Erklärungen für Monas Füße

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Anstelle meiner gemütlichen Socken erblickte ich ein Paar lange, knochige Rehbeine. Braunes Fell mit weißen Punkten, gespaltene Hufe die im Schnee einen starken Kontrast bildeten.
Hey Mona.
Du hast Füße wie ein Rehkitz.
Ja, mein Verstand spielte mir keinen Streich. Keine Waden, keine Füße und keine Zehn mehr.
Scheiße.
Aus reiner Gewohnheit wollte ich mir durch die pinkten Haare fahren - doch meine Finger stießen gegen etwas zwischen den Strähnen. "Was zum -?" Schwere Schritte hinter mir brachten mich aus dem Konzept. Ich wirbelte herum und wollte schon auf die Beine springen, doch die kleinen Hufe ermöglichten es mir nicht und ich sackte zurück in den Schnee, der auf meiner Haut brannte. Das Blut meiner aufgeschürften Hände rann von meinen Fingerspitzen ins gefrorene Wasser, das langsam meine Kleidung durchnässte.
Die Schritte erreichten mich und neben mir sank ebenfall etwas auf die Knie. Zitternd und verwirrt sah ich auf - und kippte schreiend hinten über auf meinen Hintern. Vor mir saß Fin. Nur nicht der Fin, den ich kannte. Jedenfalls äußerlich nicht. Keine normalen menschlichen, sondern Ohren wie die eines Hundes standen unter seinen Haaren hervor und Fins sonst gerade Nase war zu einer feucht glänzenden, schwarzen Schnautze geworden. Seine Zähne waren spitzer, und anders angeordnet.
Fin sah aus wie ein Hund.
Als er die Hände geflexartig hob, bemerkte ich die Krallen, die nun seine Fingernägel ersetzen. Mein Herz schlug mir schmerzhaft gegen die Brust. "Mona. Hey, Mona. Alles okay - nein halt, bleib hier! Lass es mich erklären!" Er wollte mich festhalten, doch ich war zu schnell. Ich rappelte mich instinktiv hoch und entriss meinen Arm Fins Klauen, die blutige Kratzer auf meiner Haut hinterließen. Erschrocken suchte ich das Weite, sprang unbeholfen über das Feld, nicht wissend, was hier gerade vor sich ging. Fins Stimme hallte über die weite Fläche, panisch, vielleicht noch verzweifelter als ich mich momentan fühlte. Eigentlich wollte ich nicht von Fin wegrennen, ich wollte wissen was das hier alles sollte, doch etwas stärkeres, instinktiveres, brachte mich dazu vor Fin beinahe Angst zu haben. "Mona!" Ein Schatten fiel über mich und im nächsten Moment wurde mir blitzschnell ein Bein gestellt. Ich strauchelte, landete erneut im Schnee. Alles war kalt, brannte und schmerzte. Dann spürte ich warmen Atem auf meinem Gesicht. Ich öffnete blinzelnd die Augen. "Denk nicht an den Wolf. Denk an mich, Mona. Ich bin immer noch der selbe. Okay? Versuch den Instinkt zu ignorieren. Bitte, bleib bei mir.", keuchte Fin. Er hatte sich über mich gebeugt, meine Arme hielt er an beiden Seiten meines Kopfes fest in den Boden gedrückt. Seine Nase alias Schnautze war nur wenige Zentimeter von meiner entfernt. "Okay.", brachte ich hervor. Daraufhin rappelte der Wolf-Fin langsam hoch und reichte mir die Hand, um mir auf die ... Hufe zu helfen. "Dann lass uns mal das hier klären, Wolfie."

Fin

Sie setzen sich auf die Couch und Mona breitete die große Flickendecke über ihnen aus. Dann begann Fin mit einer ellenlangen Erklärung, der Mona schweigend zuhörte. "Ich dachte es mir, seit ich dich zum ersten Mal in Hamburg gesehen hatte. Ich hatte schon die ganze Zeit das Gefühl, dass du anders bist, so wie ich. Wir sind beide keine Menschen, jedenfalls nicht ganz. Wir sind Naturseelen. Guck nicht so, so ist nunmal die Bezeichnung. Wir sehen meistens aus wie gewöhnliche Menschen. Aber wenn es ernst wird, wenn die Jahreszeiten wechseln zum Beispiel oder man uns bedroht oder wir einfach nur ganz und gar unseren Gefühlen freien Lauf lassen wollen, können wir je nach Übung problemlos in eine andere Gestalt wechseln. Wir sind nicht direkt Tier und auch nicht ganz Mensch. Wir sind etwas dazwischen, soetwas wie Gestaltwandler. Es gibt verschiedene Arten von uns. Ich gehöre, wie du wahrscheinlich bereits erraten hast, zu den Wolfblütern. Du bist ein Rehblut. Und es gibt noch viele andere Spezien, aber das ist gerade nicht wichtig. Uns gibt es überall auf der Welt, je nach Klima variieren die Arten. Die meisten von uns werden mit dieser Gabe geboren und die Fähigkeite erwachen mit zehn oder zwölf, bei Mädchen meistens bei der ersten Monatsblutung. Aber bei manchen kann es sich auch verzögern." Er lächelte das Mädchen vor ihm an. Die schwarze Rehschnautze und die spitzen braunen Ohren waren mitlerweile wieder verschwunden und Mona hatte ihre gewohnten Füße zurück, worüber sie zeitgleich erfreut und traurig war. "Die ersten Symptome der endgültigen Entwicklung und letztendlichen Erweckung der Kräfte sind starke Kopfschmerzen, Schwindel, schwindende Konzentration und der plötzliche Drang, sich viel zu bewegen. Außerdem können die Körperteile, die am anfälligsten für dir schnelle Halbverwandlung - das was mir eben hinter uns haben - sind, ab und an zu jucken oder kitzeln anfangen." Er sah sie von unten herauf schelmisch an und sie zog die süße Nase kraus, als Zeichen, dass sie verstanden hatte. Er lachte leise. Sie wollte sich das Haar aus dem Gesicht streichen, doch als sie ihre Finger bewegen wollte zuckte sie zusammen. Sofort verspannte sich seine Körperhaltung. Sie fuhr vorsichtig über die schmutzigen Ränder der Schürf- und Schnittwunden an ihren Händen und er sah wie sie die Lippen verbissen zusammenpresste. "Komm, das muss sauber gemacht werden.", sagte er und warf die Decke zurück. Erschrocken stellte er fest dass auch ihre nackten Füße wund und schmutzig waren. Er selbst war glimpflich davon gekommen. "Das war deine erste Verwandlung, da geht immer etwas schief.", beruhigte er sie. Sie versuchte tapfer zu nicken, doch ihre Augen sagten mir wie viele Fragen ihr noch im Kopf herumschwirrten. Er schenkte ihr ein möglichst beruhigendes Lächeln und schob kurzerhand seine Arme unter ihren noch liegenden Körper hindurch, um sie ins Badezimmer zu tragen. Überrascht riss Mona die braunen Augen weit auf, die nun wieder mehr und mehr an die eines Rehs erinnerten, und krallte sich überrumpelt an meinem Shirt fest. "Du - du Idiot! Ich kann schon allein gehn', Hey! Fin!" Als sie seinen Namen sagte ging ihre Empörung in schallendes Gelächter über und sie strampelte mit den Beinen. Grinsend trug er sie die Treppe hinauf und setzte sie in die breite Badewanne. "Wo ist euer Verbandszeug?" Mona machte es sich in der Wanne bequem. "Da oben im Schrank." Er wandte sich um und räumte den Hängeschrank fast komplett aus. Desinfektionsmittel, Pflaster, Verbände wanderten in die Wanne. Mona setzte sich an den Rand und begann die vielen kleinen Wunden mit dem Mittel zu säubern. Oft verzog sie schmerzvoll das Gesicht als der Alkohol brannte. Er wickelte den Verband ab und versorgte eine besonders tiefe Schnittwunde an Monas Knöchel. Der Moment, indem er ihre empfindliche Stelle über der Ferse berührte, bereitete ihm ein seltsam intensives Gefühl in der Brust. Kurz hielt er inne, seine Hand ruhig auf ihrer Haut liegend. Er sollte sie nicht so berühren. Ihm war beswusst, dass es Probleme geben könnte wenn die anderen aus seinem Rudel erfuhren, wie gern er Mona hatte. Für die Wölfe waren die Rehblüter mehr Beute als gleichgestellte Lebewesen. Zwar fraßen sie sich nicht gegenseitig, doch die unausgesprochene Rangliste der Naturseelen war klar. Die Schwächeren waren die Unterdückten. Und die Starken sahen es nicht gern wenn einer von ihnen die Mannschaft wegen Mitleid oder gar Liebe verließ. Naturseelen kannten sich untereinander, egal ob verwandelt oder nicht. In menschlicher Gestalt blieb jede Spezies unter sich, es herrschte regelrecht Krieg unter den Arten. Nur selten traute sich jemand dem Gruppenzwang die Stirn zu bieten. Und er hatte es da doch noch um einiges schwerer als die anderen aus seinem Rudel - schließlich war er sozusagen der stellvertretende Alpha. Schnell verdrängte er diesen dummen Tietel und machte sich daran Monas Wunde zu versorgen. Einige Zeit arbeitete er übertrieben sorgfälig an ihren Verletzungen, nur um sie nicht ansehen zu müssen. Doch so einfach wollte sie es ihm nicht machen. "Tyrell ist auch ein Wolfsblüter, oder? Und er hat nicht so eine hohe Stellung wie du bei euch, kann das sein? Weil er letztens beim Umzug vor dir gekuscht hat obwohl er kräftiger ist als du. Und er hatte einen ähnlichen animalischen Gesichtsausdruck wie du ab und zu." Et sah sie überrascht an. "Gut kombiniert, Pinkie." Das war wirklich eine gute Zusammenfassung gewesen. Sie hatte die richtigen Schlüsse gezogen aus nur wenigen Informationen. Erneut ein Beweis, dass sie eindeutig zu den klugen, einfühlsamen aber auch aufbrausenden und eigenwilligen Rehblütern gehörte. "Dafür wollte ich mich auch nochmal bedanken." Das machte ihn nun doch neugierig. Er ließ kurz von ihr ab. "Was?"
"Ich will mich bei dir nochmal bedanken. Dass du mich vor diesem Arsch gerettet hast. Ohne dich wär' das sicher nicht so glimpflich ausgegangen. Danke. Letztens habe ich es ja nicht auf die Reihe gebracht meine Dankbarkeit zu zeigen." Das brachte ihn zum lachen. "War doch nicht der Rede wert. Tyrell schlägt gern mal ab und zu über die Stränge. Ich muss ihn oft zurecht weisen.", erklärte er und klebte ein Pflaster auf den Verband um ihn an Ort und stelle zu halten. "Und wann denkst du, hören diese Kopfschmerzen wieder auf?", wollte sie wissen und rieb sich sie Augen. Es war schon relativ spät und man sah ihr die Müdigkeit deutlich an. "Es kann noch einige Zeit dauern, aber das ist bei jedem unterschiedlich. Aber was ich dir sicher sagen kann, ist, dass du viel schlafen musst." Er gab sich ernst und stand auf. Er wollte sie bereits erneut auf den Arm nehmen, doch so schnell konnte er gar nicht gucken, da stand sie auch schon und sprang aus der Badewanne. "Ich kann allein gehen.", erklärte sie.
Auf dem Weg nach oben gerieten sie ins Schweigen. Als Mona vor ihm in ihrem Zimmer ankam und versehentlich die Tür hinter sich zustieß, blieb er wie angewurzelt davor stehen. Vielleicht wollte sie nicht dass er ihr folgte. Und er sollte es auch nicht. Das Rudel ... seine Pflichten ... Die Tür wurde aufgerissen. Mona stand vor ihm. Natürlich. "Was ist? Keine Angst, ich zieh' mich nicht mehr um wenn die Möglichkeit bestehst, dass irgendein norwegischer Möbelpacker einfach so hereinplatzt." Das trieb ihm augenblicklich die Röte den Hals hinauf. Sofort musste er an Mona nur im BH denken, wie sie vor der breiten Fensterfront stand, ihre schlanke Silhouette ein dunkler Kontrast zum grauen Winterhimmel. Ihr schallendes Lachen katapultierte ihn zurück in die Realität. Blitzschnell packte sie ihn am Arm und zerrte ihn ins Zimmer. Dort fiel die Nervosität von Fin ab und er übernahm die fürsorgliche Beschützer-Rolle wie gerade eben im Basezimmer. Er wies sie an, sich ins Bett zu legen, und sie gehorchte zu seinem Erstaunen tatsächlich.
Sie zerrte die dicke Daunendecke über sich und vergrub sich wohlig seufzend in den fluffigen Federn. Etwas in ihm wurde warm und seine Finger begannen zu kribbeln. Schnell wandte er mich ab. Sie wollte doch sowieso nichts von ihm. "Was ... war das eigentlich vorhin? Weswegen du angerufen hast?" Ich hielt die Luft an. Verdammt. "Tyrell. Ich musste ihm nochmal die Leviten lesen." Verlegen räusperte ich mich. Sie setzte sich auf und legte den Kopf schief. "Was heißt für dich >die Leviten lesen<? Ein saftiger Streit oder 'ne gute Prügelei?" Er ließ sich stöhnend auf ihren Sessel fallen und rieb sich die Schläfen. "Wieso schaffst du es immer alles lustig klingen zu lassen?"
"

Woodchild  -  BEENDET Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt