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Ich wandere durch die breiten Gänge des Schlosses und versuche vergeblich dem Raum zu finden, zu dem ich laut Sam und Paul gehen muss.
Die beiden haben mich nach der Aufpäppelung in ihrem Haus eiskalt alleine losgeschickt.

'Das ist dein Kampf', hat Sam gesagt. 'Du musst ins Schloss, denn dort wartet dein Geheimnis auf dich.' So ein Blödsinn.
Ich habe ernsthaft den Verdacht, dass sie zu viele Filme gesehen haben. Aber weil die beiden so einen ernsten, fast besorgen Gesichtsausdruck zur Schau getragen haben habe ich mich überreden lassen.

Laut Paul wartet im Schloß jemand auf mich. Ich soll in das sogenannte Turmzimmer kommen.

'Du willst doch keinen Anfall mehr bekommen?', hat Sam mich ernst gefragt, aber inwiefern das mit dem Treffen im Schloß zu tun hat wollte er mir auch nicht sagen.

Der Anfall.
Um ehrlich zu sein bekomme ich bei dem bloßen Gedanken daran die Krise. Der Anfall war wirklich kein Zuckerschlecken. Das ganze kommt mir so wahnsinnig unrealistisch, unwirklich vor. Ich, Caroline, ein ganz normaler Mensch, ja einfach ich, deren Leben bisher so unspektakulär wie nur möglich war, irre jetzt in einem Schloß herum, um ein paar Typen zu finden, die mir angeblich meine Anfälle erklären können. Die zusammengefasst nur in Schlössern auftreten und irgendetwas mit dieser Frau auf dem Foto zu tun haben. Zumindest habe ich das Gefühl, dass sie damit zusammenhängt.
Mein Leben ist eindeutig zu kompliziert geworden.

Ich biege zum gefühlt hundersten Mal rechts ab, nur um wieder im Eingangsbereich zu stehen. Das gibt es doch nicht! Führen denn alle Wege hierher?
Alle Wege führen nach Rom.
Ich will nicht nach Rom! Wo ist dieser blöde Turm? Wütend starre ich die blöden Flügeltüren an und wünsche, ich wäre nie hier her gekommen.
Sam ist aber auch ein ganz schlauer. Ich würde den Raum schon finden. Ganz klar...
Immer rechts hieß es. Toll. Entweder er hat etwas verwechselt oder ich habe kurzfristig eine rechts-links-Schwäche bekommen.
Vielleicht hast er ja eine!

Ich überlege mir es einfach mal anders herum zu versuchen, während ich auf das Absperrband für Besucher starre, das sie vom Betreten eines Korridors hindert. In das Schloss bin ich ja erstaunlich einfach gekommen. Die Frau am Eingang hat mich sofort einfach durchgewunken, als hätte sie mich erwartet.
Dieses Vip-Gefühl...

"Caroline!" Ich blicke hoffnungsvoll auf und sehe doch tatsächlich Matthias auf mich zukommen. Er ist hier! Gut so. Ich habe sowieso ein ernstes Wort mit ihm zu reden. Ich bleibe stehen und beobachte, wie er quer durch die Halle auf mich zueilt.
"Wir haben dich schon gesucht", sagt er und scheint ganz erleichtert. Wer ist 'Wir?'

"Ich dachte schon..."
Er reicht mir mal wieder höflich die Hand und ich ergreife sie um ein wenig fester zuzudrücken. So als eine Art Rache.
Wie kann er nur meine Mutter anlügen! Dummerweise bemerkt er das gar nicht, es scheint nicht einmal ein bisschen weh zu tun. Stattdessen plappert er munter weiter.

"Wir sind ganz oben. Haben dich die Jungs nicht begleitet? Sie müssen noch üben, wenn sie jemals eine Freundin bekommen wollen...Und ich bin ihr Onkel!" Matthias scheint geradezu empört über diese Tatsache zu sein. Er ist schon irgendwie ein Trottel.

"Du bist aber auch nicht besser!", kann ich mir nicht verkneifen zu sagen. Ich muss Mom ja verteidigen! Was wäre ich für eine Tochter...
Mein Begleiter scheint meine Aussage zunächst gar nicht wahrzunehmen sondern beschwert sich noch einige Sekunden über seine unverantwortlichen Neffen, ehe er begreift, was ich da von mir gegeben habe.
Dann schaut er mich plötzlich verdattert von der Seite an.
"Was?", fragt er mich leicht fassungslos. Als hätte er es nicht verstanden. Ich verdrehe die Augen.
"Ich sagte Du bist auch nicht besser",  wiederhole ich langsam und deutlich. "Erst lädtst du Mum auf ein Date ein, machst ihr Hoffnungen und einen auf große Liebe und einen Tag später belügst du sie."
Leicht böse starre ich ihn an. Hoffentlich bereut er es jetzt. Niemand spielt mit meiner Mom.
Doch Matthias versteht immer noch nicht.

"Wieso habe ich sie belogen?", fragt er verwirrt nach und ich würde ihn am liebsten schütteln.
"Du hast behauptet ich würde auf ein Date gehen!", schimpfe ich los. "Ein Date! Und du hast sie einfach weggeschickt, nicht einmal nach Hause begleitet hast du sie. Zu einer Beziehung gehört Vertrauen und meine Mutter hat jemandem verdient, der sie liebt und nicht nur belügt! Ich wäre fast erstickt! Was hättest du gemacht wenn ich gestorben wäre? Mich einfach verbuddelt und sie nochmal belogen? Mach das mit jemand anderem!"
Ich werfe ihm den schlimmsten meiner Killerblicke zu und hoffe, dass er sich endlich schuldig fühlt. Er soll leiden!

Doch er leidet nicht. Die Erkenntnis blitzt in seinen Augen auf und er scheint zu verstehen.
"Aber das war doch nur zu ihrem Schutz!", sagt er fast erleichtert, überzeugt davon, nichts schlimmes getan zu haben. "Ich will sie nur da heraushalten. Denn mit dieser Sache will sie sicher nichts zu tun haben."

Fast mitleidig lächelt er auf mich herunter und da muss ich ihn einfach auf den Arm schlagen.
Hallo?! Beleidigt schaue ich nach vorne. So ein Idiot! Sie heraushalten! Mom hat gestern auch mitbekommen, wie ich umgefallen bin und wollte sicher nicht herausgehalten werden. Außerdem, was geht das ganze Matthias überhaupt an? Er ist bestimmt kein Arzt. Was mache ich eigentlich noch hier?
Und ich dachte, er wäre nett!

"Jetzt zieh doch nicht so ein Gesicht." Matthias scheint mich aufmuntern zu wollen und tätschelt meinen Kopf.  Ganz schlechte Idee. Bin ich fünf, oder was? Ich ziehe meinen Kopf weg und werfe ihm von meinem Sicherheitsabstand aus einen weiteren Killerblick zu.
Ignorant! Während wir weiter laufen überlege ich mir um mich von meinen Rachegedanken abzulenken, wohin ich eigentlich gehen soll.
Gibt es hier im Schloß einen Arzt? Oder was genau wollen wir hier?
Schon lange sind wir aus dem Besucherbereich draußen und laufen nun schmale Gänge entlang. Hier ist alles staubig und in dunklen Ecken scheinen unbekannte Kreaturen zu lauern. Zum Glück muß ich hier nicht nachts laufen!

Nachdem wir eine enge Treppe nach oben gestiegen sind öffnet Matthias eine Tür, welche uns den Weg in ein warm beleuchtetes Turmzimmer frei macht.
Endlich! Ein Lichtblick! Rasch betrete ich es, um aus der Düsternis herauszukommen.

Carbisdale - How to defeat the Spirit of CastlesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt