Dendro - Fehlfunktion

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Fehlfunktion

Mil fällt es schwer, sich auf ihre Forschungen zu konzentrieren. Dray und Koshi sind bereits früh am Morgen mit dem Shuttle losgeflogen. Andrej hilft Carlos bei der Analyse der Triebwerke. Sie hat seit Stunden nichts von ihnen gehört. Sie selbst versucht, das Rätsel des verschobenen Waldrands zu lösen, bisher vergeblich. Sie reibt sich den verspannten Nacken und lehnt sich zurück, um auf dem Hauptschirm des Labors den Fortschritt des Erkundungsflugs zu verfolgen. Dray flog zuerst mehrere Schleifen über dem Landeplatz und der näheren Umgebung. Mil verglich die Bilder mit jenen des Landeanflugs. Eigentlich hat sich nichts verändert, außer dass der Wald begonnen hat, einen Teil der verbrannten Fläche zurückzuerobern. Nun ist das Shuttle über endlosen Wäldern unterwegs in Richtung Pol. Koshi will wissen, ob es in den kühleren Gegenden des Planeten besser geeignete Siedlungsplätze gibt. Die Frage nach intelligenten Lebensformen hängt nach wie vor unausgesprochen in der Luft. Mil sinniert über Koshis Bemerkung nach, der Wald könnte eine Art Plantage sein. Nichts an ihren bisherigen Forschungen spricht gegen diese Hypothese. Beweisen lässt sie sich allerdings auch nicht. Sie reibt sich die Schläfen und wendet sich wieder ihren Analysen zu. Wenn es auf Emerald intelligentes Leben gibt, muss sich doch irgendwo ein Hinweis darauf finden lassen.

Andrej und Carlos betreten zusammen das Labor. An ihren Gesichtern kann Mil sofort ihren Misserfolg ablesen. Sie steht auf, um den beiden Kaffee zu holen. Andrej betrachtet unterdessen interessiert ihre letzten Messwerte. Sie hat inzwischen ein Klimamodell der letzen 15000 Jahre erstellt. Carlos brütet schweigend vor sich hin. Mil drückt ihm einen heißen Becher in die Hand.

«Wie groß ist unser Problem, Carlos?»

«Groß, fürchte ich. Die Harris-Werte haben von Anfang an recht gehabt. Warum habe ich das bloß nicht sofort gesehen?»

Etwas hilflos blickt Mil vom Techniker zu Andrej hinüber. Dieser zuckt resigniert mit den Schultern.

«Was Carlos meint, ist dass wir es bereits beim Austritt aus dem Transfer hätten wissen können. Aber das hätte an der Situation auch nichts geändert. Wir hätten so oder so vor der Rückreise die Plasmakammer herunterfahren müssen und wären damit genauso weit gewesen wie jetzt.»

«Könnte einer von euch vielleicht versuchen, einer ahnungslosen Biologin zu erklären, was es mit den Harris-Werten und dem Mellowspeicher auf sich hat? Soviel ich weiß, haben die beiden Dinge nicht das Mindeste miteinander zu tun!»

Carlos leert seinen Becher mit einem einzigen Schluck und stellt ihn auf den Labortisch.

«Die Harris-Werte sind die Kontrollwerte für die korrekte Interaktion aller Komponenten zwischen der Plasmakammer und den eigentlichen Triebwerken. Als wir im Orbit den Fehler gesucht haben, kontrollierten wir jede einzelne Komponente der Kammer und der Triebwerke durch. Alles war in bester Ordnung. Das ist immer noch so. Nur: die Harris-Werte berechnen auch ein, wieviel Energie der Mashito-Wandler zurückgewinnt, um die Kühlung der Kammer sicherzustellen. Der Wert für die Rückgewinnung lag sogar etwas über dem Durchschnitt. Das hätte mich stutzig machen müssen. Denn offensichtlich hat der Alternator der Geminikomponente nicht funktioniert, ein Teil, das eigentlich gar nicht kaputt gehen kann. Er speist Energie in den Mellowspeicher, den Puffer für den Startmotor. Als wir die Triebwerke für die Landung in Betrieb genommen haben, hat der erhöhte Energiebedarf den Speicher vollständig geleert und seine Matrix zerstört. Fazit, wir haben eine perfekt funktionierende Maschine, aber keine Möglichkeit, sie zu starten.»

Carlos schließt müde die Augen. Mil blickt hilfesuchend zu Andrej hinüber. Aber das Gesicht des Astrophysikers bleibt ernst, das gewohnte Funkeln in seinen Augen ist erloschen.

«Wie ich gesagt habe, früher oder später wäre das sowieso passiert. Wir hätten die Triebwerke unter atmosphärischen Bedingungen nicht während der ganzen Mission durchlaufen lassen können. Den Alternator kann Carlos reparieren oder ersetzen, aber wenn wir dieses Schiff nach Hause fliegen wollen, müssen wir eine Überbrückungsmöglichkeit für den Speicher finden.»

«Denkt ihr, wir sollten Koshi informieren?»

«Er erfährt es früh genug. Im Moment können wir nicht mehr tun, als uns zu überlegen, wie wir die Startsequenz ohne die Pufferenergie des Mellowspeichers initiieren können.»

Schweigend betrachtet Mil auf dem Hauptschirm die grüne, unberührte Waldlandschaft, über die das Erkundungsshuttle mit hoher Geschwindigkeit dahinzieht.

Koshis vom Lautsprecher verstärkte Stimme reißt das Team unsanft aus den düsteren Gedanken.

«Mil, sieh dir das da unten einmal an. Sieht das nicht beinahe aus wie eine Baumschule?»

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