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Claires P.O.V:

Erschöpft schleppte ich mich den Korridor entlang, bis zur letzten Tür auf der rechten Seite, genau gegenüber von meinem Zimmer. Ich klopfte an die besagte Tür und öffnete sie ohne eine Antwort abzuwarten.

Ich schlüpfte ins Zimmer und schloss die Tür lautlos hinter mir, als ich den Grund für die ungewöhnliche Stille bemerkte. Minho lag auf seinem Bett und schlief seelenruhig. Die anderen Betten waren leer, anscheinend waren Winston, Zart und Jack noch nicht von ihren Tests zurück. Vorsichtig näherte ich mich ihm und hockte mich schließlich direkt vor seinem Gesicht hin, bedacht darauf kein Geräusch zu machen, das ihn wecken könnte. Einerseits weil ich wusste, dass er unheimlich müde sein musste, da er sonst nie tagsüber schlief und weil er andererseits so friedlich beim Schlafen aussah.

Seine Brust senkte und hob sich langsam und seine Augen waren energisch zusammengekniffen, als wollte er auf keinen Fall aufwachen. Ich betrachtete seine tiefschwarzen Haare, die ihm, anders als sonst, in alle Richtungen vom Kopf abstanden. Doch schnell wanderten meine Augen zu seinen perfekt geschwungenen Lippen, die so unglaublich weich aussahen. Sie zogen mich praktisch an, wie ein unsichtbarer Magnet.

Ich stützte mein Kinn auf der Matratze ab und kam ihm dabei so nahe, dass ich seinen gleichmäßigen, warmen Atem auf der Haut spüren konnte. Es kitzelte ein wenig, aber nicht unangenehm. Es fühlte sich er wie ein angenehmes kribbeln auf der Haut an, das ebenfalls durch meine Arme zuckte, als ich mit meinen bleichen Fingern durch seine Haare fuhr.

Ich beruhigte mich ein wenig und schaute ihn minutenlang einfach nur an. Beinahe wäre ich eingeschlafen, wäre er nicht plötzlich heftig zusammengezuckt. Seine Muskeln spannten sich an und sein Atem ging schneller, seine Augenlider flackerten wie eine Kerze, kurz bevor sie ausgeht. Da wusste ich, dass er einen Albtraum hatte.

„Shh ganz ruhig, alles ist okay, ich bin bei dir", flüsterte ich. Meine zitternde Hand strich vorsichtig über seine Wange, woraufhin seine Muskeln sich wieder entspannten und ich aufhörte zu zittern. Das konnte ich nur, wenn ich seine angenehme Körperwärme auf meiner Haut spürte. Ansonsten zitterte ich ununterbrochen, seit sie bei einem Test Strom durch mich hindurch gejagt hatten.

Ohne groß darüber nachzudenken beugte ich mich vor und küsste ihn sachte auf die Wange, woraufhin er seine Augen öffnete. Sie schauten mich müde und traurig an, sogar der sonst dunkle Glanz wirkte stumpf. „Claire", murmelte er leise und seine Stimme klang rau und kratzig, als wäre seine Kehle völlig ausgetrocknet. Er seufzte erleichtert, während er sich aufsetzte und mich gleichzeitig an sich zog. Auf einmal saß ich auf seinem Schoß und wurde gegen seine Brust gedrückt. Er strich mir durch's Haar, wobei seine Finger zitterten und ich fragte mich, wovon er wohl geträumt hatte. Es konnte auf jeden Fall nichts Gutes sein, denn so kannte ich den sonst so sarkastischen Minho gar nicht.

Ich atmete seinen Geruch nach Seife ein und genoss die wohlige Wärme, die sich in mir ausbreitete. Automatisch platzierten sich meine Hände auf seinem Rücken und drückten ihn enger an mich. Schließlich wanderten seine Hände meinen Rücken auf und ab, als hätte er Angst, das nie wieder tun zu können. „Ich bin so froh, dass du noch da bist. Ich dachte ich sehe dich nie wieder", hauchte er gegen mein Ohr. „Wieso? Was ist denn passiert?", fragte ich besorgt. Ich löste mich ein Stück von ihm, um anschließend in seine Augen zu blicken, die mich sehnsüchtig ansahen.

Er seufzte, als wollte er sich nicht daran erinnern, begann aber dann doch zu erzählen: „Sie haben mir ein Serum verabreicht. Sie sagten es hätte nichts mit den Tests zu tun und sei nur eine rein medizinische Maßnahme. Dann meinten sie, dass heute keine Tests stattfinden würden, weil sie mir eine schlimme Nachricht überbringen müssten. Sie erzählten mir du seist abgehauen. Einfach weggelaufen, meilenweit hinein in den Wald. Angeblich haben sie heute Morgen deine Leiche gefunden, durchlöchert wie Käse. Sie vermuteten ein flüchtiger Crank oder Infizierter, wie sie es nennen, hat auf dich eingestochen, oder schlimmeres. Zwar haben sie das alles nur gesagt, doch es war wie eine Illusion, es lief alles vor mir ab. Es war, als würde ich selbst erstochen werden, als würde ich statt dir es erleben. Auch wenn ich im Nachhinein wusste, dass es das Serum war was die Illusion erzeugt hat, habe ich tatsächlich geglaubt du wärst tot. Ich dachte du wärst tot."

Der letzte Satz war nur noch ein leises Wimmer und ich wusste, dass er gegen die Tränen ankämpfte. „Aber ich bin hier, hier bei dir", flüsterte ich und legte eine Hand auf seine Wange, während ich ihm näher kam. Das war der Moment in dem mir klar wurde, dass er mehr war als mein bester Freund. Ich liebte ihn mehr als das.

Schließlich war er es, der den letzten Abstand zwischen uns überbrückte. Seine Hände lagen auf meiner Hüfte und zogen mich näher an sich heran, als unsere Lippen sich streiften. Es war überraschenderweise keineswegs ein seltsames oder unangenehmes Gefühl, im Gegenteil, es war als würde mir ein Stein vom Herzen fallen. Gerade als ich die Augen schloss, meine Hände in seinen Nacken legte und in dem Kuss versinken wollte, löste sich alles auf wundersame Weise auf und der Traum zerplatzte wie eine Seifenblase.

Ich fuhr hoch und riss panisch die Augen auf. Augenblicklich spürte ich, wie sich zwei starke Arme um mich legten und mich fest an sich drückten. Erleichtert schloss ich meine Augen wieder. „Thomas", schluchzte ich leise gegen seine Brust. „Alles wird gut, du bist hier, bei mir. Du bist in Sicherheit, alles ist gut", flüsterte er beruhigend in mein Ohr und wog mich sanft hin und her. „Wie bin ich hierhergekommen?", fragte ich verwirrt.

Das letzte woran ich mich erinnern konnte war, wie ich nach dem Angriff des Griewers bewusstlos wurde. Naja, das stimmte nicht ganz. Sie hatten mir offensichtlich das Griewer Serum gegeben und ich hatte die Verwandlung durchgemacht. Ich konnte mich an vieles erinnern. An Dinge, an die ich mich gar nicht erinnern wollte.

„Minho hat dich gefunden und hergebracht", antwortete Thomas und ich konnte in seiner Stimme Dankbarkeit und Erleichterung raus hören. Ich löste mich aus seiner Umarmung und sah Minho in die Augen, der direkt vor mir saß. Ich fiel ihm um den Hals und fing erneut an zu schluchzen. „Danke", flüsterte ich und konnte sein Grinsen förmlich spüren. Als ich mich auch von ihm löste, sah ich Newt in der Tür stehen. Er schaute mich erleichtert an. Dann kam er auf mich zu und umarmte mich ebenfalls kurz. „Hab dich vermisst, Grünschnabel", sagte er lachend. „Ich dich auch", erwiderte ich. Ich bekam leichte Kopfschmerzen, deshalb lehnte ich mich wieder zurück. „Was ist eigentlich passiert? Und hast du was gefunden?", platzte es dann aus Newt heraus. Ungern wollte ich mich erinnern, doch ich erzählte es ihnen trotzdem.

Ich rannte den gesamten Abschnitt acht ab. Als ich irgendwann an der Klippe ankam, sah ich gerade noch, wie sich ein Griewer hinunter ins Nichts stürzte. Schnell rannte ich zum Abgrund und stellte fest, dass er nicht ewig fiel. Auf einmal verschwand er einfach und wurde von der Dunkelheit geschluckt. Wie Thomas gesagt hatte. Dann hörte ich plötzlich einen weiteren Griewer näher kommen. Ich rannte um mein Leben, doch irgendwann hatte er mich eingeholt und schlang seinen kalten, metallischen Greifarm um mich. Er hob mich hoch, sodass ich keine Chance hatte zu fliehen und schnürte mir beinahe die Luft ab. Dann stach er mich und ich wurde bewusstlos.

Niemand sagte etwas. Minho und Newt starrten abwesend die Wände an und Thomas schaute mich an, als wäre er derjenige, der gestochen wurde. Er schloss mich erneut so fest in die Arme, dass es schon fast wehtat. Trotzdem fühlte ich mich besser, weil er für mich da war. „Es ist meine Schuld", sagte Newt auf einmal traurig. „Newt, es ist nicht deine Schuld. Ich wollte unbedingt gehen", erwiderte ich, während ich mich aus Thomas Umarmung löste. „Aber ich hätte dich nie gehen lassen dürfen, erst recht nicht allein. Ich hätte Minho oder Thomas mit dir schicken sollen. Das ist-", fing er wieder an, doch ich unterbrach ihn. „Es ist nicht deine Schuld. Es war allein meine Entscheidung." Er wollte erneut etwas sagen, doch ich schaute ihm tief in die Augen und er hielt den Mund. Ich hatte das Gefühl, dass er sich tatsächlich verantwortlich fühlte und irgendwie wollte ich ihn trösten, wusste aber nicht so recht wie.

Kurze Zeit später gingen Minho und Newt. Sobald sie aus der Tür waren, zog Thomas mich erneut an sich. Eine Weile hielt er mich einfach nur fest, ohne ein Wort zu sagen. In den nächsten paar Tagen verbot Newt mir, ins Labyrinth zu gehen. Er meinte, ich sollte mich noch schonen. Zwar fühlte ich mich schon besser, doch die Verwandlung hatte ihre Spuren bei mir hinterlassen.

Thomas wich mir währenddessen nicht von der Seite und überschüttete mich gerade zu mit Umarmungen, als würde ich mich jeden Moment in Luft auflösen. Doch es störte mich nicht. Es fühlte sich gut an jemanden zu haben, der bedingungslos für mich da war. Jedoch hielt die Ruhe nicht lange an, denn das nächste Dilemma war schon auf dem Weg.

Ich war gerade mit Thomas in der Küche, als Newt hereingestürzt kam. „Alles okay?", fragte ich. „Sie ist aufgewacht", sagte er bloß schweratmend. „Warte, was?" „Das Mädchen. Sie ist aufgewacht."

Just Human ⎡ The Maze Runner ⎦Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt