Eine Fee namens Liebe

1 0 0
                                    

Weißt Du, alles begann, als eine kleine Fee gegen mein Fenster flog. Es war ein leises, fast sanftes Geräusch und nur für eine klitzekleine Sekunde war ich tatsächlich besorgt, dass die Fee sich weh getan hatte. Ich öffnete ihr das Fenster, und die kleine Fee landete trudelnd auf meiner offenen Handfläche. Da saß sie, in sich zusammengekauert, nicht mehr als ein kleines Häufchen Traurigkeit an einem Tag voller Sonnenschein und blauem Himmel. Doch trotz des warmen Lichts um sie herum schien sie zu frieren. Sie zitterte. Ihre Federn waren farb- und kraftlos, ihr kleines Köpfchen hing tief und aus ihren schwarzen Knopfaugen kullerten dicke Tränen ihr filigranes Gesicht hinunter.

Nun war ich doch besorgt. Was hatte eine sonst so hübsche und einzigartige Kreatur zu einem zitternden und traurigen Häufchen in meiner Hand reduzieren können?

Genau diese Frage stellte ich ihr und sie sang mir ein herzzerreißendes Lied von Selbstzweifel, Einsamkeit und Isolation. Ihre liebliche Singstimme brach immer wieder unter den Qualen, die sie durchlitt und ich musste hilflos ihrer ergreifenden Geschichte zuzuhören, ohne ihr helfen zu können.

Sie sang mir eine bittersüße Melodie von Dir. Wie Du Dich schon oft fragtest, ob Du liebenswert bist, ob Du es wert bist geliebt zu werden, ob Du es verdient hast, ob Du nicht zu wenig getan hast, um es wert zu sein, geliebt zu werden.

Es machte mich unglaublich traurig, die Fee so singen zu hören, als gäbe es nichts zu tun außer mit diesen Zweifeln zu leben, bis ans Lebensende.

Auch wenn es die Fee nicht geben mag, wie ich sie beschrieben habe, so ist eine solche kleine Fee doch in jedem von uns. Mancher mag sagen, dass sie unser inneres Kind ist, das uns immer begleitet. In manchen ist die kleine Fee ein kleines, zitterndes Knäuel, das es nicht wagt, das Köpfchen zu heben, ganz einfach aus Angst. Aus Angst Fehler zu machen. Aus Angst nicht genug zu sein. Aus Angst, andere zu enttäuschen.

Eine so versteinerte Fee hindert vielleicht auch Dich am Leben, hält dich zurück, macht dich klein oder wütend oder genauso ängstlich wie sie es ist.

Aber sie muss nicht versteinert sein. Sie könnte ein fröhliches und allumfassend glücklich tirilierendes Wesen sein, das allen um sie herum mit ihrer Positivität, Lebensfreude und Vitalität anstecken, alles ein bisschen farbenfroher, ein bisschen unbeschwerte, ein bisschen kindlicher machen.

Sie hätte das Potential dazu, genauso wie Du es hättest. Schließlich ist sie ein Teil von Dir.

Dass ihr dieses Potential nicht nutzt, ist nicht ihre Schuld und es ist auch nicht Deine. Das Konzept der Schuld ist etwas, das den Menschen zur Flucht dient. Auf einmal können sie sich hinter einem großen Wort verstecken und alle Konsequenzen von den eigenen Schultern heben und von sich werfen.

Denke von eurem Potential als eine Verantwortung. Du trägst die Verantwortung für die kleine Fee. Schließlich ist sie ein Teil von Dir. Dass sie versteinert ist, ist nicht Deine Schuld. Stattdessen ist es Deine Verantwortung, sie aus diesem Zustand der ständigen, lähmenden Angst zu befreien und Dich dadurch gleich mit.

Weißt Du, Deine Fee liebt Dich. Über alle Maßen.

Nicht weil du irgendwas besonders gut kannst oder weil du hübsch oder klug oder sportlich oder einfühlsam bist. Deine Fee liebt Dich, weil Du Du bist. Immer. Von ganzem Herzen, egal wie sehr Du Dich am Boden fühlst.
Sie liebt dich, während du dir morgens die Schnürsenkel bindest, eine Jacke anziehst, deine Tasche greifst und das Haus verlässt. Sie liebt dich, während Du ziellos im Internet herumklickst, während Du nichts denkend in deinem präferierten Transportmittel sitzt und auch während Du isst, sei es bei einer Fast Food Kette oder bei Oma oder allein. Sie liebt dich, während du wichtige Aufgaben im Haushalt erledigst, Deine Freizeit anfüllst. Und wenn Du Dich abends ins Bett legst, darüber nachdenkend, was Du heute eigentlich von Signifikanz gemacht hast. Dann liebt sie Dich ganz besonders.

Sie hat auch keinen Grund, es nicht zu tun.

Denkst Du gerade an einen Grund, der es Dir schwer macht, Dich selbst zu lieben? Liegt Dir ein Ereignis schwer im Magen und lässt die Selbstzweifel erneut anschwellen?
Wie lange ist dieses Ereignis her? Ist es heute passiert? Unter welchen Umständen? Warst Du allein? Oder warst Du mit jemandem unterwegs?
Wie hast Du Dich in diesem Augenblick gefühlt? Bedroht? Angegriffen? Verletzt? Vergessen? Minderwertig? Wütend? Eifersüchtig? Panisch?

Wie hättest Du in einem weniger emotional geladenen Umfeld reagiert? Wie würdest Du jetzt, da Du die Konsequenzen Deiner Handlungen kennst, handeln?

Würdest du etwas anders machen?

Weißt Du, die Fee denkt über so etwas überhaupt nicht nach. Denn sie muss es nicht.

Solch ein kleiner Moment definiert nicht, wer Du als Gesamtperson bist. Da ist noch so viel mehr an Dir, was Dich ausmacht. Ein Baum ist nicht nur grün und ein Fluss ist nicht immer gerade. Du hast Facetten, so wie jeder Mensch, und jede einzelne davon ist genauso viel wert wie die nächste.

Du bist ein Gesamtkunstwerk.

All Deine Gedanken und Handlungen machen Dich aus. Wenn Du Dich entscheidest, dass Du ab morgen nur noch Erdbeeren in Deinem Joghurt akzeptierst, bist das immer noch Du. Oder wenn Du Dich dafür entscheidest, in ein anderes Land zu ziehen und alles, was du bisher kanntest, hinter Dir zu lassen, bist das immer noch Du, der diese Entscheidung trifft. Und die Fee liebt Dich dafür.

Du könntest wohl nichts machen, wodurch sie Dich nicht mehr lieben würde.

Für sie ist Dich lieben wie für Dich atmen. Etwas Selbstverständliches, Alltägliches. Ein Grundrecht.

In einer perfekten Welt muss man für Grundrechte nicht kämpfen. Aber die Welt ist nicht perfekt, und so muss es die kleine Fee manchmal, und dann fürchtet sie um ihr Leben, zittert, wird immer kleiner, und sucht bei anderen Menschen und ihren Feen Hilfe, denn sie weiß sich und vor allem Dir nicht mehr selbst zu helfen. Sie versteht nicht, warum Du Dich nicht selbst liebst. Sie wirft Dir nichts vor. Schuld ist für sie ein fremdes und verletzendes Konzept, dessen Nutzen sie nicht sieht. Sie will kopfüber in das Leben springen, und wie ein Fisch im Wasser darin ihren Weg finden.

Und wenn Du sie lässt, nimmt sie Dich mit. In eine Umgebung, in eine Mentalität der Möglichkeiten und nicht in eine der Unmöglichkeiten. Sie will Dir zeigen, wie toll Du schon allein für dein Dasein bist. Alles, was noch obenauf kommt, ist das Tüpfelchen auf dem i, das Sahnehäubchen, auf dem ohnehin schon liebenswerten Gesamtpaket.

Sie will Dir zeigen, was Du alles erreichen kannst, wenn Du einfach nur ein wenig aus Dir selbst herausgehst.

But make no mistake! Deine Fee will nicht, dass Du ihr mit einem Köpper ins Wasser folgst, um Dich dort am Beckenrand des Freischwimmerbeckens festzuhalten und dich nicht in tiefere Gewässer vorzuwagen. Sie will, dass Du das Leben erkundest und Dich von ihm einnehmen lässt. Zum Leben gehört Veränderung, Stagnation ist meist das Ende. Der Tod ist die Stagnation des Geistes, ausgelöst durch eine Stagnation im Blutfluss. Das Leben ist eine Balance vom Auf-Der-Stelle-Treten und Weitergehen und diese Balance musst Du selbst finden. Dein eigenes Tempo, Deine eigene Herangehensweise an Dinge, die genauso einzigartig sind, wie Du es bist. Dafür bist Du weder seltsam noch musst Du Angst davor haben, von den Vorgehensweisen von anderen abzuweichen. Du wirst Deinen eigenen Weg finden und gehen, auch wenn es jetzt noch nicht so scheint. Deine Fee wird an Dir zur Seite stehen, und ihre Liebe zu Dir wird niemals wanken, denn da ist nichts, was ihre Liebe zu Dir zum Wanken bringen könnte.

Und wenn Deine Fee Dich so vorbehaltlos lieben kann, dann kannst Du es auch.

Es ist ein Prozess, so wie alles, und es ist ein Balanceakt. Dich selbst zu lieben aber dennoch offen für die Meinungen anderer Menschen zu sein. Dich selbst und Deine Handlungen zu reflektieren. Dass Du Dich selbst liebst, ist kein Schild, der Dich gegen gerechtfertigte Kritik ignorant machen sollte.

Dich selbst zu lieben ist auch kein Egoismus. Es ist Dein Grundrecht. Es ist Respekt Dir selbst gegenüber und allem, was dazu gehört. Deinem Körper, Deinem Geist und Deiner Seele. Es ist der Respekt, der Dich dazu bringt, Dich nicht unter Wert zu verkaufen. Und es ist auch der Respekt, der es Dir möglich macht, Dich um Dich selbst zu kümmern, wenn Du Dich selbst am meisten brauchst. Es ist der Respekt, den Du jedem Lebewesen entgegenbringen solltest.

Warum also fangen wir nicht bei uns selbst damit an?

BookcityWo Geschichten leben. Entdecke jetzt