,,Und was jetzt?", fragte ich und versuchte meine immer noch währende Enttäuschung des Verrates zu unterdrücken. Ich musste jetzt stark sein. Für Elijah. Oder wenigstens für mich. Am liebsten würde ich weinen, schreien und Sandro wieder und wieder eine runterhauen, ich würde ihn am liebsten töten und dennoch umarmen. Verdammt, er ist quasi mein Vater.
Er war die einzige in meinem Leben, der ich bisher alles anvertraut habe. Oder hätte. Denn Sandro hatte mir - zurecht - beigebracht, niemandem zu vertrauen. Als kleines Kind hatte ich ihm erst nicht geglaubt, doch als ich in der Grundschule das erste Mal wochenlang geärgert wurde, änderte sich meine Meinung und Sandro fing an mich zu trainieren.
Alles war gespielt.
,,Jetzt warten wir" Sandro schaute auf die Uhr. ,,Ist ja nur noch eine Stunde hin. Wie war der Ball?"
,,Super. Zumindest bis du alles zunichte gemacht hast", murmelte ich. ,,Ich will wissen warum ihr das macht. Entführung und so"
Ich musste Sandro so lange ablenken, bis ich das Messer aus meinem hässlichen Glitzergürtel gezogen hatte.
Gott bin ich froh über diese Idee.
,,Das hab ich dir doch schon erzählt", sagte Sandro verwirrt. ,,Ich will aber alles hören. Und von dir auch, Xelia"
,,Du darfst aber nichts wissen, wenn du danach noch leben willst", erwiderte Sandro. Ich lachte spöttisch und versuchte so meine gesamten Emotionen zu überspielen. Angst, Trauer und die Enttäuschung des Verrats. Sandro war der einzige, dem ich je blind vertraut hätte, bis Elijah kam. Sandro war immer für mich da gewesen, auch wenn er es nicht immer zeigte. Ein einziges Warum hallte in meinem Kopf immer und immer wider, als wäre das Wort in einer riesigen Halle gefangen und es konnte nicht herauskommen.
,,Ich steck doch sowieso schon zu tief drin, verarschen kann ich mich selber", fauchte ich und hatte den Drang, meinem Adoptivvater ins Gesicht zu spucken, doch ich hielt mich unter Kontrolle, soweit es ging. Ich sollte ihn nicht zu sehr provozieren, das war ein ganz neuer Sandro, den ich nun vor mir hatte und ich konnte ihn noch nicht einschätzen. Ich hatte einen fremden Menschen vor mir.
,,Da hast du Recht", grinste Xelia. ,,Das mit meinem Vater ist nicht wirklich ausschlaggebend, zumindest nur für mich und ich finde ehrlich gesagt, dass sie wenigstens ein bisschen Wahrheit heute verdient hat. Mein Vater hatte Geldprobleme und war depressiv, woran die Hure von Mutter Schuld war. Nach einem verfehlten Selbstmordversuch hat er gemerkt, dass er sich zu sehr verändert hatte und ich auch noch da war und er hat sich für dieses blöde Projekt als Testperson eingeschrieben, statt einfach zum Psychiater zu gehen. Die ersten Versuche liefen gut, er wurde lebensfreudiger, bis dann der Krebs kam und ihn auffraß. Obwohl er gerade wieder Leben in sich eingehaucht hatte! Und daran waren nur Mister Adams und Hilton Schuld, sie wussten was es für Nebenwirkungen gab und sie hatten ihn nicht vorgewarnt. Nach dem Motto Lesen-Sie-das-Kleingedruckte! Die Chiropteraaudi sollte eigentlich kleine Schallwellen ans Gehirn senden. Dadurch sollten Panikattacken beseitigt werden, es sollte dem Körper helfen Antikörper gegen Krebs zu entwickeln, sowas halt. Aber alles ist schief gelaufen und es waren keine Schallwellen, sondern Strahlungen! Und deswegen wird Sandro die Erfindung richtig überarbeiten, sie besser machen und dann auf den Markt bringen. Ohne Testpersonen. Wir werden es viel besser machen als die Möchtegernforscher"
Ich sagte nichts. Ich hätte es tun können, so viele Sprüche, Beleidigungen und Vorwürfe lagen auf meiner Zunge, sie brannten und wollten losgelassen werden auf Sandro, auf Xelia, auf irgendjemanden, den ich hasste. Doch ich beließ es dabei. Dass Xelia etwas von sich erzählte war nur Mittel zum Zweck und ich kannte ihr Motiv jetzt detaillierter.
Ich biss mir auf die Lippe, höchst konzentriert darauf, das Messer aus dem Gürtel zu bekommen. ,,Sandro? Und du? Ich wurde also nur adoptiert, damit ich bei Adams arbeite", sagte ich. ,,Vielen Dank dafür, mal wieder gemerkt wie wertvoll ich bin", murmelte ich und unterdrückte erneut ein paar Tränen. Die konnten später kommen, wenn all das hier durchgestanden wurde.
Ich rückte etwas näher an die Stuhllehne, als Sandro einen Schritt auf mich zu kam. Vielleicht dachte er, dass ich Angst vor ihm hatte oder angeekelt war - letzteres war ich zugegebenermaßen auch ein wenig - aber so war es nicht. Ich musste mit meinen Händen näher an den Gürtel kommen, damit meine Finger den Stoff ertasten konnten. Hoffentlich war das Messer überhaupt noch da...
Ich atmete aus, als Sandro mir den Rücken zuwandte und ich gleichzeitig hartes, kaltes Metall spüren konnte.
,,Du bist nicht wertlos, Rowan. Du bist ein wunderbares Mädchen" Ich hörte gar nicht mehr wirklich zu, ich war viel zu sehr damit beschäftigt, das Messer möglichst leise in meine Hände zu bekommen, die Worte von dem Verräter kamen nur dumpf bei mir an. Trotzdem musste ich mich mit ihm unterhalten.
,,Und trotzdem war ich einfach nur da, um eine Brücke zwischen Adams und dir zu bauen", stellte ich missmutig fest und verdrängte den Gedanken, dass mich nie irgendjemand haben wollte. Von meinen Eltern wusste ich nichts, wir hatten nie darüber gesprochen und ich bereute es in diesem Moment ungeheuer sehr.
Ich hatte nie wirklich Freunde gehabt, alle hatten sich von mir abgewandt und die Zeit ließ sie vergessen. Allerdings nicht, dass sie nie etwas gegen das Mobbing in der Grundschule unternommen hatten und das hatte mir die Augen geöffnet, dass sie nie welche waren. Nummer zwei von Leuten, die ich verloren hatte. Der Betreuer des Waisenheims, zumindest in meinem Trakt. Er hatte so oft, zu oft voreilige Schlüsse gezogen und mich für etwas bestraft, was ich nie getan hatte. Nummer drei. Und nun auch noch Sandro, der erste Mensch in meinem Leben, der sich freiwillig um mich gekümmert hatte.
,,Also wolltest du einfach irgendwen, egal wen und ihn dann in die Villa einschleusen?", fragte ich und hielt mich zurück mit dem enttäuschten Unterton. Das würde ich ihm nicht gönnen. Meine Finger ertasteten den Saum des Gürtels und ich zog ihn ein wenig herunter, denn das Brennen um meine Handgelenke verstärkten sich.
,,Nein. Ich wollte nur dich. Als ich dich gesehen hab, da wusste ich, dass wir zwei sowas wie beste Freunde werden konnten. Du hast in dem Moment einem Jungen eine Schelle gegeben und ich mochte dich auf Anhieb. Dann habe ich ein paar Menschen im Ministerium bestochen und ich musste nicht auf den Zufall vertrauen. Ich wollte nur dich als Tochter haben, so war das schon immer. Das musst du immer bedenken. Doch nach der zweiten Klasse merkte ich, dass ich mich nicht auf die eigentliche Aufgabe konzentrierte und versuchte langsam auf Abstand zu gehen, sodass du nicht so groß enttäuscht gewesen wärst, wenn ich die richtige Vaterrolle eingenommen hätte, die du verdient hast. Das tut mir leid, Rowan"
Lügen. Schon mein ganzes Leben lang. Und ich bezweifelte, dass dies die Wahrheit war.
Ich griff in den Gürtel und zog das Messer alle zehn Sekunden einen kleinen Millimeter weiter nach Unten, ab und zu kam mir die leichte Fütterung des Gürtels in die Quere und ich musste noch vorsichtiger sein.
,,Oh, schon viertel nach elf, na dann werde ich mich mal auf den Weg machen", kündigte er nach einem kurzen Blick auf die Armbanduhr an.
,,Xelia, du passt schön auf sie auf. Das Druckmittel darf nicht wegrennen, möglicherweise wird es sonst Leichen geben. Pünktlich um Mitternacht"
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>F:idk anymore, Ende Juni
>P:07.07.2017
Anfang der Lesenacht🌚
Nächstes Chapter: 21.00 Uhrxxᗩ
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Schattenmädchen | ✔︎
Mystère / ThrillerIch war immer da, nur bemerkte er mich nicht. Ich stalkte ihn nicht, ich verdiente so mein Geld. Ich hielt mich im Schatten. Denn ich war das Schattenmädchen. Bis jetzt. •∞• Rowan babysittet einen der größten Idioten ganz San Antonios: Elijah Adams...