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Mit geröteten Wangen richte ich mich auf, was Wallace nun zum Glück zulässt.
Und tatsächlich fällt mein Blick fast sofort auf die Gestalt von Betty.
Sie trägt ihre Haare in einer Hochsteckfrisur und sieht fast genauso aus wie Mary. Hätte ich es nicht besser gewusst, hätte ich die beiden verwechselt.

Eine Gänsehaut überkommt mich trotz der Wärme, die hier herrscht und fast hilflos sehe ich zu, wie Wallace zu seiner Großmutter geht und ihr ein Küsschen auf die Wange haucht.
Was soll ich tun?

"Wallace, da bist du endlich!",  Betty scheint sich über seinen Besuch zu freuen, in ihren Augen taucht tatsächlich ein kleiner leuchtender strahlender Funke auf, als sie ihn anlächelt. "Du lässt dich viel zu selten blicken!"
Sie drückt ihn nochmals und lässt ihn dann los, ehe sie sich an mich wendet, die ich noch immer verschüchtert auf dem Sofa sitze und nicht weiß, was ich tun soll.

"Hallo Caroline! Schön dich kennenzulernen."
Kennenlernen? Wieso kennenlernen? Wir habenuns doch bereits getroffen.

Trotz meiner Angst ihre kalte Hand zu schütteln erhebe ich mich vorsichtig und reiche ihr die meine. Innerlich stelle ich mich schon auf das Gefühl der toten Hand ein, wie heute Mittag bei Mary.
Um so überraschter bin ich, als ich plötzlich eine warme lebendige Hand schüttle. Perplex starre ich sie an. Wie konnte ich annehmen, dass sie wie ihre Schwester ist?
Typisch, schießt es mir durch den Kopf. Ich muß immer übertreiben.

"Hallo", sage ich, um meine Gedanken zu überspielen.
"Setzen wir uns doch hin!", Betty deutet auf das Sofa, auf dem wir eben noch herumgealbert haben und peinlich berührt lasse ich mich darauf sinken. Bestimmt sind meine Wangen ganz rot.

"Wallace hat gesagt du hättest Fragen", kommt Betty gleich zur Sache.
Gut so. Besser als ewig peinlich berührt Höflichkeitsfloskeln auszutauschen und selbst Fragen gestellt zu bekommen.
Ich nicke Betty vorsichtig zu.

Die lächelt mich an.
"Wallace holst du uns Kekse?", wendet sie sich an ihren Enkel. "Die mit der Zitronenfüllung."
Wallace erhebt sich und verschwindet.
Nun sind wir alleine.

"So, du bist also Caroline", beginnt Betty und abermals nicke ich zustimmend.
Ich komme mit der Wandlung noch immer nicht richtig klar.
Sie ist so nett und irgendwie...hell. Nicht so wie Mary in dem Turmzimmer.
Ich schaudere, als ich daran denke. An die kalten Hände und den starren Blick. Was stimmt hier eigentlich nicht?

"Ich weiß, was dich hier her geführt hat", spricht die alte Dame weiter und ich runzele die Stirn. Sie beachtet es nicht, sondern spricht weiter.
"Du hast diese Anfälle, wie du sie vielleicht nennst."
Ich nicke: "Ja".

Sie beugt sich zu mir. "Ich kann dir nicht sagen, warum genau du sie hast. Aber ich weiß einiges darüber und wenn du mir davon erzählst werden wir bestimmt herausfinden, wie es dazu gekommen ist."

Wallace betritt den Raum wieder, in der Hand einen Teller mit Keksen, den er zwischen uns stellt. Dann lässt er sich wortlos dicht neben mich ins Sofa plumpsen. Ich hätte mich wirklich gerne an ihn angelehnt.
Reiß dich zusammen!
Ich werfe ihm einen unsicheren Blick zu. Wallace starrt ins Leere. Seine Augen sind halb geschlossen und eine Falte hat sich auf seiner Stirn gebildet. Über was er wohl nachdenkt?

Betty räuspert sich.
Mein Blick schießt wieder zu ihr.
Erst einige Sekunden später wird mir klar, dass sie sind Antwort erwartet.
"Ja, ich kann versuchen es so genau wie möglich zu beschreiben", antworte ich reichlich verspätet und nicht übermäßig begeistert. Keine Reaktion.
Also gut...

"Also angefangen hat das ganze, als meine Mutter und ich dieses eine Schloß besichtigt haben..." Ich denke kurz nach, aber mir fällt der Name nicht ein. "Jedenfalls hatte ich Sinn ein komisches Gefühl, als wir es betreten haben, aber nie im Leben wäre ich auf so etwas gekommen!"

Bettys Gesichtsausdruck bleibt regungslos. Wallace' ebenso.
"Es war, als würde ich von der Außenwelt abgegrenzt sein. Alles um mich herum leicht neblig..."
Die Stille um mich herum schlägt auf meine Ohren und mir wird unheimlich zumute. Ich schlinge die Arme um meinen Oberkörper und fahre fort. "Ich war quasi in mir gefangen und habe mich selbst zerstört. So ist es mir zumindest vorgekommen.
Überall waren diese Nadeln und diese Gedanken... und dann bin ich zusammengeklappt." Das unheimliche Gefühl breitet sich in mir aus. Hoffentlich muss ich das nicht genauer erklären.
Nicht dran denken!, ermahne ich mich.

Betty starrt mich plötzlich an.
"Diese Nadeln?", fragt sie mich und wirft Wallace einen kurzen Blick zu, den er aber nicht erwidert. "Was für Nadeln?"

Ich schlucke. "Es hat sich eben angefühlt, als wären es Nadeln. Ich habe mir eingebildet sie würden mich angreifen. Sie wurden immer größer."
Plötzlich fühle ich mich ganz müde und erschöpft.
Schon wieder.
Wallace muss mich für eine totale Versagerin halten, die bei jedem bisschen gleich schlapp macht.

"Das ist allerdings interessant", murmelt die alte Frau leise und schaut mich nachdenklich an.
"Wie oft ist das schon vorgekommen?", möchte sie plötzlich wissen.
"Zwei mal", sage ich leise"aber ich will, dass es aufhört. Es scheint immer schlimmer zu werden. Bisher tritt das nur in Schlössern auf und ich hoffe, dass das so bleibt. Allein beim Gedanken daran... Es ist mir ein Rätsel, warum ich hier überhaupt noch bei Bewusstsein bin.
Können Sie mir nicht einfach sagen, was dagegen hilft? Dass ich gehen kann, bevor es wieder beginnt?"

Bettys mitfühlender Blick lässt mich in mich zusammen fallen.
"Du musst wissen: in unserer Familie ist es keine Seltenheit, dass jemand Anfälle hat. Immer nur Frauen. Keiner hat sich wirklich dafür interessiert, bis meine Großmutter angefangen hat Nachforschungen zu betreiben.
Ihr Name war Mary."
Mary! Bestimmt die aus dem Fotoalbum. Man ist das kompliziert!
Wie gebannt habe ich an Bettys Lippen, als sie weiter von ihrer Ahnin berichtet.

",Mary wusste, dass eine... sagen wir mal Krankheit in der Familie grasiert. Die Familie stand unter dem Verdacht, verflucht zu sein. ", fährt sie fort. "Passiert war Bis dahin aber noch nicht viel. Einige Menschen  sind wahnsinnig geworden, wie auch heute noch. Sie hat trotz allem in diese Familie eingeheiratet. Während zu dieser Zeit sonst jeder vor dem sogenannten Fluch zurückgeschreckt ist, hat sie sich in den ersten Sohn verliebt - Charles."
Ich erinnere mich an den Schotten auf dem Bild. Gespannt beuge ich mich vor. Nun werde ich vielleichterfahren, was mit ihm passiert ist.
"Auch Charles war hin und weg von ihr.", fährt Betty fort. "Sie heirateten, bekamen einen Sohn und waren alte drei glücklich, bis der Fluch sich wieder auszubreiten schien. Seltsamerweise war nicht Charles Schwester betroffen, wie alle angenommen hatten, sondern Mary. Sie, die nicht einmal blutsverwandt war, fühlte sich plötzlich schlechter.  Keiner konnte sich das erklären, am wenigsten sie selbst.

Charles Eltern hielten sie für wunderlich und versuchten ihr die Schuld in die Schuhe zu schieben. Sie beschimpften sie als Hexe und glaubten irgendwann ihren eigenen Lügen. "

Etwas knackt und ich zucke zusammen. So fesselnd ist die Geschichte, dass ich nicht einmal mehr meine Umgebung richtig wahrnehme. Mein Mitgefühl mit Mary wächst und ich möchte unbedingt wissen, was mit ihr passiert ist. Ich möchte herausfinden, warum sie auf dem letzten Bild im Fotoalbum nicht mehr lächelt.

Carbisdale - How to defeat the Spirit of CastlesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt