Poesie: Statue der Zeit

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Es war einmal ein Mädchen, das auf einem Hügel weit außerhalb der Stadt saß und in den Himmel blickte. In kalten, klaren Nächten beobachtete sie die Sterne, wie sie funkelten und zusammen mit dem Mond vom schwarzen Himmelszelt hingen, um alles zu erhellen. Doch in manchen Nächten zogen Wolken über den Himmel und versperrten ihr die Sicht. Nur manchmal riss die Wolkendecke auf und ließ sie in ein Meer aus Sternen sehen. Jedes Mal saß das Mädchen, in eine wollene Decke gehüllt, auf einer Platte und schaute sehnsüchtig nach oben. Im Sommer, wenn die Nächte heiß und schwül waren, saß sie genauso auf dem Hügel wie im Winter, wenn alles um sie herum und auch sie selbst von Schnee bedeckt war. Nie wechselte sie ihre Position. 
Jahrzehnte und Sternenkonstellationen rauschten über sie hinweg. Dekaden wurden zu Jahrhunderten, Sprösslinge zu Bäumen und Kinder zu Erwachsenen. Nur sie blieb, wie sie war, von der Zeit unangetastet, von der Natur verschont und von den Menschen, denen sie nie auch nur einen Blick schenkte, unbemerkt. 
Das Mädchen, dass die Zeit vergessen hatte. 

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