Vorlieben
Wie oft in der Forschung werfen die neuen Resultate mehr Fragen auf, als sie beantworten. Mil überprüft ihre Messungen zum dritten Mal, zweifelt an ihrer Methode und Genauigkeit. Aber die Tatsache bleibt bestehen, dass alle Bohrkerne, die Koshi aus dem Jungwuchs mitbrachte, genau 78 Jahrringe aufweisen. Noch einmal sieht sie sich die Aufzeichnung von Koshis Kamera an. Es gibt keine Hinweise auf einen Waldbrand oder eine andere Zerstörung des Bewuchses, der vor den jungen Bäumen hier gestanden haben muss. Dafür sind alle 23 bekannten Baumsorten vertreten. Einmal mehr wird Mil das Gefühl nicht los, dass sie etwas Wesentliches übersieht. Ob Koshi vielleicht doch recht hat mit der Vermutung, es handle sich um eine bewusste Anpflanzung?
Dray betritt das Labor und lässt sich mit einem Stöhnen auf einen Stuhl fallen. Sie hat Carlos den ganzen Tag geholfen, das Manövriertriebwerk umzurüsten. Mil ist neugierig auf das Ergebnis.
«Und, klappt es mit dem großen Umbau?»
«Es ist ein Riesenaufwand. Aber Carlos meint, wir hätten das Wichtigste geschafft. Er beginnt nun seine Testläufe zu programmieren. Da habe ich mich lieber verkrümelt. Du weißt ja, wie er ist.»
Mil schmunzelt, ja, sie weiß genau wie Carlos ist. Wenn er in seine Arbeit vertieft ist, ist er weder ansprechbar noch bereit, irgendeine Ablenkung zu tolerieren. Es sei denn, jemand drückt ihm einen Becher schwarzen Kaffe in die Hand. Trotzdem mag sie den Techniker sehr gern. Dray beobachtet ihr Gesicht und lächelt schwach. Sie scheint Mils Gedanken zu lesen.
«Du magst ihn, nicht wahr? Ich meine richtig.»
Mil blickt Dray überrascht an. Das ist das erste Mal, dass diese ihr eine solch persönliche Frage stellt. Und ihr Tonfall ist zudem ernsthaft interessiert. Mil unterdrückt mit einer Anstrengung die übliche schnippische Reaktion, die sie sich der Pilotin gegenüber angewöhnt hat.
«Ja, ich glaube ich mag ihn wirklich. Er hat einen guten Humor, und seine unglaublich archaischen Ausdrücke und Sprüche bringen mich immer wieder zum Lachen.»
«Hast du ihm das einmal direkt gesagt?»
«Nein, wo denkst du hin! Das wäre mir peinlich, vor allem weil er doch nur Augen für seine Triebwerke hat. Und ich glaube außerdem nicht, dass Koshi es tolerieren würde, wenn zwei von der Crew etwas miteinander anfangen.»
Dray lehnt sich mit nachdenklichem Gesicht auf ihrem Stuhl zurück. Gedankenverloren flicht sie eine ihrer blonden Haarsträhnen zu einem Zöpfchen, um dieses gleich darauf wieder zu lösen.
«Ich weiß nicht. Die Sache mit dem Speicher hat mich beschäftigt. Was ist, wenn wir auf Emerald stranden? Oder wenn beim Start etwas schiefgeht? Wir wissen nicht, ob wir hier lebend wieder herauskommen. Vielleicht sollten wir das Beste aus der Zeit machen, die uns noch bleibt.»
Mil starrt ihre Kollegin einen Moment lang sprachlos an. So etwas hat sie von der immer spöttischen Dray nicht erwartet. Diese lacht verlegen und streicht sich die Haarsträhne hinters Ohr.
«Entschuldige, ich wollte dir keine Angst machen. Tut mir leid.»
«Es muss dir nicht leid tun. Ich weiß selber, wie unsere Chancen stehen oder eben nicht. Ich habe in der Bibliothek gestöbert. Mir ist nur gerade aufgefallen, dass wir noch nie zusammen über so etwas gesprochen haben. Wen magst du denn am liebsten? Koshi?»
«Koshi sieht heiß aus, zugegeben. Aber ehrlich gesagt stehe ich mehr auf Andrej. Und sag nicht, er sei zu alt für mich. Ich mag seine Lachfalten und seine ruhige Art. Ich habe immer geglaubt, dass du etwas mit ihm anfängst, unter Wissenschaftlern oder so. Hast du nie daran gedacht?»
Mil blickt verlegen zu Boden. Natürlich hat sie sich das überlegt, sogar davon geträumt. Ihr Gesichtsausdruck bringt Dray zum Lachen. Mil lässt sich anstecken. Das Lachen fühlt sich gut an.
«Doch, klar habe ich das. Aber alles in allem ist Carlos doch mehr mein Typ. Ich halte mich an die Südländer und überlasse dir Andrej. Abgemacht? Aber was machen wir mit Koshi?»
«Du hast selber gesagt, er hätte etwas gegen Beziehungen. Aber wenn wir schon dabei sind, wir sollten ihn als Nachtisch aufsparen und uns dann teilen, was meinst du? Ich glaube ohnehin nicht, dass eine von uns allein seinen hohen Ansprüchen genügen könnte!»
Zum ersten Mal seit sie sich kennen lachen Mil und Dray herzhaft miteinander. In diesem Moment betritt Andrej das Labor. Der Astrophysiker betrachtet die beiden mit hochgezogenen Brauen.
«Gibt es einen Grund für diese Fröhlichkeit? Wenn ja, schließe ich mich gerne an.»
Mil blinzelt Dray verschwörerisch zu und bietet Andrej ihren Platz neben der Pilotin an.
«Dray und ich haben nur gerade über einige Ideen und persönliche Vorlieben geplaudert. Ich glaube, ich sehe mal nach Carlos, bevor er das ganze Schiff demontiert.»
DU LIEST GERADE
Dendro
Science FictionDer Planet scheint wie geschaffen für eine menschliche Besiedlung. Genügend Wasser, eine erdähnliche Atmosphäre und eine üppige Vegetation. Mil macht sich mit Begeisterung an die Erforschung der Biosphäre. Dabei entgeht ihr ein Detail...