Name: Yannik Haldersen
Alter: 21
Eingewiesen wegen:
Schwere DepressionenEr hatte kein eigenes hübsch eingerichtetes Zimmer.
Er lag auf der Krankenstation, an eine Infusion gehängt.
Es hieß er wäre nicht in der Lage sich eigenständig zu versorgen, die Essens- oder Therapiezeiten einzuhalten.
Yannik war das, ehrlich gesagt, auch egal.
Er wusste wie er inzwischen aussah. Tiefe Augenringe, blasse Haut und stumpfes, glanzloses Haar. Er war dünn geworden, seinen Augen matt und seine Haut fast gräulich.
Nur noch ein Schatten seiner selbst.
Yannik wusste genau wie er von den Schwestern und den Eingewiesen genannt wurde; Der lebende Tote.
Und sie hatten Recht.
Vielleicht hatte er den ganzen Scheiß überlebt, dass hieß aber nicht, dass auch sein Verstand lebendig blieb.
Ari hatte Recht gehabt; er war an dem Projekt zerbrochen.
Zweimal sterben ist zu viel.
Jede Stunde, jeden Tag sagte er das seiner Psychiaterin.
Sie war nicht die einzige die zu ihm kam.
Es kamen verschiedene, aber das beeindruckte Yannik nicht.
Einmal hatte er die Psychiaterin und die Krankenschwestern angeschrien.
"Lasst mich doch einfach sterben!" Taten sie natürlich nicht. Das war dass einzige Mal, dass er seine Stimme erhob.
Sonst blieb er recht still und sprach leise.
Seine Psychiaterin, Nina hieß sie, hatte erzählt, dass sie die Aufnahmen gesehen hatte. Sie wusste wie er gestorben war, mit wem er gesprochen hatte, was geschehen war.
Auch das war Yannik egal. Halb Deutschland schien es zu wissen.
Er hatte nichts mehr anderes vor, als langsam zu sterben, erst innen, dann außen.
Sollten sie ihm doch zusehen.
Er wusste nicht genau, was mit ihm passiert war. Irgendwas hatte ihn in Valos am Leben gehalten, war es der Wille gewesen? Die Angst? Der Trotz? Was es auch war, es war zu Staub zerfallen, kaum dass er in Begleitung von zwei Polizisten das Gebäude verlassen hatte und in ein Auto gestiegen war. Als er zum letzten Mal die anderen gesehen hatte. Während der Autofahrt brach dann, was von ihm übrig geblieben war und zerfiel, wie der Lebenswille zu Staub.
Und jetzt war er hier - eingewiesen. Zum Sterben.
"Yannik."
Er sah auf. Manchmal vergaß er, dass Nina da war.
"Hm." Er musste ihr wenigstens zeigen, dass er da war.
"Wie fühlst du dich heute?"
Yannik starrte sie aus den grauen Augen an.
Wie jeden Tag.
Er schwieg, doch sie verstand es.
"Möchtest du mir erzählen, warum du niemanden getötet hast?"
Yannik drehte sich in dem weißen Bett auf den Rücken und starrte an die kahle Decke.
"Ich bin kein Mörder.", sagte er leise. Nina schüttelte den Kopf.
"Nein." Sie musterte ihn eine Weile, er spürte ihren Blick.
"Hast du deine Medikamente genommen?"
Er nickte.
"Ich habe hier etwas. Du brauchst sie." Sie reichte ihm eine kleine Plastiktüte.
Drogen. Oder Medikamente, wie sie sagen würde.
Yannik griff nach dem Wasserglas und Nina half ihm, denn er zitterte.
Wortlos und gehorsam schluckte er die Tabletten.
Warum geben sie mir Drogen?
"Du bekommst Besuch."
Yannik reagierte nicht, er reagierte nie. Es überraschte ihn vielleicht ein wenig, aber nicht sehr viel.
"Die Frau ist Autorin und möchte dir ein paar Fragen stellen, denn sie verfasst ein Buch über die Geschehnisse."
Yannik nickte nur.
Die Drogen sollten seine Zunge lockern.
Nina half ihm sich halbwegs aufzusetzen.
"Du schaffst das."
Als sie eine Weile später wieder kam, war sie in Begleitung einer älteren Frau mit Notebook. Er konnte sehen wie sie vor seinem Anblick zurückzuckte.
"Setzen Sie sich, er hört Ihnen zu.", sagte Nina.
Die Frau setzte sich nahe an sein Bett und Yannik sah sie reglos an.
"Hallo Yannik. Ich bin Manuela. Ich bin Autorin und möchte ein Buch zu...zu dem Vorfall verfassen. Die Menschheit muss auf ihre Fehler aufmerksam gemacht werden, damit diese sich nicht wiederholen. Außerdem bin ich mir sicher, dass irgendwo auf der Welt weitere solcher Projekte stattfinden. Man muss die Öffentlichkeitdarauf aufmerksam machen. Darf ich dir ein paar Fragen stellen?"
Yannik nickte.
Der Frau war unbehaglich zumute. Sie schien etwas nervös zu sein, vielleicht wegen seinem Anblick.
"Ich...habe die Aufnahmen ebenfalls gesehen...aber das erklärt euer...Verhalten nicht."
Sie holte tief Luft. Yannik sah sie weiterhin an.
Bei solchen Gesprächen driftet er normalerweise ab, doch die Drogen hinderten ihn.
"Du hast Sara etwas versprochen, nicht wahr?"
Ich würde sie nicht töten.
Er nickte.
"Und du hast es auch eingehalten, oder?" Wieder nickte er.
Versprechen brach man nicht.
"Fandest du...dass ihr euch sehr ähnlich wart?"
Yannik überlegte. Diese Frage überraschte ihn etwas, er hatte noch nie darüber nachgedacht.
Schließlich schüttelte er den Kopf.
"Sie hatte keine Angst vor dem Sterben.", murmelte er leise.
"Aber du schon.", stellte die Autorin fest. Yannik starrte sie an.
Wer hat keine Angst vor dem Tod?
Sie nahm sein Schweigen als ja und tippte rasch etwas in ihr Notebook ein.
"Trotzdem hast du dich nicht gewehrt als...als Felix..." Die Stimme versagte ihr. Yannik sah sie schweigend an und sie mied seinen Blick.
Sie wirkte nicht sonderlich professionell, eher verstört. Ob so ihre Leser auch reagieren würden?
"Er hätte mich früher oder später eh umgebracht. Und bei...Paul hatte ich nicht mal Zeit mich zu wehren."
Es fiel ihm schwer den Namen des Jungen auszusprechen, der ihn ermordet und schlecht behandelt hatte. Die Autorin nickte langsam und sah mitleidig aus.
Yannik hasste Mitleid.
"Wie...wie hat sich das...Sterben angefühlt?" Er hörte Nina scharf ausatmen.
"Seltsam.", sagte Yannik nur. Wie war es schon zu sterben und sich die ganze Zeit einzureden, man würde wieder aufwachen?
Sie machte sich wieder Notizen.
"Und...du hast erlebt wie es wäre taub zu sein."
Der junge Mann seufzte leise.
"Es ist schrecklich. Man ist in der Stille mit seinen eigenen Gedanken gefangen und die sind laut, schrecklich laut wenn alles andere still ist. Man hört sich atmen, denken. Aber man ist von der Welt abgetrennt."
Er stockte. Er hatte gerade zum ersten Mal seit Valos so viele Sätze hintereinander gesprochen. Es war verdammt anstrengend. Nina legte ihm eine Hand auf die Stirn und Yannik war zu schwach sie wegzuschlagen.
"Möchtest du etwas trinken?" Er schüttelte den Kopf. Die ältere Frau sah die beiden besorgt an.
"Soll ich später wiederkommen?" Zur Überraschungen beider Frauen schüttelte Yannik den Kopf. Nina verschränkte die Arme und sah ihn mit hochgezogenen Brauen an.
"Wissen Sie was Sara zu mir gesagt hat?", fragte er und am Ende des Satzes brach seine Stimme. Die Autorin schüttelte den Kopf und sah ihn interessiert an. Yannik schloss kurz die Augen und atmete tief ein.
"Der Tod scheidet uns nicht, Yannik. Er bringt uns überhaupt erst zusammen. Weil das ist etwas, dass wir alle müssen. Sterben."
Die Autorin hatte sofort mitgeschrieben.
Yannik dachte kurz an Sara.
"Sie war ein Sommerregen." Nina und die alte Frau sahen ihn verständnislos an. "Wieso das?"
Yannik zuckte mit den Schultern.
Das war sie halt.
Sie war eines der klügsten Mädchen die er je kennengelernt hatte.
Er drehte den Kopf zu der Dame.
"Sie schreiben ein Buch über uns?" Er war überrascht wie die Drogen ihn beeinflussten. Er sprach sonst so wenig.
"Ja." Sie nickte und lächelte ihn warm an.
"Wie heißt es?", fragte Yannik leise. Sie sah ihn überrascht und erfreut an.
"Ich dachte an Drei Runden Mörder. Nach dem Spiel."
Der junge Mann verengte die Augen zu Schlitzen und schüttelte dann den Kopf.
Jetzt sah die Frau verwirrt aus.
"Nicht?"
Yannik hustete leicht.
"Das ist nicht der richtige Titel."
Nina und die Autorin tauschten einen kurzen Blick.
Der kranke Psycho wollte den Buchtitel ändern?
Die ältere Frau beugte sich nun gespannt vor.
"Wie soll es denn deiner Meinung nach heißen?"
Yannik sah sie einen Moment an.
Er überlegte, aber nur kurz.
"Der Geruch von Regen.", sagte er schließlich leise.
Und dann lächelte er.
Seit er dieses Gebäude betreten hatte, hatte er nicht mehr gelächelt, ein Jahr lang nicht.
Nina fiel das auf.
Die Autorin schien einen Moment verwirrt, doch dann begriff sie.
"Der Geruch von Regen."
Yannik lächelte noch etwas mehr, dann drehte er sich auf die Seite und schloss die Augen.
Er war erschöpft und hatte völlig vergessen wie anstrengend Lächeln war. Er hörte wie Nina leise mit der Autorin sprach und sie dann nach draußen geleitete.
Als die Tür zufiel, entspannte Yannik sich.
Er hatte die richtige Wahl getroffen, dass wusste er.
Einmal hatte er das Richtige getan.
Dann schlief er ein.Am Nachmittag kam Nina wieder. Sie sah erstaunt auf den leeren Teller neben Yanniks Bett. Es kam selten vor, dass er das Mittagessen anrührte, geschweige denn auf aß.
"Hat dir der Besuch gefallen?", fragte sie und strich ihm durch das kurze Haar.
Yannik schwieg. Sie legte den Kopf schief und lächelte.
"Heute war ein guter Tag, nicht wahr?" Der junge Mann blinzelte und kratzte sich an der Stelle wo die Spritzte in seinen Arm führte. "Sie lässt dir ein Exemplar des Buches zukommen, wenn es fertig ist. Aber erst, wenn wir deinen Zustand als stabil betrachten."
Also vielleicht nie.
Yannik nickte. Er bekam also eines der Smartphones, mit der größten deutschen Internetbibliothek verbunden. Gebundene Bücher gab es seit Jahren nicht mehr.
Eine Weile schwieg Nina und Yannik sagte ebenfalls nicht, was sie aber gewohnt war.
"Eben habe ich einen Anruf erhalten. Deine Eltern möchten dich gerne besuchen." Yannik starrte sie an.
"Nein.", sagte er mit erstaunlich fester Stimme.
Nina sah ihn überrascht an.
"Aber du bist ihr Sohn. Sie sorgen sich um dich." Yannik schüttelte stur den Kopf.
"Dann hätten sie mich nicht mit meinem Bruder verstoßen sollen. Ich will sie nicht hier haben."
Nina war erstaunt über die Bestimmtheit in der Stimme des jungen Mannes.
Aber er hatte ein Recht darauf.
Sie seufzte leise.
"Überlege es dir nochmal." Yannik nickte um sie zufrieden zustellen, doch er würde seine Entscheidung nicht ändern.
Seine Eltern hatten ihn verstoßen, er hatte gelernt ohne sie zu leben und brauchte sie jetzt nicht mehr.
Nina erhob sich.
"Wir sehen uns heute Abend." Er schwieg, sah nur aus dem Fenster und hörte das Geräusch der Tür, als diese ins Schloss fiel.
Er hatte seine Betreuer recht früh gebeten sein Bett an das Fenster zu stellen. Er liebte es hier zu liegen, Wind und Regen zu lauschen oder den Wolken beim dahinziehen zuzuschauen.
Yannik erinnerte sich wie nach den ersten Monaten andere junge Leute kamen, doch er hatte sie alle mit seinem Schweigen oder seinem Aussehen vertrieben.
Keiner schien zu verstehen, wie er den ganzen Tag schweigend im Bett liegen und aus dem Fenster sehen konnte.
"Depressionen.", hatte er Nina den anderen erklären hören.
"Sie können einen Menschen auf die verschiedensten Weisen ändern."
Manchmal hörte er auch Radio, doch er empfand nichts für den Scheiß den die Menschheit heute "Musik" nannte.
Zwei der anderen Psychiater die ihn einmal besucht hatten, waren der Meinung, dass sein psychischer Zustand sich nicht mehr ändern würde.
Yannik war das egal und Nina war anderer Meinung.
Sein Lächeln heute schien sie in ihrem Tun nur bestärkt zu haben.
Er machte das hochmoderne Radio an und kuschelte sich in seine Decke, hier am Fenster war es kühler.
In seinem Arm lag ein ziemlich hässlicher Teddybär, den er von dem Psychatrieteam bekommen hatte. Aber solange Yannik nicht hinsah, war der Teddy in Ordnung.
Er hatte den seltsamen Bären auf den Namen "Feigling" getauft.
Weil er sich selbst als Feigling bezeichnete?
Yannik würde sogar sagen, dass er mit Sicherheit einer war.
Ein Feigling, ein Opfer, ein Psycho, ein Verstoßener und ein Toter.
Und ein Weiser. Denn er hatte begriffen, zu was die Menschheit sich entwickelt hatte.
Zu einer kranken Meute gieriger Aasgeier.
Sie waren ein Virus, rotteten alles Leben aus und machten den Planeten krank, so krank, dass er sterben würde.
Und dann würde die Menschheit verstehen, dass sie Geld und Technik nicht fressen konnte, dass sie versagt hatten und nirgendwo mehr hinkonnten.
Sie würde an ihrer Arroganz, ihrer Eitelkeit und ihrer Gier ersticken.
Yannik schloss die Augen.
Nina hatte ihn mal gefragt, warum er so viel schlafen konnte.
"Erschöpfung, Nina. Die Welt erschöpft mich und ein toter Verstand braucht Ruhe."
Er war gebrochen, doch wenn das Buch der alten Frau die Zukunft heilen sollte, dann würde der gebrochene Verstand zu verkraften sein.
Was war er, Yannik, schon im Vergleich zu fast 10 Milliarden anderen Menschen?Hold on to me.
Don't let me go.
Who cares what they see?
Who cares what they know?
(Freedom)

DU LIEST GERADE
Der Geruch von Regen
Science Fiction"Valos" oder auch "Virtuell Avatar 01" genannt, ist ein neues Projekt, dass ein großer Schritt für die moderne Technologie werden soll. Doch bevor es auf den Markt kommt, wird es von 14 Testpersonen geprüft. Allerdings wird es für die kleine Gruppe...