Kurzgeschichte: Das Blut eines Sohnes

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Mein Beitrag zum FederAward von @-Schreibfeder, Januar 2020

"Signorina, wir schließen", sagte der ältere Herr an seine junge Kundin gewandt. Sein voller Schnurrbart war grau wie sein Haupthaar und sein sonnengebräuntes Gesicht lag in tiefen Falten. "Wenn Sie morgen wiederkommen, kann ich Ihnen frischere Ware anbieten." Er deutete auf die Auslage, vor der die junge Frau stand. In ihrer Hand hielt sie eine kleine Kaki mit Druckstellen. Die meisten Kisten waren leer. In den anderen lagen nur noch mickrige Vertreter der verschiedenen Früchte am Boden.

Unschlüssig drehte Ilaria die Kaki in ihren Händen, bevor sie die Frucht zurück in die beinahe leere Kiste warf. "Verzeihen Sie, Signor...?"

"Greco."

Ilaria lächelte freundlich. Hoffentlich sah er nicht die Blutrunst darunter. "Es tut mir außerordentlich leid, Signor Greco, aber ich fürchte, ich kann auf keinen Fall bis morgen warten. Ein dringendes Geschäft, wenn Sie verstehen. Wären Sie so gut, mir noch fünf Minuten zu geben?"

Signor Greco rieb sich die Hände an seinen Hosenbeinen ab. "Wenn jeder mich um fünf Minuten mehr bitten würde - ich würde nicht mal mehr zum Schlafen kommen!", brummte er griesgrämig, trat hinter den Tresen und machte sich an der Kasse zu schaffen.

Die enge Straße, die an dem kleinen Laden vorbei führte, war leer. Die Touristen interessierten sich mehr für die breiten Promenaden und großen Plätze mit ihren Cafés und Restaurants, als dass sie einem winzigen Obst- und Gemüseladen abseits des Zentrums Beachtung schenkten.

Die Einheimischen wussten es besser.

"Da ist wirklich niemand, für den Sie den Laden länger offen lassen? Kein Ehrenmann, der Sie nach Einbruch der Dunkelheit besucht?", hakte Ilaria nach. Ihre Hand griff unter ihren langen Mantel.

Signor Greco folgte der Bewegung, bevor sein Blick wieder zu ihrem Gesicht schnellte. "N-nein", stammelte er. Mit einer fahrigen Bewegung strich er sich die grauen Haare aus der Stirn. "Warum sollte ich für andere eine Ausnahme machen?"

Ilaria grinste. "Wir wissen doch beide, was für Verbrechen in diesem schönen Städtchen begangen werden." Mit einer beiläufigen Bewegung zog sie ihre Pistole aus dem Halfter an ihrer Seite und zielte unter dem Tresen auf Signor Greco. Mit einem Klicken entsicherte sie die Waffe. "Warum also die Geheimniskrämerei?"

Der alte Mann war wie erstarrt. Seine Hände zitterten, seine Haut schien durchsichtig zu werden wie Wachspapier. "Was wollen Sie von mir?"

"Nur ein paar Antworten auf meine Fragen." Ilarias Hand unter dem Tresen blieb ruhig. So als bedrohe sie jeden Tag arme alte Obstverkäufer in den Seitenstraßen Palermos.

"S-sie haben den falschen alten Mann vor sich, wenn Sie Antworten wollen, Signorina. Ich wüsste nicht, was für Fragen das sein sollten, auf die ich Ihnen eine Antwort geben kann."

Ilaria schnaubte. "Wollen wir uns nicht zurückziehen? Nicht dass doch noch jemand kommt und unsere kleine Unterhaltung unterbricht. Lassen Sie die Hände oben."

Signor Greco zuckte zusammen. Seine Hand, die sich auf bestem Weg unter den Tresen befunden hatte, schnellte hoch.

"Wir wollen doch nicht, dass ich Ihnen in den Oberschenkel schießen muss. Verbluten ist so eine qualvolle Art zu sterben."

Signor Greco schluckte. Sein Blick flog von Ilarias Gesicht zu ihrem Arm weiter zur Tür. Ilaria konnte seine Gedanken förmlich hören.

Sie grinste. "Nur zu, probieren Sie es aus. Ich würde Sie gerne von hinten erschießen. So wie Sie meinen Bruder erschossen haben!"

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