Die vierzehn jungen Erwachsenen standen im Halbkreis um den riesigen Bildschirm an der Frontseite des Konferenzraumes gedrängt. Vor der Leinwand stand ein Mann im Kittel, der auf einer winzigen Fernbedienung die Projektion bediente und dazu in einem eintönigen Klang sprach.
"Das Projekt trägt den Namen Virtuell Avatar 01 oder kurz VA01. Hierbei geht es um eine Weiterentwicklung von Virtual Reality. Wir möchten den Kunden mithilfe einer Brille und einer Art Narkosemittel in eine vom Computer geschaffene Welt versetzten. Dank der gut entwickelten Avatare und der neusten Technik, basierend auf implantierten Nanobots wie es sie schon auf dem Markt gibt, kommt es dem Gehirn so vor, als würde es in einer realen Welt sein, in der es alle Sinneswahrnehmungen benutzten kann. Wenn Sie Blumen sehen, werden Sie sie auch riechen, die Sonne kann sie blenden, im Schnee werden sie frieren und wenn jemand schreit, ein Vogel zwitschert oder ein Hund bellt, werden Sie es hören können. Die Avatare sind inzwischen sogar so weit, dass sie auch Schmerz empfinden können. Sollten Sie sich an einer Dorne stechen, werden Sie den Schmerz spüren. Besser gesagt, Ihr Avatar wird ihn spüren und Ihrem Gehirn wird der Schmerz vorsimuliert, denn dem sich im Ruhestand befindenden Körper passiert nichts.
Bevor wir dieses Produkt auf den Markt bringen, müssen wir es erstmal ausreichend testen. Sie sind nicht die allerersten Menschen die es ausprobieren, wir haben es vorher an uns getestet, also seien Sie versichert, dass wir genauesten wissen was passiert oder passieren kann.
Ihr Körper wird genau zehn Stunden ruhen, aber in der virtuellen Welt ist jede Stunde ein Tag. Die Kunden können dann natürlich selber auswählen wie das Zeitverhältnis sein soll.
Ich habe vorher die Nanobots angesprochen. Sie alle haben ein paar Grundbots implantiert, dass ist heutzutage nötig. Die für dieses Projekt nötigen Nanobots wurden Ihnen nach Unterzeichnung der Vertrages implantiert, sie erinnern sich bestimmt. Mehr benötigen wir nicht. Ihre neuen Nanobots haben keine andere Aufgabe, als ihre Empfindungen und Sinneswahrnehmungen in der virtuellen Welt zu unterstützen um ein möglichst reales Erlebnis zu haben, dass garantieren wir Ihnen. Gibt es noch Fragen?"Der Professor musterte die vierzehn Testpersonen. Sie wirkten alle unruhig und angespannt. Nervöses Gehüstel und Fußgescharre hatten seinen Wortfluss begleitet. Auf seine Frage hin herrschte einen Moment Stille, dann meldete sich ein dunkelhäutiger Junge, dessen Kopf von braunen Locken gerahmt war.
"Ja...Ovid?", las der Professor von dem Namensschild ab.
"Was für Risiken können auftreten?"
Diese Frage musste kommen.
Alle warteten gespannt, die Blicke waren ausnahmslos auf den Präsentator gerichtet. Der Professor runzelte die Stirn und überlegte.
"Lungenversagen. Bisher ist niemand daran gestorben. Es ist eine Reaktion auf die Panikattacke und den Nervenzusammenbruch, die manche am Anfang erleiden, weil sie mit der neuen Situation nicht klar kommen. Aber sie kennen sich als junge Leute ja mit der modernsten Technik aus, Sie werden es gewohnt sein. Und sollte Ihrem schlafenden Körper doch etwas passieren werden Sie innerhalb von drei Minuten geweckt und in ärztliche Behandlung übergeben."
Ovid nickte nur. Der Rest der Gruppe schwieg. Ihnen war inzwischen klar, geworden das jetzt Schluss mit lustig war. Keiner von ihnen konnte ahnen, was für sie vorbereitet war.
Der Professor lächelte beim Anblick der scheuen Gesichter.
"Gut, folgen Sie mir."Ihr nächstes Ziel war ein Speiseraum. Die Wände weiß, Tisch und Stühle braun. An jedem Platz lag ein Teller mit Besteck, verschiedene Gerichte waren in Shaving-Dishes aufbereitet worden.
"Während den zehn Stunden werden Ihnen hin und wieder Wasser oder Brei eingeflößt. Ihr Körper wird also nicht Hunger und Durst leiden. Bevor wir anfangen möchte ich trotzdem, dass jeder von Ihnen noch eine gute Mahlzeit zu sich nimmt."
Die Gruppe schwärmte um den Tisch herum, Stühle wurden verrückt. Der Professor setzte sich zwischen zwei Jungen.
Während des Essens war es recht still am Tisch. Das klappernden Geschirr und die Kaugeräusche waren die einzigen Laute im Raum. Dann wandte sich plötzlich ein aisiatischer Junge an den Professor.
"Was ist wenn wir aufs Klo müssen?"
Ein paar kicherten und der Junge errötete leicht, doch die Frage war mehr als berechtigt.
"Es ist alles in Ihre Stühle eingebaut. Sie sind in einzelnen Räumen untergebracht und werden von gleichgeschlechtlichem Personal versorgt. Diese Stühle sind explizit für dieses Projekt geplant und gebaut worden, sie beinhalten alles, was sie benötigen."
Es klang sehr unangenehm, aber jeder der Testpersonen musste sich in den Kopf rufen, dass er oder sie dem Angebot hier teilzunehmen, freiwillig zugestimmt hatte.
Der Junge war aber noch nicht fertig mit Fragen stellen.
"Ist das denn gut für den Handel, wenn Kunden mehrere Stunden in dieser...Welt bleiben wollen und ihr Körper wie der eines Kleinkindes versorgt werden muss? Das ist doch ein riesen Aufwand."
Der Professor nickte.
"Allerdings. Daran arbeiten wir auch noch. Es wird noch sehr viel vereinfacht werden. Aber Ihre Aufgabe ist es nur, die Avatare zu testen."
Ein attraktiver Braunhaariger am Ende des Tisches meldete sich zu Wort. Auf seinem Namensschild stand Ari.
"Wie sehen die aus? Die Avatare?"
Der Professor schmunzelte.
"Genau wie Sie. Es sind Ebenbilder. Sie erinnern sich an das Fotoshooting nach der Zusage ihrer Teilnahme? Nach diesen Bildern wurden ihre Avatare erstellt.
Ari sagte nichts, nickte bloß und wand sich wieder seinem Essen zu. Der Wissenschaftler sah ihm deutlich die Nervosität an. Er beschloss sie etwas zu beruhigen.
"Sie sind jetzt alle Erwachsene im Alter von 18 bis 22. Viele von Ihnen kennen sich mit Technik aus, andere mit der Umwelt. Vielleicht wird Ihnen das noch zu gute kommen. Sie wurden für dieses Projekt ausgewählt, weil Sie körperlich und geistig völlig gesund sind und der Wissenschaft weiterhelfen möchtet."
Wissenschaft. War das Wissenschaft oder nur ein Unterhaltungsprogramm?
"Sie sind sicher alle sehr nervös und aufgeregt, dass kann ich verstehen. Aber das wird sich bald etwas legen.", versprach er.
Die Freiwilligen nickten teilweise.
Inzwischen waren sie mit dem Essen fertig.Der Professor führte sie weiter.
An Büros und Werkstätten vorbei in einen einzelnen Trakt.
Etwas besorgt bemerkte die Gruppe die dicken Eisentüren, mit Code und Schloss gesichert.
Hinter den Türen war es unheimlich still.
Bei dem ersten Raum auf der rechten Seite blieben sie stehen.
"Bitte ziehen Sie sich da drinnen die für Sie vorgesehene Kleidung an und kommen dann wieder zu mir.", erklärte der Professor mit einer ausführlichen Handbewegung.
Der Raum bestand aus mehreren einzelnen Umkleidekabinen.
Schweigend suchte sich jeder eine Kabine und zog sich um.
Die Kleidung war blau. Eintönig blau. Ein paar Taschen an der Hose, aber das T-Shirt besaß nichts besonderes. Die Avatare mochten die Projektleiter haargenau gestaltet haben, die Kleidung war jedoch einen zu eng und anderen zu groß.
Alle wieder versammelt ging die Führung weiter.
Ovid holte zu dem Professor auf.
"Müssen die Avatare essen?"
Der Professor schüttelte den Kopf und wandte sich im Gehen an die Gruppe.
"Nein. Ihre Avatare müssen weder essen, noch trinken oder eine Örtlichkeit besuchen. Sie können auch nicht krank werden. Allerdings ist bei Ihrem Testprojekt festgelegt, dass die Avatare schlafen müssen. Auch über diese Einstellungen darf der Kunde frei entscheiden."
Er winkte sie in einen großen, kreisrunden Saal. Überall saßen Menschen an Computern und Bildschirmen. Als die Gruppe eintrat wurde es still und alle drehten sich zu ihnen um.
"Hier werden wir überwachen was Sie in der Welt 'Valos' tun. Wenn Sie dort sterben sollten, wachen Sie in Ihren Räumen auf. Sie können diese jederzeit verlassen. Wenn Sie wollen können Sie in einen gemeinsamen Fernsehraum gehen und dort sehen, was die Überlebenden in Valos noch tun.
Jetzt fragen Sie sich bestimmt warum Sie sterben sollten."
Die Gruppe murmelte unruhig, ein paar nickten.
"Um die Sinne der Avatare aufs genaueste zu prüfen werden Sie in Valos ein Spiel spielen, wo Sie sehr viel Gebrauch von Ihren Sinnen machen müssen.
Sie spielen Mörder. Ein altbekanntes Spiel, nicht wahr?" Er lachte trocken.
"Jeder von Ihnen kriegt einen Zettel mit einem Namen. Diese Person müssen Sie töten. Und zwar nicht in dem Sie ihr einen beliebigen Gegenstand überreichen, wie Sie es vielleicht kennen, sondern in dem Sie die Person ermorden.
Ihnen steht jeweils ein Messer zur Verfügung, dass dem Spiel so angepasst sind, das es mit etwas Kraft durch Haut, Muskeln und sogar Knochen schneiden kann.
Und denken Sie bitte daran, Ihr Opfer stirbt nicht wirklich! Es wacht bloß auf."
Ari sah entsetzt aus.
"Meinen Sie nicht, dass da psychische Schäden zurück bleiben? Das ist doch krank!"
Der Professor lächelte ihn mitfühlend an.
"Wir leben in einer harten Welt Ari. Wenn Sie wollen können Sie immer noch aussteigen."
Aber der junge Mann blieb.
Ja, es waren harte Zeiten. Und einige von ihnen hatten das arg mitbekommen. Kamen aus Krisengebieten...hatten Mord, Vergewaltigung und Verrat erlebt. Die Welt dort draußen war Krieg. Moderner Krieg.
"Wir möchten Sie beruhigen. Dies ist der einzige Test in dem Gewalt vorkommt. Ansonsten dient Valos lediglich der Entspannung und Ruhe, nur sollten die Sinne bis dahin ausgeprägt sein. Deswegen spielen Sie ein so hartes Spiel. Ich hoffe Sie verstehen das."
Ein paar nickten wieder.
"Können wir endlich anfangen?", maulte ein Junge namens Paul von hinten.
Der Professor nickte.
"Natürlich. Aber vorher möchte ich noch anmerken, dass diese Runde zwar einen begrenzten Zeitraum hat, aber wir die Zeit verlängern können und werden, wenn bis zu Tag 10 nicht alle tot sind. Nur ein Sieger, denken Sie daran. Ich bringe Sie jetzt zu Ihren Räumen."
Und das war das letzte Mal für zehn Stunden in denen die Testpersonen sich und die reale Welt sahen.Die Räume waren klein. Auf einem Tisch neben dem Sessel stand eine Flasche Wasser und verpackte, belegte Brötchen.
Felix musterte den Raum kurz.
Seine Fragen von vorhin am Essenstisch beschäftigten ihn immer noch.
So viel Aufwand musste doch auch viel kosten...wo kam also das ganze Geld her?
"Hallo Felix." Der Mann neben dem seltsamen Liegestuhl stand von seinem Hocker auf und kam hinüber. Sie gaben sich kurz die Hand.
"Ich bin für die nächsten Tage dein Begleiter und im Notfall Erste-Hilfe Leistender. Wenn du Fragen hast, stell sie mir einfach."
Felix zögerte kurz. Er wurde rot.
"Wegen...wegen dem eingebauten Klo..." Der dunkelhaarige Mann lächelte.
"Natürlich. Wirf deine Hose einfach auf den Boden und leg dir dann die Decke über die Beine. Ich gehe solange raus."
Er verschwand. Felix atmete tief durch.
Auf was hatte er sich da bloß eingelassen..."Liegst du bequem?", fragte der nette Mann. Felix nickte, die Stühle waren äußerst angenehm, auch wenn es an manchen Stellen ein seltsames, ungewohntes Gefühl war.
"Gut, dann setze dir bitte diese Brille auf."
Die "Brille" ähnelte stark einer Virtual Reality Brille.
Felix setzte sie auf. Sogleich sah er gar nichts mehr. Sie drückte ihm schwer auf Nase und Ohren. Als nächstes wurden die in die Brille integrierten Kopfhörer heruntergeklappt. So schwarz wie Felix' Welt schon war, so still wurde sie nun auch.
Der Mann drückte ihn sanft zurück und Felix entspannte sich. "Ist alles in Ordnung?", hörte er dessen Stimme wie von fern.
Er nickte stumm.
"Ich spritzte dir jetzt das Mittelchen. Viel Glück Felix."
Die Spritze tat nur kurz weh. Und kaum das sie wieder hinausgezogen wurde, merkte er wie er abdriftete.
Und dann erwachte die Brille zum Leben.
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Der Geruch von Regen
Ciencia Ficción"Valos" oder auch "Virtuell Avatar 01" genannt, ist ein neues Projekt, dass ein großer Schritt für die moderne Technologie werden soll. Doch bevor es auf den Markt kommt, wird es von 14 Testpersonen geprüft. Allerdings wird es für die kleine Gruppe...