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Als wir ankommen ist es schon längst dunkel. Es ist fast halb neun und einige der Fenster des Schlosses, vor dem Wallace parkt, sind hell erleuchtet.

Carbisdale Castle.
Ein Ort, an den ich eigentlich nicht zurückkehren wollte.
Stolz und schön steht es da, unheimlich im Dunkeln.

Widerwillig schnalle ich mich ab und seufze ein wenig, als mich die kalte Luft nach Öffnen der Türe trifft.
Wirklich widerlich.

Wallace schließt sein Auto ab und bedeutet mir, ihm zu folgen. Irgendetwas raschelt im nahen Wald und ich halte mich dicht an meinem Begleiter.
Echt gruselig.
Wer wohnt hier freiwillig?

Wir gehen ein Stück um das große Gebäude herum, bis wir zu einer Seitentür gelangen. Unscheinbar und versteckt kauert sie zwischen einem kleinen Bäumchen und einer Steinmauer.
Die Atmosphäre ist still.
Zu still.
Die Ausstrahlung des Schlosses raubt mir fast den Atem. Sie engt mich ein und formt sich langsam zu einer durchsichtigen Kugel, die sich um meinen Geist zieht.
Schon wieder.

Ich atme tief ein und schaue Wallace zu, wie er einen Schlüssel aus seiner Hosentasche fischt und aufschließt.
Wahrscheinlich war es keine gute Idee hierher zu kommen. Und wahrscheinlich werde ich wieder zusammenklappen, denn die Kugel macht mich schwach.
Bis jetzt ist sie noch ganz harmlos, aber das wird sich bald ändern.

Mein Herz beginnt zu rasen, als ich an das Gefühl der hilflosen Ohnmacht denke. Deutlich spüre ich, wie es in meiner Brust hämmert und schlägt.
Von diesem Gefühl wird mir ganz übel.
Wie aus Zwang greife ich mir dorthin, während ich beginne schneller zu atmen. Die Luft in meinen Lungen scheint nicht auszureichen.

Reiß dich zusammen, ermahne ich mich. Du klappst sonst zusammen, ehe du überhaupt drinnen bist.
Es scheint zu wirken. Zumindest vorerst.
Es gibt keinen Grund zur Sorge.

Ich schaue in Richtung Wallace und ziehe erschrocken die Luft ein.
Seine Augen liegen auf mir und er sieht aus, als wüsste er ganz genau, was in mir vorgeht.

Die Tür steht offen.
Ohne etwas zu sagen gehe ich einen Schritt ins Gebäude, um einem vermeintlichen einfühlsamen Gespräch zu entgehen. Das ist das letzte, was ich jetzt möchte.
Alles, was ich brauche sind ein paar Antworten. Und dann verschwinde ich ganz schnell wieder, und zwar bevor ich zusammenklappe.
Ja, das nehme ich mir fest vor.

Entschlossen trete ich weiter ein, ein Stück in den unbeleuchteten Flur, sodass Wallace auch hinein passt und ich ihm nicht zu nahe sein muss.
Je schneller wir hier sind, desto besser.

Und prompt stolpere ich rückwärts über einen wirklich harten Gegenstand. Erschrocken kneife ich die Augen zu und bin überrascht, als ich weich lande.
Das Licht geht an und ich sehe, was meinen Sturz gemildert hat: eine Gaderobe mit gefühlt fünfzig Mänteln. Wem die wohl gehören?

Ich rapple mich auf.
"Alles in Ordnung?", durchbricht Wallace Stimme zum ersten mal die grässliche Stille und die Wände scheinen aufzuhorchen und ihm zu lauschen.
Sie saugen es förmlich auf.

Mein Blick gleitet die Wände hinauf. Schmutzige, kalt gestrichene Wände und Spinnweben vollenden die trostlose Atmosphäre eines leeren Raumes, der in Einen dunklen Gang mündet.
Nicht abzusehen, wo er endet.
Vielleicht in einer anderen Welt.
Das einzige, das hier farbig ist, ist ein weinroter Mantel an der Garderobe, der heraussticht wie eine Lampe in der Nacht.
Er passt nicht dazu.
Er ist genau so fehl am Platz wie ich.

Und irgendwo hier geistert wahrscheinlich Mary herum.
Kalt und emotionslos schleicht sie sich an, um sich auf ihre Beute zu stürzen und sie in den Wahnsinn zu treiben...
Vor meinem inneren Auge taucht ein Bild von Marys vermeintlicher Folterkammer auf.
Ein schreiendes Mädchen, das in kalten Gemäuern gefangen ist - ohne Chance zur Flucht. Alleine.
Nur mit Mary, die zombieartig auf sie zuschleicht und ihr so ihre letzten psychischen Hoffnungen und ihren Glauben austreibt.
Ihre toten Augen durchbohren sie, bis...

Carbisdale - How to defeat the Spirit of CastlesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt