Krisensitzung
Die Sonne ist bereits halb hinter dem Horizont verschwunden und wirft ein trübes dunkelrotes Licht über Emerald, als Dray das Shuttle zurück in den Hangar steuert. Mil ist erleichtert, dass sie und Koshi zurück sind. Sie hat sich den ganzen Nachmittag über Sorgen um das Erkundungsteam gemacht. Seit sie von Andrejs Entdeckung weiß, hat sie das unlogische aber ungute Gefühl, die nächste Eiszeit werde jeden Moment hereinbrechen. Dabei meint der Astrophysiker, laut seinen Berechnungen beginne der nächste Zyklus erst in 248 Jahren. Mil räumt das Labor auf und geht hinunter, um Koshi und Dray zu begrüßen. Andrej hat angeboten, unterdessen ein Nachtessen zusammenzustellen. Carlos ist immer noch mit seinen Speicherkomponenten beschäftigt. Koshi kommt als erster aus der Dekontaminationsschleuse und reicht Mil den Beutel mit den Bohrproben und einen sterilen Behälter mit der Sporenpflanze. Er sieht müde aus und beginnt gleich, sich aus seinem Anzug zu schälen. Dray fährt die Bordsysteme des Shuttles herunter und initiiert den Regenerationszyklus des Triebwerks, bevor sie ebenfalls durch die Schleuse kommt.
«So, Schluss für heute. Ich freue mich auf eine warme Mahlzeit und eine Dusche.»
Koshi nickt wortlos und hängt seinen Außenanzug auf. Dray lässt sich von Mil beim Ausziehen helfen. Dann nimmt sie das Bohrgerät und die neuen Bohrproben auf.
«Ich nehme an, du willst die hier im Labor?»
Während Koshi nach oben geht, folgt Mil ihrer Kollegin etwas überrascht mit der Beutelpflanze. Dray war bisher nie besonders motiviert, ihr Arbeit abzunehmen. Kaum im Labor angelangt, wird der Grund für ihr ungewohntes Verhalten klar. Sie dreht sich um und blickt Mil direkt in die Augen.
«Carlos hat den Triebwerksfehler also nicht gefunden?»
«Doch, den Fehler schon. Aber bisher keine Möglichkeit, ihn zu beheben.»
Vorsichtig setzt Dray die Proben auf dem Messtisch ab und streicht sich müde eine verschwitzte Strähne ihres blonden Haars aus den Augen.
«Wir haben uns so etwas gedacht, als von euch keine Rückmeldung kam. Koshi war enttäuscht, dass wir umkehren mussten, bevor wir deinen Tundragürtel erreicht hatten. Auf dem Rückweg ist ihm dann aufgefallen, dass du den ganzen Tag die Kommunikation gemacht hast. Daraus hat er geschlossen, dass Carlos und Andrej mit der Maschine beschäftigt waren. Das hat ihm zugesetzt. Wie schlimm ist es?»
«Schlimm. Die Matrix des Mellowspeichers scheint irreparabel zerstört zu sein. Carlos sucht schon den ganzen Tag nach einer Überbrückungsmöglichkeit.»
Drays Augen weiten sich. Sie lacht trocken und humorlos.
«Für den Mellow? Da kann er lange suchen. Die sind quasi unzerstörbar. Also: keine Ersatzteile.»
Schweigend machen sie sich auf den Weg zum Gemeinschaftsraum. Mil spürt einen kalten Knoten in der Magengegend. Bis jetzt hat sie fest auf Carlos' Erfindungsreichtum vertraut.
Koshi und Andrej sitzen bereits am Tisch. Carlos reinigt sich die Hände am Waschbecken. Sein Gesichtsausdruck sagt alles. Als sie versammelt sind, nimmt Koshi mit gewohnter Ruhe das Wort.
«Lagebericht?»
Carlos hebt den Kopf und fasst kurz zusammen, wo der Defekt liegt und was er inzwischen alles versucht hat, um den Speicher zu überbrücken. Der Kommandant begreift den Umfang ihres Problems ohne detaillierte Erklärung. Er hört schweigend zu und stellt dann einige präzise Fragen. Daraus resultiert eine Diskussion über Komponenten, von denen Mil nicht einmal die Namen kennt. Irgendwann beginnt Carlos, Notizen in eine Konsole einzugeben. Einige Ideen scheinen vielversprechend und Mil beobachtet, wie ein Hoffnungsfunke die Gesichter ihrer Kollegen aufleuchten lässt. Sie steht auf, um das Essen zu holen, das vergessen im Wärmer steht.
Die Diskussion geht während der Mahlzeit weiter. Dray schlägt vor, das Manövriertriebwerk zu modifizieren um damit den Impuls für die Zündung der Haupttriebwerke zu puffern. Carlos meint, dass das möglich sein könnte, allerdings dürfte der Start holprig werden. Andrej runzelt die Stirn.
«Wenn es nicht klappt, könnten wir das Plasmatriebwerk des Shuttles verwenden. Es ist leistungsstärker als die Manövriermaschine und müsste mehr Startschub geben.»
Koshi reibt sich die Schläfen und lehnt sich in seinem Stuhl zurück.
«Damit möchte ich warten, bis wir wissen, dass Drays Idee nicht funktioniert. Danach haben wir immer noch die Möglichkeit, das Shuttle auszuschlachten. Ich möchte noch einmal versuchen, diesen Tundragürtel zu erreichen. Wir haben noch eine Mission zu erfüllen, bevor wir an die Heimreise denken dürfen. Gibt es sonst noch Neuigkeiten?»
DU LIEST GERADE
Dendro
Science FictionDer Planet scheint wie geschaffen für eine menschliche Besiedlung. Genügend Wasser, eine erdähnliche Atmosphäre und eine üppige Vegetation. Mil macht sich mit Begeisterung an die Erforschung der Biosphäre. Dabei entgeht ihr ein Detail...