Kapitel 23
Sandrine stand vor der großen Anzeigetafel am Gare de Nice-Ville und kontrollierte die Abfahrtszeiten. Sie brauchte einen Zug, der sie von Nizza so schnell wie möglich nach Calais brachte. Von dort wollte sie weiter nach London reisen. Es gab nur eine Person, die ihr in der jetzigen Situation helfen konnte. Robert Burke. Restaurantbesitzer und Hehler.
Sandrine schlich vor den Ticketverkäufern auf und ab, die hinter ihren kleinen Fenstern saßen und jeden Reisenden missmutig anknurrten, der um eine Karte bat. Die Lounge für die erste Klasse indes wurde nur selten benutzt und lag etwas abseits in einem kleinen Raum, der mit Ledermöbel gepolstert war. Immer wieder traten Geschäftsleute in schwarzen Anzügen mit Aktenkoffern ein, kauften Tickets und verschwanden wieder. Jedesmal duftete es nach frischen Eclairs, wenn sich die Tür öffnete.
Hinter dem Schalter saß eine Blondine, die sich leidenschaftlich zwei Dingen widmete. Einer Zeitschrift über Innendekoration und Eclairs. Dementsprechend saß ihre Uniform sehr eng, was sich besonders daran zeigte, dass zwischen den Knöpfen ihrer Bluse der Stoff spannte, und über Gebühr eng anlag.
Sandrine grinste in sich hinein. Sie wusste, was zu tun war.
Sie öffnete ihr Haar und brachte es durcheinander, sodass es in alle Richtungen stand. Bei einem kleinen Bäcker kaufte sie ein Eclair und postierte sich gegenüber der Lounge. Als erneut ein Geschäftsmann eintrat, heftete sie sich an seine Fersen.
»Guten Tag. Wie kann ich Ihnen helfen?«, fragte die Blondine gelangweilt.
Der Anzugträger knurrte sie an: »Paris, einfache Fahrt, erste Klasse.«
Die Blondine sah ihn zweifelnd an, tippte dann die Fahrtstrecke in den Computer und druckte die Karte aus.
»Wie möchten Sie bezahlen?«
Als Antwort zog der Mann seine Geldtasche aus dem Sakko und legte einen 500-Euro-Schein auf den Tresen.
Die Blondine nickte, zählt das Wechselgeld aus einer Schublade und händigte dem Geschäftsmann das Ticket aus.
Sandrine beobachtete das Geschehen aus dem Augenwinkel. Ihr Blick streifte das Namensschild der Schalterbeamtin. Angelina.
Der Reisende grüßte kurz und verließ die Lounge.
Sandrine holte ein paar Mal tief Luft. Dann trat sie vor die Blondine und sagte so schnell sie konnte: »Hallo. Ich weiß, das muss sich jetzt total verrückt für Sie anhören, aber sehen Sie, ich habe da diesen süßen Jungen kennengelernt und ihm erzählt, dass ich hier in der Ersten-Klasse-Lounge arbeite. Hören Sie, ich habe ihm versprochen, dass er mich um Mittag hier abholen darf. Ach, er hat ja so wunderschöne Augen. Blau mit kleinen grünen Sprenkeln drinnen und die Grübchen an seinen Wangen, ich schmelze, wenn ich nur daran denke. Ich glaube, ich bin am besten Wege mich in ihn zu verlieben. Ich habe ja nicht geglaubt, dass das jemals nochmals passieren könnte, nachdem mich mein Ex verlassen hat. Mit einer Schwarzhaarigen, so einer richtig durchtrainierten Jus-Studentin. Jede Menge Geld hatte die, aber nichts im Kopf und ich armes Mädchen vom Land. Naja, Sie können es sich vorstellen. Im Bett hatte er seinen Spaß, aber kaum wollte ich mehr, zack, da war er weg, diese Ratte. Jedenfalls, Pierre, das ist sein Name, ich liebe diesen Namen, Pierre kommt zwischen zwischen 12:00 und 12:15 Uhr, um mich abzuholen. Ich traue mich kaum zu fragen, aber denken Sie, nein, glauben Sie, Sie könnten mir einen winzig kleinen Gefallen tun?«
Die Augen der Blondine glotzten Sandrine erstaunt an, während der Redefluss, wie ein Wasserfall auf sie niederprasselte.
Sie sammelte kurz ihre Gedanken und stotterte: »Äh, ich wüsste nicht wie, ich meine, was ich, äh …«
