Falsche Entscheidungen

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Fin

Sein Handy klingelte. Sie fuhren alle drei zusammen. "Mann, stell das doch leise!", zischte Oda. Schnell hob er sich das Telefon ans Ohr, bereit, den Anrufer abzuwimmeln. "Guten Tag, Umzugsunternehmen Schmitt, wie kann ich ..."
"Halt die Klappe Fin und hör mir zu!", erklang eine leise Stimme am anderen Ende der Leitung. "Luk?", hakte er ungläubig nach. Was war das für eine Nummer? "Ja, verdammt, Fin, hier läuft etwas absolut schief! Mona, sie ist hier, und Kristof und Lucinda und Artemis haben irgendwas dreckiges vor, und ..."
"Du weißt wo sie ist?!", unterbrach er ihn. Luk hielt kurz inne. "Wir sind im Westwald. Ein Bunker im alten Militärgebiet, da, wo die Fliegerbomben liegen sollen. Beeil dich, sonst kann ich ihr nicht mehr helfen." Dann wurde das Gespräch beendet. In Fins Brust flatterte es vor Angst und ein wenig Erleichterung. "Wir müssen zum Militärgebiet. Sofort. Oda?" Sie nickte wortlos. "Dalang." Sie verleiß den Kiesweg und stampfte durchs Unterholz. Quentin und er folgten ihr auf dem Fuße.
Etwa nach einer dreiviertel Stunde wurde es dunkel. Man sah im dichten Wald kaum die Hand vor Augen. Q hielt auf einer Lichtung inne. "Wir sollten morgen weiter gehen. Nachts sind wir hier sicherer als unter den Bäumen." Widerwillig blieb Fin stehen. Es musste sich eingestehen, dass Q eindeutig recht hatte. Wenn er nachts überfallen würde, wäre Mona verloren. Da warteten sie hier lieber und sammelten ihre Kräfte. Er setzte sich ins Gras und schloss kurz die Augen. "Okay. Wir ruhen uns aus, und bei Sonnenaufgang gehen wir weiter. Kein Feuer und einer hält immer Wache. Am Besten mit aktivierten Blütersinnen." Oda pflanzte sich neben die Jungs und nickte. "Verstanden, Chef." Q lachte leise. Doch als Fin nicht einmal ein Kichern entwich, wurde seine Mine ernst. "Wir finden sie, okay? Du weißt wahrscheinlich genau so gut wie ich, wie viel Mona aufm Kasten hat. Die lässt sich nicht so schnell unterkriegen." Seine Stimme war ruhig und gefasst. Das half Fin etwas. "Und", fügte Oda hinzu "außerdem überlebt es Artemis nicht, wenn er ihr weh tut. Ich werde ihn eigenhändig in Stücke reissen, und Kristof und Lucinda gleich dazu." Beim Namen ihrer Schwester trat ein glühender, furchteinflößender Ausdruck in ihre Augen. Fin glaubte ihr jedes Wort. "Danke.", sagte er, ehrlich erleichtert. Oda öffnete ihren Rucksack und zog drei Äpfel, drei Schokoriegel und eine große Flasche Wasser heraus. Es war ein mageres Abendessen, aber Fin hatte mit gar nichts gerechnet.
Er übernahm die erste Wache. Der Mond stand hoch am Himmel und tauchte alles in ein gleißendes, silbriges Licht. Und während er in den Himmel blickte, dachte er an Mona.

Mona

Ich krümmte mich vor Schmerz als meine Sinne widerkehrten. Ich blinzelte in das helle, sterile Licht. Meine Hände ballten sich zu Fäußten, ich wollte mich aufsetzen und schreien, doch nichts davon gelang mir. Ich war noch immer an den kalten OP-Tisch gefesselt, lag immer noch inmitten des großen Labors. Niemand außer mir war hier. Es war totenstill. Eine tiefe, grausame Verzweiflung packte mich. Ich war allein. Sie würden mich immer weiter schwächen, bis ich zusammenbrach und nicht mehr aufstand. Ich würde allein sterben, mein Körper würde irgendwo im Wald verscharrt, Dad würde nie erfahren was mit mir geschehen war. Und Fin. Ich würde ihn nie wieder sehen. Ein großer Kloß in meinem Hals bildete sich, schnürte mir die Luft ab. Ich kniff die Augen zu, verweigerte die Tränen. Scheiße nochmal, das darf doch nicht wahr sein!
Die Tür öffnete sich. Augenblicklich vergaß ich meine Trauer. Nun wich sie gebieterischer, lodernder Wut. Als Tyrell den Raum betrat, bäumte ich mich so weit wie möglich auf. "Du! Ich wusste von Anfang an, dass du ein Verräter bist! Du hast Fin hintergangen, das Rudel im Stich gelassen! Wie kannst du das mit deinem Gewissen vereinbaren? Sag etwas! Irgendwas!" Das alles brüllte ich, bevor er auch nur bei mir angelangt war. Als er vor mir stand, waren seine Augen leer. Icht konnte nichts darin sehen. Wortlos schnallte er mich vom Tisch los. Ich zappelte in seinen Armen. Wir verließem das Labor. Erst als wir bereits einige Minuten durch das finstere Kellergewölbe unterwegs waren, begann ich zu realisieren, dass Tyrell mich nach oben trug. Künstliches Licht wurde durch Fenster ersetzt. Ich sah zum ersten Mal seit vielen Stunden die Außenwelt. Es war wie ein Schlag ins Gesicht. Ich sah Bäume, einen Teil vom Himmel. Ich schätzte, dass eben der Tag anbrach. Es wurde allmählich hell draußen. Ich wandte mich Tyrell zu, unsere Gesichter waren so viel näher beieinander. Ich spürte seinen Atem an meinem Hals."Wohin bringst du mich? Wie lange war ich hier?" Er sprach, ohne mich anzusehen. "Du bist seit gestern Abend hier. Circa. Und ich bringe dich raus. Artemis will dich irgendwo hinbringen. Ich habe keine Ahnung, wohin. Aber da ich kein Gewissen habe, sollte es mich auch nicht interessieren." Ich sah ihn unverwandt an. "Warum tust du das?", fragte ich so leise, dass ich nicht sicher war ob er es gehört hatte.
"Man trifft Entscheidungen, ohne zu wissen, wie sie das Leben beeinflussen. Manchmal sind sie gut, manchmal grottenschlecht, Kleine. Merk dir das lieber. Ich selbst zum Beispiel wäre froh, wenn ich meine Entscheidungen mit dem Kopf, und nicht mit dem Ego getroffen hätte." Das sagte er ebenso leise wie ich. Sein Blick huschte kurz zu mir, und ich hätte mein linkes Bein darauf verwettet irgendwas darin erkennen zu können ... Bedauern? Trauer? Ich sutzte. Hatte er eine Ahnung, was Artemis mit mir vor hatte? Regte sich deshalb sein Gewissen? Oder ... wollte er mir helfen? Mein Puls erhöhte sich. Doch bevor ich noch ein Wort sagen konnte, stieg Tyrell eine enge Treppe hinauf und im nächsten Moment standen wir in einer Halle mit tiefer Decke. Eine Tür, etwas zu hoch in der Wand, stand offen. Tyrell setzte mich davor ab und deutete mir, hindurch zu klettern. Ich begriff, dass alles darauf hinwies, dass ich in einem neu ausgestatteten Bunker aus dem 2. Weltkrieg gelebt hatte. Mitten im Wald. Bevor ich meine Gedankengänge weiter ausbauen konnte, erschien Lucinda vor dem Gebäude, sah auf mich herab. "Na komm, Püppchen. Artemis will nicht ewig warten." Bevor ich reagieren konnte fuhr ihre Hand mit den Krallenfingernägeln vor und grub sich in mein Haar. Ich schrie auf, als sie zog. Sie lachte boßhaft. Hinter mir meinte ich zu hören wie Tyrell scharf die Luft einsog. Widerwillig kletterte ich auf allen vieren hinaus, richtete mich auf - und wäre fast wieder zusammen gebrochen. Was auch immer mir injeziert worden war, es schwächte nicht nur meine Kräfte. Dennoch erschloss sich mir noch immer nicht Artemis Plan. Was bezweckte er damit. Nun ging endgültig die Sonne auf. Gierig reckte ich mein Gesicht der Sonne entgegen. Ich konnte wieder klarer denken - bis Lucinda mich erneut an meiner Mähne zu sich riss. Ein Knurren entwich meiner Kehle, ich starrte wütend zu ihr auf. "So knuffig. So themperamentvoll. Bin ich froh, dass wir dir das bald austreiben." Damit führte sie mich um den Bunker herum. Tyrell ging nah neben mir, er hatte meinen Arm genommen und sanft auf den Rücken gedreht. Für andere musste es so aussehen als hinderte er mich am Abhauen, doch ich merkte wie er mich aufrecht hielt, mir ein wenig von meinem Gewicht nahm. Ich konnte seinen schnellen Puls gegen meinen spüren. Artemis, Kristoff und Luk warteten an einem weißen Lieferwagen. Auf den Gesichtern der drei Zentauren fand ich völlig unterschiedliche Ausdrücke. Artemis wirkte bösartig amüsiert, ungefähr wie Lucinda. Kristoff trug ein überhebliches Grinsen zur Schau, das ich ihm am liebsten aus der Visage gewischt hätte. Nur Luk stand Panik in die Augen geschrieben. Seine Lippen waren fest aufeinander gepresst, er starrte mich unverwandt an. Ich mied seinen Blick. Sie durften nicht misstrauisch werden. "Na endlich. Steigt ein. Tyrell, du fährst mit ihr hinten. Bind ihr die Hände auf den Rücken." Artemis reichte dem Wolf ein paar ziemlich unbequem aussehende Kabelbinder. Dieser führte mich zum Transporter, und drückte mich mit dem Gesicht voran gegen den Wagen. Er packte unnötig fest zu. Vielleicht der Ausgleich zu der ungewöhnlich sanften Behandlung vorhin. Jetzt kam mir ein Stöhnen über die Lippen, das man wohl oder übel zweideutig auffassen konnte. Verdammt nochmal. Wie erwartet begann Lucinda zu kichern und stupste Kristoff an. "Ooooh, das ist ja fast wie bei Fifty Shades of Grey. Kommt Jungs, wir sollten die beiden einsperren - bevor sie sich nicht mehr beherrschen können. Was Finnian wohl dazu sagt?" Ich wollte ihr das hübsche Gesicht zerkratzen. "Dann los. Und schluss mit dem Herumgealber, das können wir nicht brauchen. Rein mit euch, die Zeit läuft uns davon. Frey ist unterwegs.", erwiderte Artemis ungerührt. Sie stiegen ein und Tyrell hob mich in den Lieferwagen. Er knipste eine Neonleuchte an der Wand an, ließ sich daran herabrutschen und ich plumpste ihm gegenüber auf den staubigen Boden. Wir starrten uns an. "Scheiße. Verdammt. Was mach ich denn jetzt?", zischte ich mehr zu mir selbst als zu ihm. Dann zwang ich mich, tief einzuatmen und schloss kurz die Augen. "Woher kommt eigentlich dein Name? Ich kenn nicht viele Europäer die so heißen.", fragte ich ihn dann, völlig aus dem Zusammenhang gerissen. Kurz meinte ich zu sehen wie sein Mundwinkel zuckte. "Liegt wahrscheinlich daran, dass es ein ziemlich neumodischer Name ist. Ich bin aus den USA hergezogen als ich Ärger mit meinem Rudel dort hatte. Sie haben mich verbannt - und Fin hat mich aufgenommen. Ich kam zufällig hierher, brauchte einen Job, und da stieß ich auf sein Rudel." Es klang so, als betrachtete er sich selbst nicht als Vollwertiges Mitglied des Rudels. Jetzt sah man deutlich den Zwiespalt in seinen Augen. Ich holte bereits Luft für eine Erwiderung, da klopfte es von der Fahrerkabine. "Hey Alter, verpass ihr das Mittel, das wirkt nich ewig! Oder bist du mit was anderem beschäftigt?" Das war Kristoffs Stimme. Sofort verhärtete sich sein Blick. Etwas glomm darin, das mir eine Gänsehaut bescherte. Er griff in die Hosentasche und holte ein Mäppchen hervor. Darin erkannte ich eine Spritze, die mit trüber Flüssigkeit gefüllt war. Anders als die vorherigen mit Kristallinhalt jagte mir diese höllische Angst ein. Ich starrte von dem Zeug zu Tyrell. Und wieder zurück. Er mied meinen Blick. Seine Knöchel waren weiß. Er rutschte auf mich zu, nahm mich erneut ungewöhnlich sanft am Arm. Er sah mir ein letztes Mal in die Augen und ich erkannte unendlich viel darin - dann stach er mir die Nadel anders als erwartet direkt in die Halsschlagader. Mein ohnehin schon malträtierter Körper sackte gegen den von Tyrell, dann wurde erneut alles dunkel.

Woodchild  -  BEENDET Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt