Kurzgeschichte: Das Experiment vom Leben

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„Hast du schon einmal darüber nachgedacht, was wäre, wenn du tot wärst?", frage ich meine beste Freundin, die neben mir auf meinem Bett sitzt und zuvor in die Lektüre ihres derzeitigen Biologiebuches vertieft war.

Etwas verwirrt sieht sie mich an und streicht sich eine Strähne ihres an den Spitzen grün gefärbten Haares hinters Ohr. „Klar", antwortet sie mir und steckt ihren Zeigefinger zwischen die Seiten des dicken Buches als sie selbiges zuschlägt, um sich so zu setzen, dass sie mich anschauen kann.

„Und?" Erwartungsvoll lege ich meinen Kopf auf meinen Handballen und lehne mich ein bisschen weiter zu ihr.

„Was und?", fragt sie verwundert und lehnt sich bequem gegen den Stapel Kissen in ihrem Rücken.

„Bist du zu irgendeiner Erkenntnis gekommen?" Ungeduldig tippe ich mir mit dem Finger gegen die Backe.

„Na ja, nur dass ich danach nichts mehr fühle."

„Das ist mir schon klar, aber hast du irgendwelche anderen erleuchtenden Gedanken gehabt?"

„Von welcher Art „erleuchtender Gedanken" reden wir hier?"

„Keine Ahnung, irgendwas, wie es wäre nichts zu fühlen, zum Beispiel."

„Es wäre nichts. Du kannst nichts fühlen, wenn du tot bist, also bist du nichts."

„Aber es heißt doch „Ich denke, also bin ich". Das hatten wir im Philosophie-Unterricht."

„Das Zitat von Descartes, ja. Aber fühlen ist nicht das gleiche wie denken."

„Also heißt das, dass wir denken können, wenn wir tot sind, aber nichts fühlen?"

Sie schaut überlegend an die Decke meines kleinen, vollgestopften Zimmers. „Wagen wir doch mal ein Gedankenexperiment.
Also; stell dir vor, du schläfst einen Abends gemütlich in deinem Bett ein. Du hattest einen normalen Tag hinter dir, nichts Außergewöhnliches. In der Nacht dringen Wissenschaftler in dein Zimmer ein, spritzen dir eine Betäubung und bringen dich in ein Labor."

„Warum sollten Wissenschaftler so etwas tun?", frage ich ein bisschen verwirrt, bekomme aber nur einen strafenden Blick von meiner Freundin zugeworfen. „Ist ja gut, ich unterbreche dich ja nicht mehr."

„Okay, die Wissenschaftler bringen dich in ein Labor und trennen in einer komplizierten Operation dein Gehirn von deinem Körper, schließen die vom Gehirn abgehenden Nervenenden an Kabel für ein Computersystem an und legen dein Gehirn in eine Nährstofflösung, sodass es nicht abstirbt. Am nächsten Morgen wachst du auf und es ist alles wie immer, du ziehst dich an, frühstückst, putzt dir die Zähne, gehst zur Schule. Das Computerprogramm, an das dein Gehirn - oder jetzt du - angeschlossen wurde, simuliert nämlich die Bewegungen deines Körpers, deine Augen, dein Gleichgewichtsinn - einfach alles."

Ich starre sie abwartend an, doch sie macht keine Anstalten weiter zu sprechen. Verwirrt frage ich sie: „Und was hat das jetzt mit dem Tod zu tun?"

„Lebst du denn wirklich, wenn du nur ein Gehirn in einer Nährstofflösung bist? Oder bist du tot?", antwortet sie mit einem kleinen Lächeln.

Ich denke einen kurzen Moment nach. „Warum sollte ich denn nicht leben? Ich denke doch: Und weil ich denke, bin ich."

„Aber es spricht auch nichts dagegen, dass du tot bist, oder? Schließlich weißt du nicht, wie du den Zustand des Todes definieren sollst."

Eine zögerliche Antwort nimmt in meinem Kopf Gestalt an. „Nach dem Tod tritt doch die Leichenstarre ein, nicht wahr?"

„Jap", sie nickt leicht mit dem Kopf, „aber mach dir keine Hoffnungen. Für die Wissenschaftler ist dein Körper von keiner Bedeutung. Nachdem sie dein Gehirn - oder dich - entnommen haben, haben sie deinen Körper absterben lassen.

„Vielleicht lebt ja mein Körper nicht mehr, aber ich habe ja trotzdem noch ein Ich-Bewusstsein. Zumindest hast du das gesagt."

„Ja, das hast du durchaus noch, aber reicht das denn, um zu beweisen, dass du noch lebst? Schließlich bist du eigentlich nur ein Gehirn in einer Nährstofflösung."

Mir schießt ein Gedanke durch den Kopf. „Ha! Du hast etwas übersehen! Ich bin definitiv noch am Leben, weil ich eine Nährstofflösung brauche! Und wenn ich tot wäre, dann wäre das ja vollkommen unnötig."

„Dann herzlichen Glückwunsch: Du bist ein Gehirn in einer Nährstofflösung und dein Leben ist eigentlich computergeneriert." Mit einem kleinen Lächeln wendet sie sich wieder von mir ab und schlägt ihr Buch wieder auf.

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Ich bin nicht die beste in solchen Disputen, ich verfolge zu wenig den eigentlichen Gedankengang und springe zu schnell zu anderen um, aber vielleicht hat euch das Gedankenexperiment ja wirklich zum Denken angeregt. Oder Descartes Aussage "Ich denke/zweifle also bin ich" auf Lateinisch auf "Cogito Ergo Sum". Habt ihr vielleicht schon mal gehört und wenn nicht: Wieder was gelernt.

Das Gedankenexperiment hab ich mir übrigens nicht selbst ausgedacht, das heißt "Gehirn im Tank" und in den Kommentaren verlinke ich euch mal den Wikipedia-Artikel dazu - meiner Meinung nach ist das höchst interessant.

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