"So", sagt er, als wir endlich sitzen. Der junge Mann hat mich in ein ruhiges, abgelegenes Zimmer gebracht, in dem wir jetzt auf dem Sofa sitzen. Ich schaue mich um. Die Wände sind mit einer geblümten Tapete überzogen. In der Ecke unter einem der großen Fenster steht ein großer Tisch mit einer Eckbank. Gegenüber unseres Sofas - ebenfalls mit Blumenmuster versehen - befindet sich ein steinerner, riesiger Ofen. Die Vorhänge scheinen das Zimmer noch heller und freundlicher zu machen. Ich atme tief aus.
Eine große historisch aussehende Standuhr unterbricht die Stille mit ihrem gleichmäßigen Ticken.
Es ist wunderschön.
"Möchtest du etwas trinken?", fragt er mich und reißt mich so aus meiner Starre.
Fast widerstrebend Blicke ich ihn an. Mir ist das noch immer furchtbar peinlich, dass ich ihn vollgeheult habe. Das schlimmste ist, dass ich keine Ahnung habe, wie ich mich revanchieren kann. Das schlechte Gewissen bereitet mir einen unangenehmen Geschmack im Mund.
"Hey!"
Ich schrecke zusammen. Da bin ich dich tatsächlich in Gedanken versunken.
Geht es eigentlich noch schlimmer?, schimpfe ich mich innerlich, während ich vergeblich versuche, mich an seine Frage zu erinnern.
Jetzt sag doch irgendwas!,ermahne ich mich selbst. "Ähm... ja?"
Aber er scheint mich durchschaut zu haben. "Ob du etwas trinken möchtest." Er lächelt mich noch immer nett an.
Das bringt mich total aus den Konzept. Ich muss ja wie die größte Idiotin auf ihn wirken.
"Gern", sage ich daher schnell.
Er erhebt sich und läuft auf eine Tür zu, während ich mir die Hände vors Gesicht schlage. Halt einfach die Klappe und reiß dich zusammen!
Tief atme ich durch und zähle in Gedanken bis zehn. So. Jetzt muss es klappen.Als er schließlich zurück kommt, hat er zwei Gläser und eine Flasche Wasser dabei.
"Danke", sage ich.
"Bitte.", er reicht mir ein Glas. "Ich bin übrigens Wallace."
Okay. Der Name ist seltsam.
"Caroline", erwidere ich und versuche ein zaghaftes Lächeln.
Das wird dir auch nichts nützen, denke ich mir und daher verschwindet mein Lächeln auch langsam wieder. Man bin ich bescheuert!
"Also Caroline, was ist los?"
Sag mal ist er Psychologe? Oder warum kümmert er sich so um mich.
"Schon gut", ich trinke einen Schluck. "Ist nicht so wichtig."
Er gibt sich damit nicht zufrieden. "Ach nein?", Wallace schnaubt. "Das hat sich aber anders angehört."
Ich schlucke. "Weist du was?", beginne ich, "das ist wirklich echt nett von dir. Du kümmerst dich wirklich gut und ich weiß das zu schätzen, ehrlich." Ich atme aus. "Aber du musst das nicht tun. Und ich werde dir jetzt auch nicht meine halbe Lebensgeschichte erzählen. Ich schlage vor, du lässt mich gehen und genießt deinen Nachmittag, ja?"
Ich mache Anstalten mich zu erheben und auch Wallace steht auf.
"Gut, dann machen wir es anders", sagt er. "Ich weiß genau, was los ist."
Erschrocken schaue ich in seine warmen, braunen Augen, die mich mitleidig anzufunkeln zu scheinen.
"Du bist erschöpft", beginnt er, während seine Augen mich zu scannen beginnen. "Alles wird dir zu viel und wächst dir über den Kopf. Du hast keine Ahnung, was du jetzt tun sollst und wahrscheinlich ist die auch egal, wohin du gehst, Hauptsache du bist alleine."
Ich schlucke. Sieht man mir das so sehr an?
"Und wenn schon?", frage ich trotzig und verschränke schützend meine Arme vor der Brust.
Der warme Blick verschwindet nicht. "Du bist nicht allein", sagt er.
Mehr nicht.
Fassungslos starte ich ihn an, während ich versuche, dass alles zu verarbeiten. Meine Gedanken rasen, mein Herz pocht schneller und mein Kopf scheint zu explodieren.
"Ich kann nicht mehr", murmle ich kraftlos vor mich hin und lasse mich zurück auf das Sofa fallen. "Ich will nach Hause!"
"Jetzt warte doch", Wallace gibt nicht auf. "Ich kann dir helfen."
Ich schließe die Augen, mir ist egal, was er von mir denkt. Wir werden uns nie wieder sehen.
"Bitte, ich will einfach hier weg."Eine Weile ist es still und ich meine Augenlider werden immer schwerer.
"Gut", sagt er plötzlich, als ich es gar nicht mehr erwarte. "Ich fahre dich."
Mühsam öffne ich meine Augen wieder und schüttle den Kopf. "Schon in Ordnung", sage ich. "Ich rufe meine Mutter an."
Schwerfällig hebe ich meine Tasche an und beginne mein Handy zu suchen. Doch keine Sekunde später ist mein Rucksack weg.
"Hey!", murmle ich und versuche, ihn ihm wieder zu entreißen.
Doch das beachtet er einfach nicht und hebt mich hoch um mich über seine Schulter zu legen.
"Hey!", sage ich jetzt lauter, unfähig mich zu wehren. Trotzdem, um es wenigstens versucht zu haben strample ich ein wenig mit den Beinen und versuche zu ignorieren, wie gut er sich anfühlt.
"Alles in Ordnung", sagt Wallace und hebt meinen Kopf fest. "Ich bringe dich nach Hause."
"Ich kann selbst gehen", erwidere ich mürrisch.
"Ich weiß", gibt er gelassen zurück und läuft in Richtung Tür.
Nein! Ich will nicht getragen werden! Das sieht jeder und da draußen ist irgendwo Matthias...
"Lass mich runter!" Energisch zapple ich.
"Bitte Wallace", versuche ich es erneut. "Du darfst mich auch nach Hause bringen. Nur bitte lass mich alleine laufen."
Er geht weiter.
"Ich schreie sonst", drohe ich schließlich, als mir nichts mehr einfällt.
Wallace beginnt zu lachen. "Das wage ich zu bezweifeln", sagt er und ich höre das Lächeln in seiner Stimme, als er stehen bleibt.
"Aber da ich ja ein lieber Kerl bin darfst du selbst gehen."
"Ah, gut.", mit einem erleichterten seufzen will ich mich von ihm lösen, aber er lässt mich nicht runter.
"Unter einer Bedingung", beginnt Wallace und ich erstarre. Das wäre auch zu schön gewesen.
"Ähm, ja?", frage ich vorsichtig und befürchte das schlimmste.
"Du musst mir erzählen, was los war."
Ich halte die Luft an. Nein. Warum ausgerechnet das?
"Ich kann es dir nicht sagen", antworte ich ihm schließlich. Leise. "Bitte, lass es doch einfach."
Ich werde auf dem Boden abgestellt und Wallace schaut mich an.
"Ich meine doch nicht jetzt.", sagt er und nimmt meine Hand. "Ich will nur, dass du es mir irgendwann sagst, wenn du dazu bereit bist."
Ich schlucke und nickte, aber meine Stimme klingt erstaunlich fest. "Alles klar"
Und für einen winzigen Moment strahlt die Welt für mich, als er mich anlächelt.
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Carbisdale - How to defeat the Spirit of Castles
RomanceSchon als Caroline zum ersten Mal Cawdor Castle, ein Schloss in ihrer neuen Heimat Schottland, betritt, ahnt sie, dass hier etwas nicht stimmt. Seltsame Legenden ranken sich um die Schlösser hier in der Gegend, insbesondere um Carbisdale Castle, de...