Kreuzdame - Kapitel 6

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Kapitel 6

Nizza zeigt im Februar jedem seinen Charme, der hinsieht. Der Strand lässt sich liebevoll vom Meer streicheln, eine leichte Brise fährt unter die Dächer und die Sonne taucht die Häuserfronten in sanftes Gold. Sie ist eben eine typische Französin.

Sandrine fuhr mit dem Aufzug zur Suite der Baronin.

Babette Marjorie Caraman de La Vallée de Martin, war 62 Jahre alt und von französisch-portugiesischem Adel. Was sie sagte, war Gesetz, und auch wenn sie mit zwei Männern zusammenarbeitete, so war völlig klar, wer bei den großen Entscheidungen das Schwert in der Hand hielt. Sie war blasiert, arrogant und wäre ihr Ego aus Stein gewesen, hätte sie sich damit eine Statue so hoch wie die Alpen anfertigen lassen können.

Sandrine betrachtete sich im Spiegel des Lifts. Ihr schwarzes Haar­ war hochgesteckt, das Make-up dezent, aber erlesen, ihr Abendkleid, ihre Schuhe und ihr Bolero perfekt abgestimmt. Ihre Pochette war zum Glück dermaßen zeitlos gearbeitet, dass sie zu allem passte, was sie anzog. Selbst wenn sie ein Bärenkostüm hätte tragen müssen.

Der Lift hielt und die Türen öffneten sich. Der Hotelflur war mit reichem Brokat ausgestattet. Sandrine schritt lautlos über den Boden. An der Tür zur Suite klopfte sie dreimal.

Ein junger Mann mit mandelförmigen Augen öffnete. Sein schwarzes Haar war streng zu einem Scheitel gekämmt. Er trug eine weiße Uniform und Samthandschuhe.

»Die Baronin hat sich anscheinend wieder mit neuem Personal belohnt«, dachte Sandrine und ging an der ausgestreckten Hand des Dieners vorbei.

»Mademoiselle Ferrand, die Baronin erwartet Sie im Arbeitszimmer.«

Die Suite glänzte und funkelte. Gold, Edelstahl, Ebenholz. Sandrine war die prunken Unterkünfte der Baronin mittlerweile gewöhnt. Trotzdem fühlte sie sich nie wirklich wohl darin.

Die Tür zum Arbeitszimmer wurde vom Diener geöffnet.

Hinter einem breiten Chesterfield-Schreibtisch saß sie. Die blonden Haare zu einem Dutt hochgesteckt, eine Spitzenbluse mit steifem Kragen, eine bordeauxfarbene Jacke und eine schmale Goldbrille auf der Adlernase. Sie las in einer Akte.

Sandrine blieb stehen und der Diener bezog neben dem Schreibtisch seinen Posten, die Arme hinter dem Rücken verschränkt.

»Haben wir alles erledigt?«, kam es mit kontrolliert ernster Stimme von der Baronin. Die Kälte, die in den Worten mitschwang, war nicht zu überhören.

»Exakt nach Vorgabe. Jedes Wort von Alexandra Gaines wird aufgezeichnet.«

»Sehr gut.« Die Baronin blätterte in der Akte und las weiter.

»Ich habe da eine Frage«, sagte Sandrine, wohl wissend, dass die Baronin nicht gerne angesprochen wurde.

Ein scharfer Blick blitzte aus grauen Augen über den Brillenrand, , die Akte, den Tisch, direkt auf Sandrine.

»Bitte.«

»Irgendjemand in der Rechercheabteilung hat geschlampt. Alexandra Gaines ist Mutter eines etwa achtjährigen Sohnes. Verstehen Sie mich nicht falsch, aber vielleicht …«

Die Baronin brachte Sandrine mit dem ausgestreckten Zeigefinger zum Schweigen.

»Diese Frau hat uns zwar nur die Porto-Kasse leergeräumt, nichtsdestotrotz ist sie eine Betrügerin und Diebin. Sie hat einen Sohn? Nun, dann hätte sie sich das als verantwortungsvolle Mutter früher überlegen sollen.«

»Ich dachte nur …«

»Was? Dass wir sie ziehen lassen sollen? In Frieden lassen? Ich bitte Sie.«

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