Landung
Andrejs ruhige Stimme gibt klare Anweisungen für den Endanflug. Er hat einen Landeplatz irgendwo in der Mitte zwischen Äquator und Pol ausgewählt, in dem Bereich, der auf der Erde als ‹gemäßigte Breiten› bezeichnet würde. Mil versuchte gestern erfolglos, eine Landezone mit weniger dichtem Bewuchs zu lokalisieren. Andrej schlug daraufhin vor, in der kargen Gegend in der Nähe der Polkappen zu landen. Damit war Koshi aber nicht einverstanden. Ziel der Mission sei schließlich, die Eignung des Planeten für eine menschliche Kolonialisierung zu überprüfen. Da mache es keinen Sinn, in Schnee und Eis herumzustapfen. Schließlich einigten sie sich darauf, notfalls einen Landeplatz aus der Vegetation auszubrennen.
Mil ist nicht ganz wohl beim Gedanken daran, dieses fremde Ökosystem gleich bei ihrer Ankunft empfindlich zu stören. Aber Spacecorp will wirtschaftliche Resultate sehen, die Firma sponsert keine reinen Forschungsmissionen.
Auf dem Schirm wird nun die verbleibende Distanz bis zum Aufsetzen angezeigt. Gebannt verfolgt Mil einen Moment lang, wie die Zahlen rasend schnell abnehmen. Die Geschwindigkeit ist beängstigend. Carlos räuspert sich neben ihr. Dann fängt Dray den Sinkflug gekonnt ab. Koshis Stimme klingt deutlich aus dem Lautsprecher.
«Mil? Wir befinden uns nun über der Zone, die Andrej ausgewählt hat. Die Vegetationsdecke scheint wirklich sehr dicht zu sein. Hast du weitere Inputs für die Landung?»
Mil betrachtet eine Zeitlang schweigend die Werte, die auf dem Monitor in der Armlehne ihres Sessels eingespielt werden. Das, was Koshi leichthin als Vegetationsdecke bezeichnet, erreicht eine Höhe, welche die größten Bäume auf der Erde um ein Mehrfaches übertrifft. Sie seufzt.
«Nein, es bleibt uns wohl tatsächlich nichts anderes übrig, als einen Flecken dieses Waldes niederzubrennen, so leid mir das tut. Kannst du Dray bitten, den Schaden so klein wie möglich zu halten? Ich möchte nicht, dass wir einen unkontrollierten Waldbrand auslösen!»
«Verstanden, Mil. Ich sag's ihr. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Brand sich ausbreitet?»
Mil ist froh, dass Koshi ihre Bedenken ernst nimmt. Mit der linken Hand ruft sie auf ihrem Schirm rasch einige Parameter ab und startet einige Berechnungen. Die Resultate liegen schnell vor.
«Ich denke, nicht sehr groß. Die Luftfeuchtigkeit liegt bei 98 % und es scheint kaum Wind zu geben. Außerdem hat Andrej offenbar eine Insel ausgesucht, die ringsum von Wasserarmen und Sümpfen umgeben ist.»
Koshi bestätigt und gibt Dray den Auftrag, dicht über der Oberfläche in Position zu gehen. Dann lässt er sie die Nase des Schiffes vom Planeten wegdrehen und auf beiden Triebwerken einen kurzen Moment vollen Schub geben. Andrej richtet gerade noch rechtzeitig einen der Außensensoren auf die Oberfläche unter dem Schiff. Die Hitze des Triebwerkschubs verbrennt die üppige Vegetation fast augenblicklich zu Asche.
«Madre de Dios», flüstert Carlos ehrfürchtig.
Obwohl Mil kein Spanisch versteht, ahnt sie die Bedeutung seiner Bemerkung. Sie ist selber völlig schockiert über die zerstörende Wirkung der Aktion. Aber Koshis Stimme bleibt gewohnt emotionslos.
«Gut, das hat ja perfekt funktioniert. Nun haben wir genügend Platz. Setz sie auf, Dray».
Die Pilotin schaltet wieder auf das schwächere Hilfstriebwerk um. Dann rotiert sie das Schiff langsam um die eigene Achse, um die beste Stelle auszusuchen und den Anflug vorsichtig fortzusetzen. Der verkohlte Fleck bietet in der Mitte einen offenen und ebenen Landeplatz. Seitlich, wo die Hitze vergleichsweise niedrig war, sind zahlreiche mächtige Bäume durch den Luftdruck des Triebwerkschubs nach außen umgeknickt. Wie hingeworfen hängen sie mit ihren Kronen nun in den benachbarten Baumriesen, die der Druckwelle widerstehen konnten. Sie bilden eine Art undurchdringlichen Wall rings um den Landeplatz. Mil schluckt leer beim Anblick der Zerstörung.
Da setzt das Schiff mit einem Ruck und einem leisen Knirschen im Zentrum der verkohlten Zone auf. Als Dray wenige Momente später das Triebwerk herunterfährt, herrscht zum ersten Mal seit dem Beginn ihrer Reise ungewohnte Stille an Bord. Sie wird von Koshis Stimme unterbrochen.
«Das wars, gute Arbeit! Danke euch allen und willkommen auf Emerald.»
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Dendro
Science FictionDer Planet scheint wie geschaffen für eine menschliche Besiedlung. Genügend Wasser, eine erdähnliche Atmosphäre und eine üppige Vegetation. Mil macht sich mit Begeisterung an die Erforschung der Biosphäre. Dabei entgeht ihr ein Detail...