Dendro - Dendrochronologie

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Dendrochronologie

Mil sitzt wieder hinter ihren Instrumenten. Carlos fragte schon, ob sie eigentlich von Luft und Wissenschaft lebe. Zugegeben, im Moment weiß sie nicht, ob sie lieber draußen im Wald Proben sammelt oder diese anschließend am Mikroskop untersucht. Da bleibt dazwischen nicht viel Zeit zum Essen und Schlafen. Heute haben Dray und Koshi ihr endlich die lang ersehnte Holzscheibe aus einem der umgestürzten Stämme mitgebracht. Obwohl bei weitem nicht der dickste Stamm war es gar nicht so einfach, ihn mit dem Laser zu zertrennen und anschließend die Scheibe durch die Schleuse und bis ins Labor zu bringen. Schließlich musste sie schweren Herzens zulassen, dass Carlos das riesige Stück Holz vor dem Sterilisieren in mehrere Teile zerschnitt. Diese hat sie nun auf dem geräumten Labortisch mit Hilfe des Technikers wieder zusammengefügt. Seit Stunden ist sie dabei, die Wachstumsstruktur des Baumes zu untersuchen und die Jahrringe zu zählen. Sie programmierte einen ihrer besseren medizinischen Sensorscanner so um, dass sie damit vom Rand her zur Mitte hin über die Holzscheibe fahren kann und er gleichzeitig die einzelnen Ringe zählt und ihre Breite aufzeichnet. Inzwischen hat sie über zwanzig Messungen an verschiedenen Stellen der Scheibe ausgeführt und ist dabei, die Resultate am Monitor zu vergleichen.

Leise setzt Andrej sich auf den Stuhl neben sie, um ihr bei der Arbeit zuzusehen. Mil beachtet ihn nicht, sie ist hier etwas Wichtigem auf der Spur. Schließlich räuspert sich der Astrophysiker laut. Mil blickt mit einem Stirnrunzeln von ihrem Schirm auf.

«Ist etwas?»

«Das wollte ich dich fragen. So verbissen wie du dich mit diesem Baum beschäftigst, musst du irgendetwas Wichtiges entdeckt haben. Lässt du uns teilhaben?»

Mil kann ein Lächeln nicht unterdrücken. Sie kann sich gut vorstellen, dass Koshi befürchtet, sie würde ihre Forschungsergebnisse vor Spacecorp geheimhalten wollen. Andrej lächelt zurück. Er ist selber Wissenschaftler und scheint ihre Gedanken zu ahnen. Es macht ihr nichts aus, mit ihm über ihre Theorien zu sprechen.

«Nun, ich versuche mit einer ziemlich alten Methode dem Geheimnis von Emerald auf die Spur zu kommen. Hast du schon einmal etwas von Dendrochronologie gehört?»

«Nicht direkt. Eine Wissenschaft von Bäumen und Zeit?»

«Genau. Eigentlich ist damit Jahrringdatierung gemeint. Andrew Ellicott Douglass hat die Methode maßgeblich entwickelt, im frühen zwanzigsten Jahrhundert.»

«Moment, meinst du den Astronomen Andrew E. Douglass? Denjenigen mit den Sonnenflecken und den Marskanälen?»

«Genau den. Er vermutete einen Zusammenhang zwischen Sonnenflecken und dem Wachstum der Jahrringe von Bäumen. Berühmt wurde er aber wegen seiner Erfolge mit der Dendrochronologie. Bäume, die unter gleichen klimatischen Bedingungen wachsen, entwickeln vergleichbare Jahrringmuster. Er maß die Jahrringbreiten von frisch gefällten Bäumen und überlappte deren Muster mit solchen von alten Hölzern aus Gebäuden und aus archäologischen Ausgrabungen. So gelang es ihm, eine zusammenhängende Abfolge von Jahrringbreiten über Jahrhunderte zusammenzusetzen, mit der er schließlich beliebige Hölzer datieren konnte. Diese Methode revolutionierte die Arbeit der Archäologie.»

Andrej stützt das Kinn in die Hände und betrachtet nachdenklich Mils Baumscheibe.

«Das Prinzip ist klar. Aber mit einem einzelnen Baumquerschnitt kannst du so ja nicht arbeiten.»

«Ich kann keine Datierung machen. Außerdem sind nicht alle Holzarten dazu geeignet. Aber ich weiß inzwischen, dass dieser Baum 9365 Jahre alt ist. Das ist älter, als ein Baum auf der Erde jemals werden kann. Und Douglass stellte nebenbei fest, dass das Wachstum der Jahrringe direkt mit dem Klima zusammenhängt. Die Jahrring spiegeln Dürreperioden, kalte Winter und feuchte Sommer. Außerdem hinterlassen auch Ereignisse wie Vulkanausbrüche oder Schädlingsbefall Spuren im Jahrringmuster eines Baums.»

Andrej zieht die Augenbrauen hoch. Mit dem Finger streicht er über die vom Laser glattgeschnittene Holzoberfläche. Die Jahrringe sind nur als sehr schmale helle und dunkle Bänder im Holz sichtbar. Mil schaut ihn erwartungsvoll an. Sie weiß, dass der Astrophysiker ihren Gedankengängen folgen kann. Ein verstehendes Lächeln breitet sich auf seinem Gesicht aus.

«Du hast eine Methode entdeckt, wie wir Einblick in Emeralds Geschichte bekommen können. Und das ist nur einer der mittelgroßen Stämme. Vielleicht finden wir so sogar heraus, warum es hier nur pflanzliches und kein tierisches Leben gibt. Mil, das ist genial!»

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