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Keuchend schiebe ich den vollen Einkaufswagen in Richtung Kasse. Ein bisschen blöd komme ich mir dabei schon vor, schließlich kaufe ich nicht jeden Tag den halben Supermarkt, aber ich bin erleichtert, dass die anderen Kunden das gar nicht zu registrieren scheinen.

In der letzten Stunde, die ich damit zugebracht habe, die gefühlt tausenden Dinge auf dem Einkaufszettel zu suchen, haben mich nur zwei Personen überhaupt nur beachtet. Ein mitteljunges Ehepaar, das synchron die Augenbraue hochgezogen hat, als ich mit dem Wagen fast in den Ananasdosenberg gefahren wäre.

Es war erstaunlich einfach, hier einen Supermarkt zu finden. Iverness ist zwar riesig, aber doch überraschend überschaubar. In dem Sinne.

Vor allem ist es hier wunderschön. Die Stadt liegt inmitten der schottischen Wildnis und ist dennoch wirklich modern und zivilisiert. Hier ist es ähnlich wie in Amerika, nur mit anderem Akzent und mit anderen Leuten.
Und die Vielzahl an Sehenswürdigkeiten! Am liebsten würde ich einfach nur mehr über die Geschichte der Stadt erfahren und sämtliche Museen abklappern. Es ist spannend, welche Sagen sich um das Städtchen rangen und die ganzen Plakate und Flyer, die ich bei der Tourismusstelle mitgenommen habe heizen meine Neugier zusätzlich an. Zu gerne würde ich einmal zu den Falls of Foyers wandern, der Ort, an dem sich Lady Carrol heimlich mit dem armen Stallknecht Willkins verlobt hat oder den großen Rathausplatz, auf dem sie später hingerichtet wurden. Die Geschichten sind zwar schrecklich brutal, aber auch schrecklich interessant.

Ich muss mich bremsen und habe mir bereits vorgenommen jeden Sonntag einen anderen Platz zu erkunden. So lerne ich nach und nach etwas über meine neue Stadt kennen, denn ich habe das Gefühl, dass unser Aufenthalt hier länger dauern wird, vielleicht sogar...nein. Für immer ist ein zu großes Wort. Aber hier habe ich nun die Chance meine Ausbildung zu machen.  Hoffentlich.

Mom war wohl klar wohin sie hier zieht. Sie steht ja total auf Schlösser und Romantik und so hat uns unser erster Ausflug direkt nach Cawdor Castle verschlagen.
Zum Glück, sonst hätte sie Matthias nicht getroffen. Oh ja, ich weiß genau, was sie sich immer erhofft hat und es besteht tatsächlich die Hoffnung, dass dieser Wunsch hier wahr wird.

Endlich ist die Schlange an der Kasse vor mir soweit geschrumpft, dass ich drankomme.
Die Kassiererin scheint beim Anblick des vollen Laufbands noch genervter zu sein als zuvor. Wahrscheinlich hat sie bald Feierabend.
Mit gerümpfter Nase zieht sie den Lieblingstee meiner Mutter über den Scanner.

Komisch. Und ich dachte Engländer, besonders Schotten, wären freundliche, gut gelaunte Menschen. Offenbar gilt das nicht für alle. Mit besonders viel Schwung rollt sie die Flasche Essig an die Begrenzung, sodass ich einen Moment lang denke, dass sie zerbrochen ist. Oh nein, diese Frau ist nicht gerade die Freundlichkeit in Person. Aber vermutlich hält sie mich auch für eine dumme, übermütige Amerikanerin. Blöde Klischees.

Endlich darf ich meine Einkäufe wieder einpacken und kann es mir nicht verkneifen ihr betont noch einen schönen Abend zu wünnschen. Mit einer Art Killerblick erwidert sie den Gruß.

Oh ja, die Abneigung geht eindeutig von beiden Seiten aus. Naja, was würde Mom sagen? Du musst sie ja nicht heiraten. Zum Glück.

Auf dem Parkplatz treffe ich doch tatsächlich auf ein bekanntes Gesicht. Nach den paar Tagen!
Matthias kommt mir mit einer Tasche entgegen. Erstaunt, dass er seine Einkäufe so weit von seinem Zuhause entfernt erledigt, bleibe ich stehen. Das sind mindestens fünfzehn Kilometer! Und da entdeckt er mich auch schon.

"Caroline!", ruft er mir schon Weitem zu und winkt mir hektisch mit der Hand zu, um mir zu verdeutlichen, dass ich auf ihn warten soll. Dabei stehe ich doch schon. "Gut, dass ich dich treffe", sagt er, als er bei mir ankommt.

"Wieso das?", frage ich ihn verwundert, neugierig, was er denn von mir will.

"Ich treffe mich heute Abend mit Ann", erklärt der Schotte verlegen. "Und ich habe keine Ahnung, was sie gerne isst und trinkt." Ich kann nicht anders, als zu lachen. "Deshalb fährst du hierher?", will ich amüsiert wissen. "Nur weil du ein perfektes Date haben willst?"

"Natürlich nicht!", Matthias ist die Sache sichtlich unwohl. "Ich habe hier einen Freund, der...Ist ja auch egal!" Erwartungsvoll blickt er mich an.

Ich überlege kurz. "Sie liebt Gerichte mit Kartoffeln. Und zu trinken...", ich muss grinsen "Mit Tee liegst du bei ihr immer richtig. Ansonsten vielleicht Weißwein." Zum Glück liegt die kleine Teeschachtel oben und ich nehme sie heraus, um mit ihr herumzuwedeln.

Matthias überrascht mich, indem er mich umarmt. Geschockt reiße ich die Augen auf. Seit wann ist man in England denn so kontaktfreudig?
Hat er getrunken? Ich versuche mich nicht loszureißen, sondern beschränke mich darauf, auf meinen Atem zu achten.
Das kann er bei Mom machen, aber doch nicht bei mir... So schnell brauche ich keinen Ersatzvater.

"Vielen Dank", sagt er dann, nachdem er mich losgelassen hat. "ich habe schon eine Idee."

"Kein Problem", Ich trete einen Schritt zurück.

"Geht es dir eigentlich besser?", möchte mein Gegenüber plötzlich, wie aus heiterem Himmel, wissen. In seinen Augen blitzt kurz etwas auf, doch der Moment ist so schnell wieder vorüber, wie er gekommen ist.

Kurz muss ich überlegen, bis mir wieder einfällt, was er damit meint. Meinen Zusammenbruch am Vortag.

"Ja, danke.", sage ich höflich. Ich habe noch immer keine Ahnung, was da passiert ist. Hoffentlich muss ich das nicht nochmal erleben. Aber einmal ist keinmal, wie ich zu sagen pflege. Und dennoch werde ich das Gefühl nicht los, dass es etwas mit dem Castle zu tun hat.

"Mach dir keine Sorgen", unterbricht Matthias' Stimme meine Gedanken. "Es gibt für alles eine Erklärung." Neugierig wandert mein Blick zu ihm. Was meint er damit? Kann er Gedanken lesen?

"Ja...das waren sicher nur die Eisen-Werte", sage ich zögernd, aber verwirrt. "Die waren bei mir schon immer recht niedrig." Aber nicht so niedrig, als das ich daran zusammengeklappt wäre, füge ich in Gedanken hinzu, während ich meinem Gegenüber einen wachsamen Blick zuwerfe.

Bevor sich die Stille zwischen uns ausdehnen kann reicht mir Matthias seine Hand. "Ich muss weiter", sagt er und lächelt mich noch einmal an. Sofort schäme ich mich, ihn für so seltsam und böse gehalten zu haben. "Vielen Dank nochmal und noch einen schönen Abend."

"Danke gleichfalls. Achja, Matthias?", rufe ich ihm fast schon hinterher, als er sich schon zum Gehen gewandt hat und er dreht sich nochmal um. "Auf keinen Fall Schwarztee." Bei diesen Schotten weiß man ja  bekanntlich nie...

Er zeigt mir seinen nach oben gestrecken Daumen und verschwindet nun endgültig in Richtung Laden.

Gut gelaunt gehe zum Auto und beginne die Einkäufe in den Kofferraum zu laden. Matthias ist doch ein netter Kerl. Und zum hundertsten Mal in den letzten vierundzwanzig Stunden hoffe ich, dass Mom und er doch zusammenkommen. Das wäre fantastisch.

Um das Thema Zusammenbruch im Castle mache ich gedanklich einen großen Bogen, auch wenn mein Innerstes danach schreit Matthias Aussage ganz genau zu analysieren. Interpretiere ich daa zu viel hinein oder weiß er tatsächlich etwas darüber, das ich nicht weiß? Bevor ich anfange richtig darüber nachzudenken schüttle ich entschlossen den Kopf und knalle den Kofferraum zu.

Im Auto konzentriere ich mich auf den Verkehr und drehe das Radio auf. Jetzt wird nicht nachgedacht.
Ich habe jetzt andere Sorgen. Zum Beispiel wie ich die ganzen Einkäufe ganze drei Stockwerke hinaustragen. Und Mom beruhigen, die wegen dem Date sicher kurz vor dem Ausflippen ist. Und mein Zimmer endlich bewohnbar machen.

Schief summe ich ein Lied im Radio mit und lache über mich selbst. Es funktioniert tatsächlich. Als ich einige Minuten später an unserer Wohnung bin, habe ich meine gute Laune wiedergefunden.

Carbisdale - How to defeat the Spirit of CastlesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt