Runde 1, Tag 8

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Sara hatte sich in den Wald verzogen. Dort hatte sie einen Baumstumpf gefunden, auf dem sie nun saß, die Arme eng um den Körper geschlungen.
Das sonnige Klima war so schnell wieder verschwunden wie es gekommen war.
Sara starrte auf den braunen Waldboden vor sich.
Sie lauschte dem Wind in den Bäumen, dem Knacken der Äste und dem Krächzen eines Raben. Dieser flatterte kurz darauf in den Baum ihr gegenüber und plusterte sich auf. Einen Moment lang pickte er an dem Ast herum, dann zupfte er an seinen Federn.
Er schien Sara überhaupt nicht zu bemerken. Sie sah ihm schweigend zu.
Vor langer, langer Zeit wurden Raben und Krähen im Mittelalter als Todesomen betrachtet, da sie Aasfresser waren.
Und da fiel Sara auf, dass sie hier in Valos nur Raben und Krähen gesehen hatte. Zwar hatte sie auch andere Vögel gehört, Amseln und Meisen, gesehen hatte sie aber nur die schwarzen Vögel.
Schwarz wie die Nacht und der Tod. Plötzlich fuhr Sara auf, der Rabe flog erschrocken krächzend auf. Dem Mädchen war eben etwas schreckliches aufgefallen.
Sie rannte zurück in Richtung Haus, quer über die Lichtung und wieder in den Wald.
Sie kannte nur in etwa die wage Richtung, trotzdem rannte sie als wüsste sie ihr Ziel ganz genau.
Ihre Lungen brannten schon vor Schmerz und Zweige hatten ihr blutige Kratzer ins Gesicht gemalt. Kurz darauf wurde sie langsamer...sie hatte gefunden wonach sie gesucht hatte.
Vor ihr bahnte sie ein winziges Wasserrinnsal den Weg durchs Unterholz. Sein Plätschern war leise wie ein Flüstern und um das Rinnsal herum war der Boden verschlammt und matschig.
Sara holte tief Luft und folgte dem Wasserlauf. Dabei musste sie sich unter Ästen hindurch beugen und über verottende Holzstämme steigen.
Es dauerte länger als sie dachte und ihr wurde immer kälter im beißenden Wind.
Ein Zittern durchfuhr sie, trotzdem gab sie nicht auf.
Und plötzlich hatte sie ihr Ziel gefunden.
Die Raben und Krähen flogen erschrocken auf die Bäume und krächzten verärgert über die Störung.
Das Blut war schon längst im Laub festgetrocknet. Helenes kalter Blick starrte in die entgegengesetzte Richtung von Sara, auf eine dicke Buche.
Ihr T-Shirt war zerrissen, Blut bedeckte ihren ganzen Oberkörper. Die Aasfresser hatten Fleischstückchen aus ihrem toten Leib gerissen.
Sara überkam ein schrecklich leeres Gefühl, wo eigentlich Übelkeit hätte sein sollen.
Etliche Fliegen stummten um den Körper. Zu real, viel zu real und...unnötig.
Sara wurde schwindelig, sie hatte Angst das ihre Beine nachgeben würden.
Sie fuhr herum und beugte sich vorüber. Sie meinte sich übergeben zu müssen, doch nichts geschah.
Es gab ja nichts außer Magensäure in dem Avatarmagen. Und die behielt sie lieber drinnen. Nur mit Mühe taumelte sie von Helene weg. Sie hörte Flügelflattern, doch sie hielt ihren Blick starr nach vorne gerichtet.
Als sie endlich wieder auf die Lichtung war sie innerlich so zerschlagen wie nie. Yannik kam von der Terrasse aus auf sie zu gelaufen. Er griff ihr unter die Arme und half ihr in den Gemeinschaftsraum.
Dort saßen Felix und Malin. Die hübsche Blondine sprang sofort auf und rannte zu den beiden um Yannik zu helfen.
"Was ist passiert?", fragte sie.
Sara ließ sich erschöpft in einen der Sessel fallen.
Yannik zuckte mit den Schultern. "Sie kam so aus dem Wald."
Malin sah besorgt aus. "Ich hol ihr etwas zu trinken." Das brauchte sie zwar nicht, aber es tat gut.
Felix beugte sich vor.
"Hat...hat jemand versucht dich...zu ermorden?" Sara schloss die Augen und schüttelte den Kopf. "Ich...hab Helene gefunden."
Yannik sah verwirrt aus. "Äh...und?" Sara seufzte und trank noch einen Schluck.
"Die Raben haben sich über sich hergemacht."
Jetzt verzogen alle drei angewidert das Gesicht.
"Und das hast du gesehen? Mein Beileid." Sie nickte.
"Wir hätten sie doch holen sollen.", meinte Felix leise.
Malin nickte.
"Jetzt wissen wir es für die nächste Runde."
Toll.
Sara schwieg. Danach begann die Zeit wieder zu laufen. Irgendwann war sie mit Felix alleine. Ihre Blick glitt über seinen Körper.
Sein schwarzes Haar war zerzaust, die braunen schmalen Augen nachdenklich. Er trug einen langen, grauen Mantel und darunter ein T-Shirt. Seine Hose war schwarz und anliegend. Sie betonte seine kräftigen Wadenmuskeln. "Woher kommst du?", fragte sie leise. Felix sah auf. "Singapur.", sagte er leise.
Sara nickte. "Ist es schön dort?" Felix lächelte. "Ja." Dann schwieg er wieder. Er erzählte nicht.
Sara beobachtete ihn wieder. Er war hübsch. Wirklich hübsch.
Und doch wirkte er weder glücklich, noch zufrieden. Vielleicht lag es an dem Spiel, vielleicht war er aber auch wirklich kein besonders optimistischer Mensch.
Sara seufzte leise und sah nach draußen. Gerade noch erhaschte sie einen Blick auf Tim, welcher im Wald verschwand.

Der Geruch von Regen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt