Epilog
Es entspannt sich langsam und lässt die Informationen seines planetenumspannenden Wurzelwerks zusammenfließen. Die Bedrohung ist abgewehrt, alles ist wieder ruhig und friedlich. Die hässliche Brandwunde ist geschlossen, die meisten der seltsamen fremden Gegenstände sind integriert, aufgelöst, verarbeitet zu den metallischen Nährstoffen, die im Boden des Planeten nur so selten vorkommen. Einige der Materialien sind hartnäckiger, werden länger brauchen, bis sie aufgebrochen sind. Aber bald wird nichts mehr an die fremden Besucher erinnern.
Zufrieden wendet Es sich dem Stand seiner strategischen Abwehr für die nächste Krise zu. Nichts bestimmt seine Existenz so sehr wie die Sorge um diesen ewigen Zyklus. Noch bleibt ihm Zeit, aber Es weiß aus Erfahrung, dass eine gute Vorbereitung sich auszahlt. Viele der Jungpflanzen werden den Bränden und der Kälte trotzdem zum Opfer fallen. Aber andere werden im Schutz von älteren Stämmen Stürme, Feuer und Frost überstehen. Die ältesten Bäume wird Es an verschiedenen Stellen des Planeten so eng zusammenrücken, dass zumindest ein Teil von ihnen die harte Zeit überleben kann, die Wurzeln mit den wichtigen Bewusstseinszellen dicht ineinander verflochten. Natürlich besteht trotzdem die Gefahr, dass Es durch den Verlust eines großen Teils seiner Biomasse verletzt und beeinträchtigt wird. Aber Es hat die Möglichkeit entwickelt, sich in den geschützten Bereich der Wurzelballen zurückzuziehen, gefangen in einem Winterschlaf. Es ist zuversichtlich, auch der nächsten Krise gewachsen zu sein.
Seine Gedanken wandern zurück zu den Besuchern. Erst nach einer Weile begriff Es, dass der silberne Feuerblitz nicht der Bewusstseinsträger war, sondern nur eine Hülle für mehrere winzige Einzelwesen. Seltsam, wie so kleine und junge Wesen ohne Wurzelverbindung ein selbständiges, voneinander unabhängiges Bewusstsein entwickeln konnten.
Es hat diese Einheiten vorsichtig in sich aufgenommen, mit seinem eigenen, uralten Bewusstsein zusammengeführt. Es verspürt Neugier, will sich etwas Zeit nehmen, die Wesenheiten besser kennenzulernen, zu erforschen. Es erinnert sich daran, dass es auf diesem Planeten Wesen gab, die ähnlich unabhängig agierten. Allerdings entwickelten sie niemals ein nennenswertes selbständiges Bewusstsein. Sie sind inzwischen ausgestorben, haben das Feuer und die Kälte nicht überlebt. Einige hat Es auch integriert oder bewusst zerstört. Zuerst akzeptierte Es die krabbelnden Einheiten wohlwohlwollend, ließ sie von seinen jungen Blättern fressen. Bis dann in der nächsten Krise fast alle Jungpflanzen erfroren, weil sie nicht kräftig genug ausgebildet waren. Nun ist der ganze Planet unter seiner Kontrolle geordnet, harmonisch organisiert.
Und da tauchen diese Fremden auf, um unzählige Stämme niederzubrennen. Natürliche Brände durch Blitzschlag sind außerhalb der Krise selten. Sie lassen sich rasch eindämmen, auf kleine Flächen zwischen den Kanälen reduzieren. Aber dem Feuersturm der Besucher stand Es machtlos gegenüber und zog vor, zuerst zu beobachten, den angerichteten Schaden zu verarbeiteten. Erst als die Fremden kostbare Jungpflanzen bedrohten, entschloss Es sich zum Eingreifen.
Vorsichtig erforscht Es die gesammelten Informationen der fremden Bewusstseinseinheiten und versenkt sich in deren Studium. Vieles ergibt keinen Sinn, aber manche Emotionen und Konzepte kann Es nach und nach unterscheiden. Es beschäftigt sich fasziniert mit Neugier, Liebe, Angst, Freude, Verzweiflung und Hoffnung, entschlüsselt die Bedeutung von Begriffen wie ‹Mensch›, ‹Schiff›, ‹Triebwerk› oder ‹Expedition›. Es erfasst das Dilemma, dass die Fremden die Verbrennung zahlloser Bäume als notwendig erachteten, ohne dabei Befriedigung zu empfinden.
Die Erinnerungsbilder der Besucher zeigen eine Welt, die aus seiner Perspektive lebensfeindlich wirkt, der Zerstörung nahe. Es begreift, dass diese Wesen neuen Lebensraum suchen. Früher oder später wird Es sich mit weiteren Besuchen auseinandersetzen müssen, mit mehr als nur einem Silberschiff. Es wird einen Weg finden müssen, mit dieser neuen Bedrohung umzugehen.
Erst nach mehreren Umdrehungen beschafft Es sich durch sein Wurzelwerk wieder einen bewussten Überblick über die Situation auf dem Planeten, immer noch nachdenklich gestimmt. Es nimmt den kühlen Regen in einer Zone und die sengende Hitze in einer anderen wahr, verschiebt Jungpflanzen aus dem direkten Sonnenlicht an einen schattigeren Platz.
Ein Konzept der Besucher gefällt ihm besonders gut. Jedes dieser Wesen besitzt einen eigenen Namen, der zur Unterscheidung dient. Und sie haben Es ebenfalls benannt. Bevor Es sich wieder vollständig der Pflege seines Planeten widmet, wiederholt Es in Gedanken mehrmals dieses fremde Wort. Es mag den Klang des Namens. Es wird ihn behalten.
Emerald.
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Dendro
Science FictionDer Planet scheint wie geschaffen für eine menschliche Besiedlung. Genügend Wasser, eine erdähnliche Atmosphäre und eine üppige Vegetation. Mil macht sich mit Begeisterung an die Erforschung der Biosphäre. Dabei entgeht ihr ein Detail...