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"Wallace, ich will nach Carbisdale!", sprudelt es aus mir heraus, als ich zu ihm ins Auto steige. Wallace hat heute morgen angerufen und gesagt, dass es vorbeikommt, um mit mir der Sache mit den Schlössern noch ein wenig auf den Grund zu gehen. Allerdings habe ich mir meiner Ansage noch gewartet. Ich will es ihm persönlich sagen.
"Was willst du denn da?", frage Wallace und setzt den Blinker rechts, um loszufahren, Richtung Carbisdale. Der arme Kerl tut mir fast schon leid. Es ist schließlich eine gute Strecke bis zu dem Castle. Eigentlich kann ich ihm das nicht immer zumuten. Aber... nur noch einmal. Wenn es dann nicht klappt, kann ich immer noch sehen wie ich weiter mache. Das schlechte Gewissen plagt mich trotzdem.
"Hast du eigentlich nichts besseres zu tun?", frage ich Wallace und schiele besorgt zu ihm hinüber. Hoffentlich versteht er mich nicht falsch. Loswerden will ich ihn ja nicht.

"Soll ich weg?", fragt er mich da schon und meine Antwort kommt schneller als geplant: "Nein!"

Wallace schmunzelt, zieht die Augenbrauen hoch, fährt aber weiter.
"Ich meine... Du hast sicher besseres zu tun, als dauernd eine Amerikanerin durch die Gegend zu kutschieren. Musst du nicht arbeiten? Oder zur Schule gehen?"

Wallace lacht. "Ich habe gerade Urlaub. Und den verbringe ich gerne mit dir, dann wird mir nicht langweilig."

Ich weiß nicht, wie ich diesen Satz in Kombination mit dem herausfordernden Blick auffassen soll, aber ich beschließe, ihn zu ignorieren. Lieber mal gar nix dazu sagen...

"Von was hast du denn Urlaub?", möchte ich wissen. Was er wohl für einen Beruf hat?

"Von meiner Arbeit", erwidert Wallace frech und ich sehe ganz genau, wie er zum Schein hustet, um mit der Hand sein Lachen verbergen zu können.

"Wallace!", jammere ich. "Jetzt sag! Wo arbeitest du?"

Lachend hebt er die Hände. "Ich arbeite im Zoo." Immer noch grinsend wirft er mir einen Blick zu.

Misstrauisch schaue ich ihn an. "Das glaube ich dir nicht."

"Ist so", erwidert er. "Ich kümmere mich um die Tiere, speziell um Krokodile."

Vor Staunen bleibt mir der Mund offen stehen. "Du?!"

"Ja. "

Ich kann es nicht fassen. "Und...hast du da auch ein Lieblingskrokodil?", möchte ich vorsichtig wissen.

"Sind alle ganz nett", sagt Wallace. "Aber Nancy ist die netteste. Hätte mich vor einem Monat fast gebissen."

Ich starre ihn an.

Wallace lacht. "Du solltest dein Gesicht sehen!"

"Ich kanns nicht ganz glauben", murmle ich. "Ich dachte, du wärst so ein Bürotyp..." Gedankenverloren wende ich den Blick ab. Dass er tatsächlich im Zoo arbeitet ist nicht schlecht, nein. Alles andere wäre schon irgendwie langweilig...aber schade, in Anzug würde er bestimmt gut aussehen. Noch besser, als in den Jeans und den Polohemden...

"Und du?", fragt er nach einer Weile, "was machst du?"

Ich grinse. "Zur Zeit nichts, ich weiß noch nicht. Vielleicht sollte ich Krankenschwester werden.  Das passt doch, dann kann ich dir die Finger wieder annähen, die dein Krokodil dir abbeißt."

Wallace schnaubt, sagt aber nichts. Eine Weile ist es still. Die schöne schottische Landschaft zieht an uns vorbei und es ist kaum zu glauben, dass in solch einer schönen Welt solche schrecklichen Dinge passieren.

"Was willst du denn nun in Carbisdale?", fragt mich Wallace unversehens. 

Ich berichte ihm von meinem Plan, Marys Geist zu helfen und wie erwartet reagiert Wallace skeptisch. Er sagt es nicht, aber sein Gesicht ist verzogen. Wortlos greift er ans Handschuhfach vor mich und mir wird ganz heiß, als er so nah ist. Als er seine Hand wieder herauszieht, hat er einen Umschlag in der Hand. 

Carbisdale - How to defeat the Spirit of CastlesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt