl einen ähnlichen Gedanken gehegt. Ein überknielanges Kleid mit Blümchenmuster, geputzte Lederschlappen und eine säuberlich angefertigte Hochsteckfrisur ließen seine Mum zehn Jahre älter wirken. Doch ihre Augen waren so klar und wild wie eh und je. Seine Mutter war hier die Chefin, das war klar. Sie würde sich nichts gefallen lassen. Sie war eine wahre Wölfin.
Es klingelte. Ich ging zur Tür, der Hausherr hatte Besuch zu begrüßen. Artemis und seine Lakeien traten wortlos ein. Er schloss die Tür, wies auf die Küche und bat sie herein. Fins Mutter kam ihnen entgegen. "Artemis. Kristof. Und natürlich Lucinda. Wie schön, euch begrüßen zu dürfen." Die Zentauren nickten. Lucinda warf Fin einen Blick zu. Ihr schwarzes Haar hatte sie zu aufwendigen Locken gedreht und ihre Augen waren so dunkel wie die Nacht. Ihn überlief eine Gänsehaut. Sie war genau so schrecklich wie in seiner Erinnerung. Sie wartete darauf, dass er wegsah. Aber heute nicht. Er hatte die Nase voll. Er hatte sich lange genung von ihr fertigmachen lassen. In der Schule. Im Rudel. Oft hatte sie seine eigenen Leute gehen ihn aufgehetzt. Mühsam war er aus diesem Strudel der Missverständnisse entkommen - und nun würde sie wieder beginnen. Und dann zogen sie auch noch Mona und ihre Familie mit hinein. Sein Blick wurde dunkler. Endlich wandte Lucinda sich ab. Und die Risse in Fins Herz heilten ein Stück mehr ab. Er würde sie nicht an sich ran lassen.

Woodchild  -  BEENDET Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt