7

48 4 1
                                    

Braune Augen tauchen in meinem Sichtfeld auf. Richtig: ich sehe wieder!
Ich hole tief Luft und bin überrascht, dass es auf Anhieb funktioniert. Frische, klare Luft strömt in meine Lungen und meine aus Reflex angespannten Muskeln lösen sich langsam wieder.
Ich muss irgendwo draußen sein.

Wie lange ich wohl weg war?

Ich erinnere mich zum Glück noch an alles. An die Besichtigung, an die Portraits, an mein Zusammenbrechen.
Jetzt lässt es sich wohl nicht mehr vermeiden mich untersuchen zu lassen.
Ich bin sowieso überrascht, dass ich nicht im Krankenhaus aufgewacht bin.
Sei froh, dass du überhaupt aufgewacht bist, ermahnt mich ein Teil von mir. Der Teil, der noch gar nicht glauben kann, dass ich noch lebe.
Was wäre dann nur aus Mom geworden?

Erschrocken setze ich mich auf. Mom! An die habe ich überhaupt nicht gedacht. Sie muss außer sich vor Sorge sein!
"Ganz langsam!", unterbricht mich eine ruhige Stimme und ich schrecke abermals zusammen. Jetzt erst nehme ich meine Umgebung richtig wahr. Ich befinde mich auf einer Wiese in der Nähe eines Waldes. Falsch. Wir befinden uns dort. Vor mir kniet ein braunhaariger junger Mann und beobachtet mich aus ebenfalls braunen, unergründlichen Augen. So viel braun.
Okay. Das war jetzt nicht geplant. Ich setze mich ganz hin und halte dann kurz inne. Mein Kopf schwimmt noch ein wenig.

"Recht unangenehm, nicht wahr?", fragt er jetzt. Ich runzle die Stirn. Er spricht, als wüsste er genau was mit mir passiert ist und aus irgendeinem Grund komme ich mir vor wie ein Forschungsobjekt. Vermutlich liegt es an dem forschenden Blick, der mich einfach nicht loslässt. Unbehaglich schaue ich zur Seite.                                                                                                         "Ja, sehr... unangenehm.", wiederhole ich seine Worte. Dann beschließe ich einfach direkt zur Sache zu kommen.
"Warum bin ich hier? Was ist mit meiner Mom?"
Ein Lächeln schleicht sich in sein Gesicht und ich kann nicht anders, als ihn anzustarren. Es sieht einfach attraktiv aus. Aber jung...
"Jemand hat sich um sie gekümmert.", erklärt er und schaut auf etwas hinter mir. "Ah da kommt er ja schon!"
Vorsichtig drehe ich mich um, in der Erwartung eine völlig aufgelöste Mom auf mich zustürmen sehen zu können, aber alles, was ich sehe ist ein anderer Typ, der zielstrebig auf uns zuhält. Meine Güte, sehen alle hier so gut aus?
Dafür ist jetzt keine Zeit!, ermahne ich mich streng.

"Hey Caroline!",grinst der neu eingetroffene Blonde und innerlich schlage ich mir gegen den Kopf.
"Woher kennst du meinen Namen?", frage ich. Und schnell setze ich noch ein: "Was ist mit meiner Mom?", hinterher. Ich bin furchtbar durcheinander und gleichzeitig noch erschöpft. Hoffentlich kann ich noch eine Weile sitzenbleiben.
Abwartend schaue ich die beiden an.
"Habs geschafft", grinst der Neuling und der Braunhaarige atmet erleichtert auf.
"Ich bin übrigens Sam. Meinen geliebten Bruder kennst du ja sicher schon."
Bruder? Sie sind Brüder? Ich schaue verwirrt vom Einen zum Anderen. Sam deutet meinen Blick richtig.
"Du hast ihr noch nicht mal deinen Namen gesagt?", vorwurfsvoll schaut er seinen Bruder an. "Mann! Da wundert mich nichts mehr."
"Sie ist gerade erst aufgewacht!", verteidigt der sich und lächelt mich an. "Ich bin Paul."
Ich grinse verlegen zurück. "Caroline.", erwidere ich.

"Was ist jetzt mit meiner Mom?", ungeduldig schaue ich zwischen den beiden bin und her.
"Jaja.", Sam hebt abwehrend die Hände. "Ganz ruhig. Deine Mom hat nichts mitbekommen. Bis sie gekommen ist hatten wir dich schon da raus. Ich konnte sie glücklicherweise davon überzeugen, dass du mit deinem Lover unterwegs auf einem Überraschungsdate bist und sie ist nach Hause gefahren. "
Ungläubig keuche ich auf. "Das hat sie nie im Leben geglaubt! Sie würde sich niemals so leicht abwimmeln lassen!"
Und mich einfach zurücklassen würde sie auch nicht.

"Natürlich war etwas mehr Überzeugungsarbeit nötig.", räumt Sam ein. "Ich musste Matthias mir ins Boot holen, sonst hätte sie mir das nie abgenommen. Aber Loverboy war sehr überzeugend. Ihm hat sie es sofort geglaubt." Etwas gekränkt schaut er mich an. Offensichtlich ist er überzeugt davon, dass er es auch selbst geschafft hätte.
Ich kann noch immer nicht glauben, was ich da höre.
"Woher kennt ihr Matthias?", ist schließlich das einzige, das ich herausbekomme. Ich bin noch zu geflasht, um etwas vernünftiges zustande zu bringen. Am liebsten hätte ich mich wieder hingelegt, aber das würde seltsam aussehen.
"Er ist unser Onkel.", erklärt Paul. "Glücklicherweise schwärmt er seit gestern ununterbrochen von einer gewissen Ann, sogar ein Foto hat er gemacht, ist das zu fassen? Den hat es total erwischt. Jedenfalls haben wir sie sofort erkannt.",schaltet sich Sam wieder ein.
Krass! Ihr Onkel. Die Welt ist klein.
"Und jetzt?", will ich wissen. "Warum habt ihr Sie überhaupt weggeschickt?"
Das ist der Punkt, den ich noch immer nicht verstehe.

Zwei Typen sehen eine Touristin die zusammenbricht. Sie schleppen sie aus unerfindlichen Gründen aus dem Schloß und belügen ihre Mutter, damit die ohne ihre Tochter nach Hause fährt. Ihnen wird vom fast Freund der Mutter und gleichzeitig ihrem Onkel geholfen.
Also für mich klingt das nach Verbrechen, Entführung oder sonst was.
Es sei denn... es sei denn sie wissen mehr. Angenommen sie wüssten, dass mein Anfall von diesem Schloß kommt... Das würde erklären, warum ich hier draußen bin.
Hm.
Eine Hand wedelt vor meinem Gesicht herum.

"Hey!", schreit Sam in mein Ohr. Ich schrecke zusammen.
"Was denn? ", frage ich mürrisch. Ich hasse es, wenn man mich beim Denken unterbricht. Und noch mehr hasse ich es, wenn man mir ins Ohr schreit.
"Ich dachte schon du fällst gleich nochmal um.", vorwurfsvoll wirft er mir einen strengen Blick zu. "Willst du es jetzt wissen oder nicht?"
"Was denn?", frage ich verwirrt und schaue zwischen den Brüdern hin und her. Paul grinst, als Sam die Augen verdreht.
Komische Typen. Brüder. So verschieden.
"Warum seid ihr so verschieden wenn ihr doch Brüder seid?", frage ich das, was mir gerade durch den Kopf geht.
Sam stöhnt. "Stellst du immer so viele Fragen und hörst nicht zu wenn man dir antwortet?", stellt er die Gegenfrage. Ich blinzele verwirrt. Offensichtlich ist mein Kopf noch nicht auf dem neuesten Stand.
"Vielleicht liegt es noch daran.", meldet sich Paul zu Wort. "Sie war vor ein paar Minuten noch ohnmächtig, man!" Fast schon sauer schaut er seinen Bruder an.
Beschwichtigend hebt Sam die Hände. "Na schön, na schön."

Kurzzeitig ist es still. Nur die Vögel singen und der Bach nahe bei uns rauscht. Ich bin furchtbar müde. Der Anfall hat mich geschwächt. Und hier ist es so wunderschön.
Sam hat sein Handy herausgeholt und runzelt die Stirn, während er darauf herumtippt. Paul ist hinter ihn getreten und schaut mit. Offenbar ist es wichtig.
Leise und vorsichtig lasse ich mich wieder nach hinten ins Gras fallen und schließe die Augen. Bis die beiden fertig sind kann ich mich ja noch ganz kurz ausruhen. Wer weiß, was sie sonst noch mit mir vorhaben.
Die Tatsache, dass sie Matthias Neffen sind beruhigt mich ein bisschen. Und sympathisch sind sie mir bis jetzt auch. Bis jetzt.

Aber Matthias kann was erleben, wenn er Mom wirklich angelogen hat. Dann bin ich mir nicht sicher, ob der schlechte Umgang seiner Katze nicht auf ihn abgefärbt hat.  Sollte das alles eine List gewesen sein, dann ist er dran.

Oh man, bin ich durcheinander. Was ich brauche ist ein Bett. Ganz bestimmt.

Carbisdale - How to defeat the Spirit of CastlesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt