Kreuzdame - Kapitel 4

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Kapitel 4

Sandrine saß am Küchentisch in ihrer Wohnung, das Kinn auf ihre gefalteten Hände gestützt und sah Parsley zu, wie er sich über ein Stück Birne hermachte.

»Ich frage mich, wer das vergeigt hat. Wie kann man übersehen, dass die Frau eine geschiedene Mutter ist? Und was erzähle ich jetzt der Baronin? Der wird das nämlich herzlich egal sein.«

Sandrine legte ihre Stirn auf die Tischplatte und starrte den Boden zwischen ihren lila Hausschuhen an.

»Wenn sie ins Gefängnis geht, dann sieht sie ihren Sohn nie wieder, und wenn sie­­ flüchtet, dann auch nicht. So ein Mist.« Sie kratzte sich an der Nase. Dann sah sie auf und legte den Kopf schief.

»Sag schon, was soll ich tun?«

Parsley hatte sein Stück Birne aufgegessen. Er sah sich um und trabte kauend Richtung Obstkorb, um sich einen Nachschlag zu holen.

Sandrine lächelte.

»Du hast vollkommen recht. Ich kann mich schließlich immer noch umdrehen und weggehen. Egal, was ich bei der Abhöraktion herausfinde, ich kann entscheiden, welche Informationen ich dem Konsortium zukommen lasse und welche nicht. Parsley, du bist genial.«

Sie hob die Schildkröte auf, die in der Luft mit ihren Beinchen unbeirrbar weitermarschierte, setzte sie in ihr Terrarium und legte noch ein Apfelstück auf den Futterteller. Sandrine war erleichtert. Es war zwar keine perfekte Lösung, aber für den Moment eine, die ihr inneres Gleichgewicht wieder herstellte.

»Mami muss jetzt in die Stadt, um ihr Abendoutfit für morgen abzuholen. Du hast ja genug zu tun.« Damit streichelte sie Parsley über den Kopf, rollte das feinmaschige Drahtgitter über das Terrarium und ging ins Schlafzimmer.

Die Wohnung war mit über hundert Quadratmetern fast zu groß für Sandrine. Eigentlich war sie eine ehemalige Lagerhalle für Kaffee gewesen, aber die Vorbesitzer wandelten sie mit wenigen Handgriffen zu einem Loft um. Nun war sie überschaubar und heimelig. Ein Bereich für das Schlafzimmer, ein Bereich für Küche, ein Bereich für das Wohnzimmer. Alles durch Reispapier-Raumteiler getrennt. Sie hatte die Wohnung vor drei Jahren vom Konsortium als Bonus geschenkt bekommen. Den Wert konnte sie nur erahnen. Der Auftrag, den sie dafür erledigen musste, führte sie nach Amerika, wo sie sechs Monate lang bei einer gegnerischen Bank spionierte. Sie liebte ihre Arbeit, obwohl sie ihre Tätigkeit für sich selbst lieber als „Informationsbeschaffung“, denn als „Wirtschaftsspionage“ bezeichnete.

Sandrine schlüpfte in ein schwarzes Top, zog ihr weißes Leinenkostüm an, dazu ein Paar rote Slingpumps, verknotete ein dezent gepunktetes rosa Halstuch um ihren Hals und klemmte sich ihre schwarze Pochette unter den linken Arm. Mit ein paar schnellen Griffen bändigte sie ihr schwarzes Haar mit einem hoch angesetzten Pferdeschwanz. Ein schneller Kontrollblick in den Spiegel rang ihr ein Lächeln ab.

Langsam schritt sie über die Stiegen ins Erdgeschoßzur Pforte, während sie telefonisch ein Taxi bestellte.

Die Sonne schien am Nachmittag schon tief über die Straße und Sandrine setzte ihre Oakley Discreet Sonnenbrille auf. Sie sog den Atem der Stadt in ihre Lungen.

Neben ihr seufzte jemand.

Sandrine sah sich um. Auf der Bank an der Wand saß der Hausmeister. Frederik Mueller. Die Zigarette zwischen seinen dicken Fingern, das weiße Haar über den Ohren so kurz geschnitten, dass man die Kopfhaut durchsah und einen Gürtel um die Leibesmitte, der ihn abband, wie ein Wurstende.

Er seufzte erneut.

Sandrine verzog den Mund. Sie mochte Frederik und seine Frau. Ein nettes, altes Ehepaar, das sich um alles rund um den Wohnblock kümmerte. Wären da nicht die ständigen Streitereien gewesen.

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