Eine Geschichte über Heimat

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Früher habe ich mir nicht oft Gedanken gemacht, wo mein Zuhause ist. Sehr selten suchte mich das Gefühl heim, nicht zu wissen, wo mein Platz im Leben sei. Eigentlich hatte ich dieses Gefühl fast nie. Eigentlich habe ich mir nie die Frage gestellt, wo mein Zuhause ist, bis ich kein Zuhause mehr hatte. Ein Dach über dem Kopf hatte ich, ein Zimmer, weit weg von dem, in dem ich die letzten fünf Jahre meines Lebens verbracht habe. Aber es fühlte sich nicht an wie mein Zuhause. Als ich dort hinzog, war ich einsam. Ich kannte niemanden innerhalb der Wohnung, in der mein Zimmer lag, nicht innerhalb des Hauses und nicht innerhalb der Stadt. Alles, was ich kannte, jeden, den ich kannte, hatte ich drei Stunden Autofahrt hinter mir gelassen.

Was mir geblieben war, war mein Bett, den Ort, den ich auch in meinem alten Zimmer als meinen Rückzugsort betrachtet hatte. Als das Bett im alten Zimmer abgebaut war, fühlte sich das Zimmer auf einmal fremd an, mit jeder ausgeräumten Schublade, jedem T-Shirt, das ich in eine Umzugsbox packte, fühlte sich das Zimmer fremder an. Die letzte Nacht verbrachte ich auf einer Matratze auf dem Boden, so wie ich auch meine erste Nacht in dem damals neuen jetzt alten Zimmer auf einer Matratze auf dem Boden verbracht hatte. Zu diesem Zeitpunkt war es mir ebenfalls fremd gewesen.

Doch je mehr Platz innerhalb des Zimmers über die Jahre gefüllt wurde, desto wohnlicher wurde es. Diese Hoffnung hatte ich für mein neues Zimmer weit weg von meiner Familie auch, also richtete ich alles noch am selben Tag, an dem ich einzog, richtig ein, packte die Kartons in den Keller und bezog mein Bett mit Bettwäsche, in der ich schon seit zehn Jahren immer wieder schlief.

Es ist schwer zurückzulassen, was man liebt. Manchmal frage ich mich, ob es mir deshalb so leicht fiel, meine Eltern zu verlassen. Ob ich sie nicht genug geliebt habe, oder ob mein Wille, weit weg von dem zu kommen, was ich nicht mochte, stärker war, als die Liebe zu ihnen. Wenn ich so drüber nachdenke, war wohl das, von dem ich am meisten davon wollte, ich selbst. Mein altes Ich, mein lethargisches Ich, mein Ich, das alle zu kennen schienen, außer ich selbst.

Ich wollte einen Neustart, weit weg, so allein wie möglich. Ich wollte Menschen kennenlernen, die ich unter keinen anderen Umständen hätte kennenlernen können und ich wollte weg von allen Menschen, die mich zuvor schon kannten. Mein altes, schwächeres Ich.

Vielleicht melde ich mich deshalb so selten.

Es brauchte vier Tage, bis ich meine erste Panikattacke hatte und fünf, bis ich in meiner ersten Beziehung war. Ich wollte zwar weg von den Leuten, die mich zuvor schon kannten, aber damit schnitt ich auch mein Sicherheitsnetz durch, das mich durch die vorherigen neunzehn Jahre meines Lebens getragen hatte. Ich musste mir ein neues Sicherheitsnetz schaffen und in meiner Verzweiflung und während einer Pandemie war das das Erstbeste, den ich greifen konnte.

Ich griff oft ins Leere, während der Beziehung, entweder weil ich nicht richtig kommunizierte oder weil wir zu unterschiedlich waren, ich zu große Angst, er zu wenig Verständnis für meine Situation, aber definitiv, weil ich nicht richtig zugegriffen hatte, im Dunkeln nicht das richtige Seil gefunden hatte. Es war mehr eine Rettungsleine aus Angelschnur, die nach zwei Monaten zerriss.

Für das Heraushieven aus den ersten Panikattacken hatte es geholfen. Zuhause fühlte ich mich deswegen im neuen Zimmer nicht. Eher noch einsamer, als in eben jenem die Angelschnur entzwei ging. Die Tränen, die ich in diesem Moment vergoss, blieben die einzigen, die ich der Beziehung hinterherweinte.

Ich hatte mich regelmäßig bei meinen Eltern gemeldet, besonders wenn es mir schlecht ging, und das tat es in diesem entzweigerissenen Moment besonders. Um halb vier Uhr morgens kam ich „Zuhause" an.

Einen Monat lang lebte ich wieder „Zuhause", bevor ich nicht mehr konnte. Es war ein Monat voller entzweigerissener Momente, wie ein „hier bin ich nicht erwünscht" und ein „hier gehör ich hin", zwischen dem ich mich im Kreis drehte, weil ich nichts anderes konnte.

Das war das erste Mal, in dem ich mich wirklich fragte, wo ich zu Hause war. Zuvor war die Frage immer gewesen: „Was ist Zuhause?" Und meine Antwort war immer dieselbe: „Bei meinen Freunden und meiner Familie. Bei den Menschen, die ich liebe." Die Frage, wo ich zu Hause war, konnte ich mir damit aber nicht beantworten. Die Antwort fühlte sich nicht richtig an. Mein Zimmer fühlte sich nicht richtig an. Als sei ich einfach herausgewachsen wie aus alten Turnschuhen.

Ich war wieder in mein neues Zimmer zurückgekehrt, als mein Vater mein altes Zimmer übernahm. Das sollte ich aber erst herausfinden, als ich ein weiteres Mal zurückkehrte, diesmal über die Semesterferien. Diesmal erschien mir mein „Zuhause" noch fremder. Es hatten sich Dinge geändert, deren Verlauf ich nicht verfolgt hatte, ich schlief in einem anderen Zimmer, meine Freunde taten andere Dinge als noch zuvor, meine Eltern verhielten sich ein wenig anders. Der größte Unterschied war allerdings ich, auch wenn ich das nicht immer bemerkte. Auch diesmal hielt ich es nicht lange aus.

In einem anderen Zimmer zu schlafen, verschiebt die eigene Perspektive. Alle Veränderungen tun das, meist sehr gewaltsam. Und weil sie das so gewaltsam tun, drückt man zurück, will sie nicht wahrhaben und kommt mit ihnen nicht klar.

Eine Veränderung, die sich nicht gewaltsam in mein Leben drückte, sondern einfach irgendwie aus den vielen kleinen Situation erwuchs und in einer Frage kulminierte, war Robin. Die Frage war: „Kann man diese neuesten Entwicklungen Beziehung nennen, ohne dass du schreiend davonläufst?" Und nein, er ist nicht davon gelaufen. Im Moment sitzt er neben mir, in meinem neuen Zimmer, und macht es allein mit seiner Anwesenheit zu meinem Zuhause. Denn ich glaube davon trägt einen Großteil mit sich rum. Wo genau, er das Gefühl an seinem lauchigen Körper unterbringt, weiß ich nicht, aber er tut es. Und ich bin ihm dafür sehr, sehr dankbar.

Danke Robin.

Einfach Danke.

Ich liebe dich. 

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⏰ Letzte Aktualisierung: Oct 12, 2020 ⏰

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