Emerald
Im Kommandoraum hat sich Andrej längst aus dem Sicherheitsnetz befreit und sitzt an seiner Konsole. Seine blauen Augen funkeln unternehmungslustig, als Mil und Dray den Raum betreten. Mit seinem blonden, immer etwas verwuschelten Haarschopf sieht er aus wie ein übermütiger Junge. Sogar Dray hat eine Schwäche für den Astrophysiker und seinen unverwüstlichen Humor. Mil ist immer wieder überrascht, wie leicht es Andrej fällt, Spannungen in der Crew mit wenigen Worten abzubauen. Vielleicht liegt das daran, dass er mehr als zehn Jahre älter ist als die anderen, sogar als Koshi. Außerdem bringt er als einziger aus der Crew mehrfache Raumerfahrung mit. Deshalb erstaunt es Mil nicht, dass er den medizinischen Kontrollscan bereits erledigt hat und sie nur noch die Bestätigung eingeben muss. Suchend blickt sie sich dann nach dem Kommandanten um.
«Wo ist Koshi?»
«Er ist zu Carlos nach unten gegangen. Irgend eine Fehlfunktion.»
Mil verspürt bei dieser Bemerkung ein kaltes Ziehen im Magen. Wenn sie vor etwas Angst hat, dann vor einer Fehlfunktion des Triebwerks. Andrej nimmt ihre Beunruhigung natürlich sofort wahr und setzt ein betont fröhliches Gesicht auf.
«Kein Grund zur Sorge, Mädchen. Du kennst doch Carlos. Wenn etwas an seiner Maschine nicht spiegelt und glänzt, fürchtet er gleich, dass das Schiff kurz vor dem Auseinanderbrechen ist.»
Die Übertreibung entlockt Mil ein Lächeln. Natürlich hat Andrej recht, Carlos ist ein Perfektionist. Trotzdem verursacht ihr das Wort Fehlfunktion eine Gänsehaut.
Dray hat inzwischen an der Navigationskonsole Platz genommen. Ungeduldig gibt sie über ein Tastenfeld Befehle ein. Ihre Finger huschen blitzschnell über die Sensorflächen. Andrej blinzelt Mil beruhigend zu, bevor er sich an die blonde Shuttlepilotin wendet.
«Die Außensensoren sind alle in Ordnung. Ich bin gerade fertig damit, sie zu kontrollieren. Es müsste möglich sein, optische Werte zu übertragen. Du solltest eigentlich jeden Moment ein Bild unserer Umgebung bekommen.»
Dray nickt mit gerunzelter Stirn und bearbeitet weiter energisch ihr Tastenfeld.
«Verfluchte Sensoren. Ich hasse es, irgendwo anzukommen, ohne etwas zu sehen.»
Andrejs Erwiderung ist lakonisch.
«Wer hasst es denn nicht, blind zu sein? Etwas mehr Geduld und Rücksicht, Dray. Unser Schiff ist eine alte Dame. Sie will mit Respekt behandelt werden.»
Schritte im Gang lenken Dray von einer zynischen Erwiderung ab. Mil dreht sich zur Schleusentür um. Koshi strahlt wie immer eine Aura von Effizienz aus. Der kleine Asiate scheint zum Raumschiffkommandanten geboren zu sein.
«Alle wach? Gut. Carlos hat eine Schwankung der Harris-Werte beim Verlassen der Transferstufe bemerkt. Aber nun scheint alles in Ordnung zu sein. Er initiiert vorsichtshalber noch einen vollständigen Check. Wieso haben wir noch kein Bild auf dem Schirm?»
Dray murmelt etwas Unverständliches. Mil ist sich fast sicher, dass ein paar deftige Flüche eingeflochten sind. Andrej antwortet an Drays Stelle mit einem verschmitzten Lächeln.
«Die Sensoren sind zwar in Ordnung, aber noch nicht aus dem Transferschlaf aufgewacht. Vielleicht sollten wir schon mal eine Luke öffnen, um uns draußen umzusehen.»
Koshi wirft Dray einen vernichtenden Blick zu, während er ihr über die Schulter greift, um auf ihrem Tastenfeld einen kurzen Code einzutippen.
«Was haben sie dir in diesem Ausbildungsgang eigentlich beigebracht? Zum Reaktivieren der Sensoren nach Beendigung des Transfers ist als erstes ein gültiger Biocode einzugeben.»
Dray presst verärgert die Lippen zusammen, während Andrej mit einem Schmunzeln den Hauptschirm einschaltet. Mil vergisst augenblicklich das Geplänkel. Sie starrt mit stockendem Atem und weit aufgerissenen Augen den Schirm an. Dass Carlos durch die Tür tritt und mit gekreuzten Armen neben ihr stehen bleibt, entgeht ihr.
Vor ihnen im All liegt ihr Ziel, eine sonnenbeschienene Kugel. Der Planet schimmert wie ein Juwel in tausend verschiedenen Farbnuancen von türkisblau bis smaragdgrün.
«Emerald», flüstert Carlos leise.
DU LIEST GERADE
Dendro
Science FictionDer Planet scheint wie geschaffen für eine menschliche Besiedlung. Genügend Wasser, eine erdähnliche Atmosphäre und eine üppige Vegetation. Mil macht sich mit Begeisterung an die Erforschung der Biosphäre. Dabei entgeht ihr ein Detail...