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Ich spüre etwas Warmes. Etwas Warmes an meinem Körper.

Mühsam öffne ich die Augen und erblickte verschwommen eine Gestalt direkt neben meinem Kopf.

Wallace.

Ich blinzle. Seine Lippen bewegen sich und er wedelt vor meinen Augen herum.

So ist das also. Schade. Hätte ich noch länger Zeit gehabt, dann hätte ich ihm noch einmal erzählt, wie sehr ich ihn eigentlich mag.

Jetzt ist es zu spät. Zu spät.

Gelassen liege ich da, geschlagen.
Ich spüre, dass Marys Geist nicht mehr da ist. Eine große Last von meinen Schultern gefallen. Mary ist befreit und kann nun ihren Frieden finden. Ihre Seele ist nicht mehr an das Schloss gebunden, das jahrelang ihr Gefängnis  war. Sie ist frei. Wir sind frei.

Aber in jedem Krieg gibt es Opfer.
Auch mich?

Etwas Nasses rollt über meine Wange und gerührt stelle ich fest, dass Wallace weint. Um mich. Seine Tränen tropfen auf mich hinunter, während er sich zu mir herunterbeugt.

Und... oh oh oh.
Mein Herz klopft plötzlich schneller, als ich sehe, warum er sich herunterbeugt.

Und tatsächlich. Während ich hier liege, gebrochen und... ja... wie eigentlich...sterbend? Tatsächlich? liege, bekomme ich meinen ersten Kuss.

Weich berühren sich unsere Lippen und mein Mund kribbelt. Genauso wie der Rest meines Körpers. Mein Herz hämmert in meiner Brust, meine Hände zittern und mein Kopf gehört plötzlich wieder zu meinem Körper.

Ich bin wieder ich.
Wallace hat mich repariert und zurückgeholt.
Ich greife in seine Haare (oh man, das wollte ich schon lange tun) und ziehe in näher an mich, sodass er das Gleichgewicht verliert und mit seinem ganzen Gewicht auf mich plumpst.

Überrascht will er sich aufrichten, aber ich küsse ihn zurück, sodass wir wie ein Knäul verwurstelt auf dem Boden liegen und uns erleichtert förmlich verschlingen.
Wie im Märchen.

Der Fluch ist gebannt, die Welt... nun ja, zumindest ein kleiner Teil der Weltbevölkerung...ist gerettet und die Helden liegen knutschen, glücklich und zufrieden auf dem Boden (sehr romantisch)...

Bis das Licht angeht.

Komplett zurück in der Realität fahren Wallace und ich auseinander und während Wallace sich aufsetzt, streiche ich mir panisch die Haare glatt, die er zerwuschelt hat.

Wir sind immer noch in der großen Halle in Carbisdale, nur diesmal spüre ich dir Anwesenheit Marys nicht mehr. Es sieht ganz so aus, als hätten wir es geschafft!

Zufrieden lächle ich, bis ich sehe, wer das Licht angemacht hat. Ich schlucke. Mein Hochgefühl schwindet.

Mom rennt auf mich zu. Wütend schaut sie auf mich herunter.  "Caroline! Ich mache mir Sorgen, warte eine halbe Ewigkeit auf dich, fahre stundenlang durch die Nacht und finde dich so?  Knutschend mit diesem Typen in einer dunklen Ecke?"
Anklagend zeigt sie auf Wallace, der versucht möglichst unbeteiligt auszusehen.
Ich werde rot. Als Mom sich drohend zu mir wendet steckt Wallace mir die Zunge raus.
Verräter! Jetzt laufe ich noch röter an.

"Ich... hab mein Handy vergessen.", lüge ich und schaue  hilfesuchend zu Wallace, der mich auslacht.
"Wir wollten gerade los, ehrlich. Das... ist eben so passiert...plötzlich. "

"Passiert", mischt sich die tiefe Stimme Matthias' ein. "Aha."

Langsam wird es wirklich ungemütlich zwischen all den Leuten auf dem Boden zu liegen und ich setze mich vorsichtig auf.
Als sich nichts mehr um mich dreht, stelle ich mich hin und taumle.

"Alkohol Caro? Ernsthaft?", schnaubt Mom. "Seit wann bist du denn so drauf?"
Misstrauisch wendet sie sich zu Wallace. "Du!"

Er lächelt Mom an und ich sehe förmlich wie sie schmilzt. "Ahm... ja", murmelt sie nur und schaut zurück zu mir.

"Das hat noch Konsequenzen", fährt sie streng fort.

Hey? Ihn lässt sie davonkommen und ihr Tochter... unfair!
Protestierend öffne ich den Mund, aber Mom hat sich schon wieder abgewandt.
"Wir sprechen uns noch", sagt sie und läuft zu der großen Tür.
Matthias folgt ihr. "Wir übernachten alle bei Mary. In getrennten Zimmern."

Am der Tür dreht er sich nochmal  um, schaut um sich und nickt uns anerkennend zu.

Ja, wir haben es tatsächlich geschafft!

Verlegen schaue ich zu Wallace, der das natürlich ganz locker nimmt.

"Komm", sagt er und nimmt meine Hand. "Lass uns hochgehen."

Ich spüre seine Hand überdeutlich in meiner und auch seinen Blick, der auf mir ruht.

"Ich bin wirklich froh, dass es dir wieder gut geht", sagt er leise, während wir zum gefühlt hundertsten mal die Treppe in den ersten Stock gehen. Ich drücke seine Hand, sage aber nichts.

"Ich dachte wirklich kurz...es wäre zu spät", murmelt er und ich schaue zu ihm auf. Verlegen verwuschelt er seine Haare.

"Dabei sind wir doch so ein gutes Team.", sage ich und lächle ihn an. Er lächelt zurück.

"Genau", sagt er und ich weiß genau, dass er eigentlich noch etwas sagen möchte. Frag doch einfach!

"Es ist vielleicht etwas früh und wir kennen uns noch nicht lange", fährt er fort,  "aber... möchtest du mal mitkommen, meine Krokodile im Zoo anschauen? Danach könnten wir auch noch Essen gehen... oder so. "

Ich muss lachen. Das ist wirklich eine...originelle Art mich einzuladen. Und es erinnert mich aus irgend einem Grund an Moms erstes Date mit Matthias. Goldfische! Wer will Goldfische, wenn er Krokodile haben kann?

"Klar", sage ich, überbreit grinsend. "Aber nur, wenn Nancy mich nicht beißt."

Eine Weile sehen wir uns in die Augen, jung und verliebt. Bis plötzlich die Wohnungstür vor uns aufgeht.

Mom verdreht die Augen, als sie uns so stehen sieht.

"Kommt rein", sagt sie. "Aber passt auf, dass Matthias', Katze nicht abhaut. Er hat sie mitgebracht."

Puff! Der Liebestraum ist vorbei.
Ich schließe kurz die Augen, um mich zu sammeln.
Das kann ja noch heiter werden.

Eine halbe Stunde sitzen wir alle um den Tisch.

Mary hat Tee gemacht.

Mom und Matthias sitzen da und schauen sich verliebt an. Anscheinend können die schottischen Traditionen Mom nicht von ihrer neuen Flamme abbringen. Sieht so aus, als hätten wir jetzt ein richtiges Zuhause.

Mary sitzt in einem Lehnstuhl. Die Arme sieht völlig fertig aus, der Blick in ihren Augen ist nicht mehr stechend, sondern müde und alt.
Sie hat wieder ihre eigenen Gefühle, aber wirklich von dieser Schloss wegkommen wird sie wohl nicht mehr. Ihr Platz ist hier, bis zum bitteren Ende.
Gut, dass ihre Schwester sich jetzt um die kümmert, so ist sie nicht alleine.

Wallace sitzt neben mir. Er hat seine Hand auf meine gelegt und streichelt die ab und zu, was mein Herz zum Rasen bringt.

Wahrscheinlich will er mich von Matthias' Katze ablenken, die es sich auf seinem Schoß bequem gemacht hat.
Die hat es wirklich drauf, mir den Tag zu versauen.
Sie darf mit Wallace kuscheln oder wie? Ich bin nicht eifersüchtig, aber... okay, vielleicht ein bisschen.

Das Vieh öffnet seine Augen einen Spalt breit. Oh nein, ich werde nun trotz allen Erfolgen kein sorgloses Leben haben.

Dieser Blick der hinterlistigen Katze verrät mir: es kommt noch viel auf mich zu, wie immer.

Manche Dinge ändern sich nie.
Okay, sonst wäre das Leben schon irgendwie langweilig.

Carbisdale - How to defeat the Spirit of CastlesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt