Aurora kann gut küssen

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Als dann auch Quentin endgültig abgehauen und aus meinen Gedanken verschwunden war, kam auch schon der nächste Mann zur Tür herein geschneit. Im wahrsten Sinne des Wortes. Erneut war ich gerade eben auf dem Weg in die Badewanne, da klickte das Türschloss und schon wurde Dad von einer kräftigen Schneeböe hereingefegt. Die graue Mütze hing ihm bis auf die Augen und seine Nase leuchtete rot. "Guten Abend.", begrüßte ich meinen Paps und lehnte mich ans Treppengeländer. Er blickte auf. "Na, schönen Tag auch! Stehst du schon lang da? Verzeihung wenn ich die Dame habe warten lassen." Er deutete eine Verbeugung an. "Es sei dir vergeben.", erwiderte ich trocken und wedelte abschätzig mit der Hand. Wir lachten beide. "Hunger?", fragte er und hob eine Papiertüte, die wohl jeder Fast Food-Liebhaber sofort erkannt hätte. Ach, wer brauchte denn schon eine Badewanne? Wir setzten uns auf die Couch. Nach etwa einer viertel Stunde fiel mir der Fehler in dieser Szenerie auf. "Warte mal. War heute nicht dieses Abendessen mit deinem ominösen Chef?" Paps kaute und schluckte. "Tja, er hat's verschoben. Keine Zeit. Er meinte, er meldet sich sobald sein Terminkalender etwas mehr Platz bietet."
Wenigstens klang Dad nicht allzu bedrückt. Also aß ich gemächlich weiter. Wir würden ihn schon noch kennenlernen.

Ich schlief aus. Frühstückte spät. Ließ mir mit allem sehr viel Zeit. Es war ja schließlich Sonntag. Aber letzten Endes trödelte ich wohl doch etwas zu lange herum. Als ich mich nun um kurz nach drei in die Badewanne sinken ließ, und das zusammen mit meinem Buch, verpennte ich beinahe dass Fin ja bald hier sein würde. Plötzlich natürlich auf Hundertachtzig fuhr ich hoch, kletterte aus der Wanne, wickelte mich in ein Handtuch und begann wie wild meine pinken Haare zu föhnen. Anschließend riss ich die Badezimmertür auf und stürmte durch den Flur und in mein Zimmer. Ohne nach Links und Rechts zu sehen, sprintete ich zu meinem Schrank, noch immer nur mit der dünnen Frotte bekleidet, und riss einigermaßen passende Klamotten von den Bügeln. Als mir das Handtuch durch die schnellen Bewegungen bis auf die Hüften rutschte erklang plötzlich ein erstickter Laut hinter mir. Ich zog die Augenbrauen verwirrt zusammen, dann warf ich einen Blick über die Schulter ohne mich umzudrehen. Tatsächlich, da saß Fin. Sichtlich angespannt, die Augen weit aufgerissen und mit hochrotem Kopf. "Ich ... ähm - Hi, Mona."
"H-hi." Ich lächelte leicht. "Du wolltest hier auf mich warten?" Ein Nicken.

Eine selbstgebleichte Jeans, dicke Wollsocken, Boots, ein T-Shirt mit einigen selbstzugefügten Löchern und eine selbstgestrickte Jacke bildeten das kuschelige Outfit. Die Haare zwirbelte ich hinter die Ohren und fasste die einzelnen Stränge zu einem lockeren Zopf zusammen. "So, das ist besser." Ich kam hinter meiner aufgeklappten Schranktür hervor, die ebenfalls als Umkleide diente und strich die Jeans glatt. Fin hatte noch immer rote Ohren. "Ja. Ja, eindeutig." Ich grinste leicht. "Wollen wir?" Er folgte mir die Treppe hinunter. Ich verabschiedete mich kurz von Dad und versprach, bald wieder zuhause zu sein. Danach stieg ich zu Fin in den Sprinter und wir ratterten vom zugeschneiten Hof.
Während der Fahrt dudelte das alte Autoradio fröhlich vor sich hin. Als wir auf eine gerade verlaufende Straße bogen und Fin mit gleicher Geschwindigkeit fahren konnte und somit nicht schalten musste, nahm ich meinen Mut zusammen und griff nach seiner Hand. Kurz warf er mir einen Blick zu, dann lächelte er warm. "Heute sieht's gut aus mit dem Wetter. Vielleicht haben wir Glück." Fin drückte meine Hand und strich sanft über meinen Handrücken. Ein Schauer überrieselte meinen Rücken.
Nach etwa einer viertel Stunde bremste Fin den Wagen ab und hielt am Straßenrand. Er wendete sich mir zu. "Komm schon!", forderte er mich auf und kletterte aus dem Wagen. Ich folgte ihm und stand daraufhin auf einem weitläufigen Feld. Es stieg ein paar hundert Meter weiter entfernt an zu einer kleinen Erhöhung. Genau darauf stapfte Fin zu. Seine dicke Jacke ließ ihn noch breiter und stärker wirken als ohnehin schon und mir wurde augenblicklich heiß. Meine Gedanken schnellten zurück zu der Nacht in der ich zu ihm ins Gästezimmer gegangen war und mein Puls beschleunigte sich. Als er sich zu mir umdrehte, um zu sehen wo ich blieb, rannte ich schnell los, bis ich bei ihm leicht außer Atem ankam. Die Sonne war bereits unter gegangen und es wurde noch kälter. Norwegen war eben nicht Florida. Und mittlerweile hatte ich dagegen gar nichts mehr auszusetzen. Gemeinsam stiegen wir den Hügel hinauf. Oben angekommen war der Schnee der letzten Tage abgetaut und wir fanden eine trockene Stelle. Da setzten wir uns, nicht ohne uns vorher eine dicke Wolldecke auszubreiten, und machten es uns bequem. Fin rückte ein Stück näher an mich heran und legte mir einen Arm um die Schulter. Ich lehnte mich an ihn, schlang meine Arme um seine Taille und atmete seinen sauberen Duft ein, der erdig und natürlich wie sonst auch duftete. "Danke, dass du mich hier her gebracht hast.", hauchte ich leise. "Gerne. Aber du hast die Aurora doch noch gar nicht gesehen." Er guckte mich von oben herab an. "Nicht so wild. Es ist trotzdem sehr schön." Ich wies nicht auf die Landschaft. Sondern sah Fin einfach nur an. Es war fast so als klebten wir aneinander. Ich konnte seinen Atem auf meiner kalten Nasenspitze spüren. Da bewegte er sich, beugte sich vor und - ein Rascheln in der Nähe ließ uns zusammenzucken. Fin setzte sich auf und verstärkte den Griff um mich. Ein scharfer Blick über die weite Ebene. Es war fast stockdunkel. Kein Licht am Himmel, nur eine unheimliche Stille. "Verdammt. Lass uns gehen, Mona." Er schnüffelte kurz, dann stand er langsam auf. "Was riechst du?" Ich erhob mich, nahm die Decke und warf sie mir über die Schultern. Fin zog mich Richtung Wagen. Ich rannte los, und schon bald zog ich ihn. Als wir endlich im Sprinter saßen, fuhr er ohne einen Kommentar an und wendete geübt auf der engen Straße. Und somit waren wir schon wieder auf dem Weg nach Hause. Nach einer Minute holte ich tief Luft. "Waren es Leute von Artemis oder Tyrell?" Fin warf mir eine Blick zu. "Ich weiß es nicht genau. Ich weiß nur, dass es sich nicht gut anfühlte." Er seufzte. "Das klingt blöd. Es tut mir leid, Mona. Das sollte unser Abend werden. Ich habs versaut." Er hieb leicht auf das Lenkrad ein. Ich legte eine Hand an seine Wange. Dann lächelte ich. "Es ist immer noch unser Abend, Fin.", sagte ich und löste damit offensichtlich etwas in ihm aus. Er bremste. Stellte den Motor aus. Es war still. Fin sah hinaus in die Nacht, holte tief Luft, dann wandte er sich mir zu, beugte sich über die Mittelkonsole und küsste mich.
Auf den Mund.
Als seine kühlen Lippen auf meine trafen durchbrannte mich Hitze. Sofort bäumte sich mein Körper auf, es war, als würde ich magnetisch angezogen werden von ihm. Ich erwiderte und vertiefte den Kuss, und in weniger als zehn Sekunden hatte mich Fin zu sich auf den Sitz gehoben. Ich saß praktisch auf ihm, drückte ihn in die Rückenlehne und legte die Hände auf seine Schultern. Seine Arme schlangen sich um meine Taille, er drückte mich an sich, bis kein Blatt mehr zwischen uns passte. Ich konnte nicht fassen, dass das hier eben geschah. Noch nie hatte mich jemand so geküsst, geschweige denn dass ich jemals jemanden so zurück geküsst hätte. Als ich kurz zurück wich, um Atem zu holen, erkannte ich das aufgeregte Funkeln in Fins Augen. Seine Brust hob und senkte sich hektisch, er betrachtete mein Gesicht eingehend. Als ob er es ebenfalls nicht wahrhaben konnte. Er fuhr sanft über meinen Rücken, meine Hüften. Die Jacken hatten wir schon längst abgestreift, seine Hand wurde also nur noch von meinem Shirt von meiner Haut getrennt. Dieser Gedanke machte alles noch wesentlich aufregender. Sein Blick wanderte über meinen Oberkörper. "Ich habe dich schon viel freizügiger gesehen. Trotzdem -" Er musste den Blick abwenden und holte tief Luft. "Woah." Ich grinste schelmisch. "Ganz genau - einfach Woah."

Woodchild  -  BEENDET Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt