Dendro - Analysen

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Analysen

Mil betrachtet nachdenklich die 1000-fache Vergrößerung der Probe auf dem Schirm. Koshi ließ den Erkundungsgang abbrechen, nachdem sie einige erste unverkohlte Pflanzenreste eingesammelt hatten. Er wollte es nicht riskieren, bereits auf diesem ersten Ausflug in den Dschungel vorzudringen, der die Oberfläche von Emerald überzieht. Obwohl sie ihre Neugier auf diesen Wald kaum beherrschen kann, versteht Mil die Entscheidung.

Sie ergänzt ihre Notizen und wendet sich dann der letzten Probe zu. Diese hat sie sich bis ganz zum Schluss aufgespart. Es ist ein Stück Holz, das Carlos mit seinem Handlaser aus dem großen Baumstamm geschnitten hat. Er musste dazu über eine der enormen Wurzeln bis zum Stamm hochklettern, ein Unterfangen, das bei Mil Herzklopfen und bei Koshi gerunzelte Augenbrauen hervorrief. Aber der Aufwand hat sich gelohnt. Die Probe hat die Form eines Kegels, wobei die Rinde die Basis bildet. Carlos hat tief genug geschnitten, um an der Kegelspitze auch ein Stück des Stammholzes mit zu entfernen. Mil bereitet Dünnschliffe der Probe zu, um sie unter dem Mikroskop zu betrachten. Die chemische Analyse lässt sie parallel laufen. Der Analysator des Labors ist sehr effizient.

Der Aufbau des Holzes ist sehr ähnlich, wie sie es bei einem Baum auf der Erde erwarten würde. Bei näherer Betrachtung gibt es aber doch signifikante Unterschiede. Die Rinde ist ungewöhnlich dick und besteht aus einer äußeren, sehr elastischen und zähen Schicht und einer weicheren Innenschicht, die fast wie ein Polster wirkt. Mil zögert, dafür die Begriffe Borke und Bast zu verwenden, denn bei einem irdischen Baum dieser Größe wäre die Borke mit großer Wahrscheinlichkeit rau und gefurcht. Diese hier ist aber ganz glatt, mit Ausnahme einer fingerdicken Porenöffnung, welche sich wie ein offener Kanal ins Stamminnere fortsetzt. Unter der Polsterschicht folgt etwas, was wohl tatsächlich dem Kambium, der Wachstumsschicht gleichzusetzen ist. Hier werden die neuen Zellen des Baums gebildet. Das darunterliegende eigentliche Holz weist ebenfalls erstaunlich viele Ähnlichkeiten mit Bäumen auf der Erde auf. Die von der Wurzel bis zur Krone reichenden Tracheiden oder Poren zum Transport von Nährstoffen und Wasser sind sehr regelmäßig angeordnet. Deutlich lassen sich auch Jahrringe erkennen, also Zonen mit großen Zellen, die auf kräftiges und schnelles Wachstum hindeuten, die von Zonen mit winzig kleinen Zellen abgelöst werden. Es muss auf Emerald Zeiten mit sehr geringem Zellwachstum geben. Mil kann sich keine andere Erklärung vorstellen, als dass es sich hier tatsächlich um jahreszeitliche Wechsel handelt. Rasch zählt sie die an der Probe vorhandenen Jahrringe. Sie liegen sehr eng beieinander und sie ist überrascht, das bereits dieses kaum handtellergroße Stück 23 Ringe umfasst. Wenn das tatsächlich Jahrringe sind, wie alt muss dann dieser riesige Stamm sein? Mil muss unbedingt an eine vollständige Scheibe von diesem Baum kommen! Eifrig fügt sie ihrem Bericht einige weitere Zeilen hinzu und startet eine neue Suchanfrage in der Bibliothek des Bordcomputers. Sie ist überzeugt, dass sie hier auf eine wichtige Beobachtung gestoßen ist.

Carlos betritt das Labor und drückt ihr ungefragt einen Becher Kaffee in die Hand. Mil nimmt ihn dankbar entgegen und lehnt sich zurück, um ihre Nackenmuskulatur zu entspannen. Inzwischen ist ihre erste Serie von Analysen abgeschlossen. Sie konnte bisher keine Schadstoffe nachweisen, weder in den Filtern der Atemmasken, noch in den Pflanzenproben oder in der Schlammkruste, die sie von Koshis Anzug abgekratzt hat. Das Ganze scheint ihr beinahe zu schön, um wahr zu sein: Ein Planet mit atembarer Atmosphäre und erdähnlicher Vegetation, ohne irgendwelche Giftstoffe oder andere Hindernisse, die einen Besiedlungsversuch gefährlich oder doch zumindest unrentabel machen. Spacecorp wird sich freuen und sofort ein Kolonialisierungsprogramm starten. Mil seufzt beim Gedanken an ihre Auftraggeber. Carlos blickt sie fragend an.

«Ich habe mir gerade überlegt, was Spacecorp aus Emerald machen wird.»

Der Gesichtsausdruck des Technikers spricht Bände. Er hat nie ein Geheimnis daraus gemacht, was er von ihrem Arbeitgeber hält.

«Spacecorp verfolgt rein kommerzielle Ziele. Sie werden alles verwerten, was hier verwertbar ist, und den Rest so rasch wie möglich zerstören, um Platz für Siedlungen und Fabriken zu schaffen.»

Sein trauriger Blick hängt gedankenverloren am Hauptschirm, der ein Bild des fernen Waldrands zeigt. Dann fügt er leise eine seiner archaischen Bemerkungen hinzu, die Mil einen kalten Schauer über den Rücken rieseln lässt.

«Ich fürchte, du hast deine Seele dem Teufel verkauft, Mil.»

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