Kreuzdame - Kapitel 20

1.1K 63 5
                                    

Kapitel 20

»Wir werden ihn nie los«, knurrte Daniel.

Sandrine sah in den Rückspiegel. Der schwarze Mercedes von Gregory hing ihr an der Stoßstange und ließ sich nicht abschütteln.

Sie hatten sich weit in den Norden der Stadt vorgearbeitet. Neben ihnen zog sich das trockene Becken des Flusses Paillon dahin, über den alle paar Kilometer eine Brücke führte.

Sandrine dachte fieberhaft darüber nach, wie sie Gregory loswerden konnte, während sie an Mopeds, Wohnwagen und LKWs vorbeipreschte.

»Wie lange wollen wir ihnen noch davon fahren? Bis der Tank leer ist?« Daniels Stimme hat eine nervtötende Tonlage angenommen.

Sandrine sah im Vorbeifahren unter einen Brückenkopf. Dann hellte sich ihr Gesicht auf.

»Festhalten.«

Sie reihte sich vor einem LKW für Designer-Möbel auf der rechten Fahrspur ein. Mit einem Mal riss sie das Lenkrad nach rechts. Sie holperten über den Gehsteig. Das Auto drehte sich um fast 180 Grad und kam auf einem abschüssigen zum Stillstand. Sandrine schaltete in den ersten Gang.

Aus dem Seitenfenster konnten sie sehen, wie der schwarze Mercedes das Manöver etwa hundert Meter hinter ihnen wiederholte.

Vor ihnen führte der Weg hinunter ins Flussbett unter den Brückenkopf einer der Autobrücken. Hunderte Möwen und Tauben hatten sich dort niedergelassen und saßen in kleinen Grüppchen beisammen. Ihre Köpfe steckten unter den Flügeln. Sie schliefen. Ab und zu streckte sich eine der Möwen und blickte sich um.

»Was hast du vor?«, fragte Daniel und klammerte sich wieder am Sicherheitsgriff über dem Türrahmen mit beiden Händen fest.

»Das ist eine wirklich spannende Frage«. Sandrine sah in den Rückspiegel. Kurz bevor Gregory, der nun als Geisterfahrer auf dem Gehsteig unterwegs war sie erreichte, schaltete Sandrine in den ersten Gang und fuhr langsam, aber stetig schneller werdend den abschüssigen Weg hinunter.

Fünfzig Meter vor dem Brückenkopf schaltete sie in den Leerlauf und rollte mit dem Auto lautlos zwischen den Vögeln hindurch. Daniel starrte fassungslos aus dem Fenster.

Sandrine sah ein weiteres Mal in den Rückspiegel. Der schwarze Mercedes schob seine Frontpartie über den Gehsteig und hetzte den Weg herunter.

»Komm schon«, flüsterte sie. Als sie ihren Schwung fast verloren hatten, schaltete Sandrine in den ersten Gang und ließ den Motor aufheulen. Mit beiden Händen schlug sie immer und immer wieder auf die Hupe. Der Renault hüpfte mit einem Satz auf der anderen Seite aus einem Wall aufgeschreckter Vögel, wie eine Raubkatze aus dem Dickicht des Dschungels.

Sandrine brachte so viel Abstand wie möglich zwischen sich und den hysterischen Vogelschwarm, bevor sie auf die Bremse sprang.

Sie drehten sich beide um und sahen, wie der schwarze Mercedes von der Masse an kleinen Vogelkörpern verschluckt wurde. Der Wagen bog in einem scharfen Winkel nach rechts ab und knallte mit einem lauten Scheppern gegen die Brückenmauer.

Die gesamte Frontpartie des Wagens war eingedrückt. Sandrine sah, dass sich die Airbags nicht geöffnet hatten. Sie löste ihren Sicherheitsgurt und stieg aus.

»Was hast du vor?«, rief Daniel aus dem Auto.

»Ich helfe ihm«.

»Bist du verrückt?«

Sandrine lehnte sich durch die offene Autotür.

»Verrückt wäre es, ihm nicht zu helfen. Stell dir vor, er stirbt? Weißt du, was das für mich hieße, wenn das die Baronin erfährt? Die Chefin ihrer neuen Sicherheitsabteilung hat ihren geliebten Neffen auf dem Gewissen? Denk mal darüber nach.«

KreuzdameWo Geschichten leben. Entdecke jetzt