Ovid

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Name: Ovid Ryn
Alter: 19
Eingewiesen wegen:
Paranoide Persönlichkeitsstörung

Ovid saß im Gemeinschaftsraum.
Im Grunde tat er nur das, was er schon immer geliebt hatte: Menschen zu beobachten.
Und in einer Psychiatrie war das nochmal wesentlich interessanter, selbst wenn er unter einer paranoiden Persönlichkeitsstörung litt.
Es war schwer Menschen mit dieser Krankheit zu behandeln, denn sie waren sich absolut sicher, dass die Welt sich gegen sie verschworen hatte und erlebten ihre Umwelt recht negativ.
Den anderen Eingewiesenen war inzwischen klar, dass die alte Couch in der Ecke sein Platz war.
Dort saß er zusammengekauert und beobachtete die anderen mit scharfem Blick.
Die Tür öffnete sich und Elsa trat ein.
Seine Psychiaterin.
Sie hielt die Hände vor sich um ihm zu zeigen, dass sie nichts dabei hatte.
Sie näherte sich ihm langsam, wie einem gefährlichen Tier.
Ovids Herz pochte schneller und er versteifte sich als Elsa sich setzte.
"Ovid, du warst heute nicht beim Mittagessen. Jetzt lass nicht auch noch das Abendessen ausfallen."
Sie klang mahnend.
Ovid nickte knapp.
Elsa stand auf und ging vor und Ovid huschte hinter ihr her.
Er wich allen anderen aus und die beachteten ihn nicht.
Im Speisesaal hielten sich nur wenige auf.
Zelda, die Köchin, strahlte ihn wie immer an und gab ihm eine beachtliche Portion Essen.
Ovid und Elsa setzten sich an die Tür, der junge Mann brauchte immer eine kleine Sicherheit um sich nicht schutzlos ausgeliefert zu fühlen.
Ovid aß langsam und ließ die restlichen Anwesenden nicht aus den Augen.
Es gab nur wenige Erfolge die seine Psychiaterin mit ihm erreichen konnte.
Ovid fühlte sich in seinem eigenen Zimmer sicher und wusste, dass niemand Waffen bei sich trug.
Obwohl er sich immer noch wie eine scheue Raubkatze benahm, hatte sich einiges gebessert.
"Möchtest du morgen etwas unternehmen?", fragte Elsa freundlich.
Ovid atmete tief ein und aus.
Es ist keine Falle...
Konnte er sich da sicher sein?
Er nickte knapp.
"Wohin möchtest du denn?"
Sie klang unbeschwert und fröhlich, doch es fiel Ovid schwer ihr das abzukaufen.
"Ans Meer.", murmelte er.
Elsa lächelte.
"Gerne!"
Ovid warf ihr einen kurzen Blick zu und aß schweigend auf.
Er wusste wie närrisch es war niemandem zu vertrauen und überall Fallen zu wittern.
Doch nach allem, was er erlebt hatte, nicht nur den Verrat der Mitspieler, sondern den, der Spielemacher, konnte er es nun nicht mehr so einfach.
Vertrauen war wie Glas, ließ man es einmal fallen zersplitterte es und brauchte lange Zeit um wieder geflickt zu werden.
Ovid folgte Elsa wieder auf sein Zimmer und kaum, dass sie weg war entspannte er sich merklich.
Er atmete tief ein und aus und setzte sich auf den bequemen Ledersessel.
Er machte das Radio an und lauschte eine ganze Weile der ruhigen Musik.
Als es dunkel war, legte er sich ins Bett, aber starrte noch eine ganze Weile in die Dunkelheit seines Zimmers.
Irgendwann war um ihn herum tiefes Schwarz und er konnte die Gegenstände nur erahnen.
Ovid erinnerte sich unwillkürlich an eine flackernde Kerzen die tanzende Schatten an die Wände eines riesigen Gewölbes zauberte. Kalt und still war dieser Raum und vor allem dunkel.
Kein Fenster, kein Ende des Ortes.
Nahe dem Kerzenlicht saß eine zusammengekauerte Gestalt, sehr schlank und das Gesicht von braunem Haar verdeckt.
Vor ihr lag ein blankes Messer auf dem Boden und die Anwesenheit der Waffe schien den Raum noch kälter zu machen.
Ovid hörte ein Geräusch, aber er war sich nicht sicher ob es Feuer oder Regen war.
Das Geräusch schien von überall her zu kommen und war unnatürlich laut in der Stille.
Da sah die Gestalt vor der Kerze auf, in Ovids Richtung.
Der Lichtschein tanzte über ihr Gesicht und es veränderte sich stetig.
Alex, Paul, Helene und Ari, Maxi, Sara und Yannik, Robin, Samuel und Malin Tim Luis Felix AlexMaxiRobinSamuelAriluismalintimsamuelrobinyannik...

Erst als Ovid am nächsten Morgen aufwachte, wusste er, dass er geträumt hatte.
Doch er dachte nicht mehr an den Traum, verdrängte ihn und machte sich fertig.
Dann wartete er bis Elsa ihn abholte.
Es kamen noch zwei weitere Leute mit, ein Arzt und ein Sicherheitsmann.
Weil ich ja jemanden töten könnte...
Ovid schluckte, als er an das Geräusch dachte mit welchem sich das Beil ins Felix' Brust gegraben hatte.
Es dauerte einen Moment guten Zuredens und Überwindung ehe Ovid in das Auto stieg.
Der Strand war an diesem Morgen so gut wie verlassen, nur vereinzelte Spaziergänger kreuzten ihren Weg.
Über dem Wasser ballten sich gewaltige Wolken zusammen und ein kalter Wind wehte.
Ovid zog seinen Anorak eng um den Körper und ging den anderen dreien voraus.
Er lauschte nur dem Rauschen der Wellen, dem Kreischen der Möwen und dem Knirschen des Strandes.
Er bewunderte das Wasser für die Beharrlichkeit mit der es Tag für Tag, Jahr für Jahr auf den Strand rollte und gegen die Felsen krachten.
Das Treibholz krachte unter seinen Schuhen, vom Wasser zerrüttet.
Elsa holte zu ihm auf, hielt jedoch körperlichen Abstand.
"In der dritten Runde waren einige der Gruppe am Meer."
Ovid nickte. Er war zwar nie selbst an Valos Strand gewesen, doch er hatte es sich denken können; Wald, Berge und Meer.
Die Top Drei Naturlandschaften.
"Wie war die dritte Runde für dich?"
Ovid verdrehte kaum merkbar die Augen.
"Kurz.", erwiderte er knapp.
Elsa lächelte schmal.
"Kann ich mir denken. Kannst du sie auch anders beschreiben?"
Ovid wurde leicht zornig.
"Ich habe Helene beim Sterben zugehört, obwohl wir ein Team waren. Paul hat mich erstochen, weil Teams nicht über mehrere Runden reichen. Verrat oder nicht? Ich habe Helene verraten und Paul hat mich verraten.
Wie sagt man so schön? Karma."
Elsa nickte. Er wusste, dass ihr Aufnahmegerät alles aufzeichnet damit sie es sich nachher nochmal anhören konnte.
"Freundschaft hätte sich in Valos nie bilden können, schon gar nicht unter den Bedingungen. Liebe auch nicht."
Dabei musste er an Sara und Robin denken.
"Ihr habt uns alle getrennt oder? Alle?"
Nun war Elsa in einer unausweichlichen Lage.
Sie zögerte, schien mit sich zu ringen.
"Zu psychischen Zwecken, ja. Es musste sein."
Ovid fauchte verächtlich.
"Natürlich. Wir haben uns ja so geschadet. Du verwechselst da etwas Elsa!"
Sie sah ihn überrascht an.
"Ach ja? Was denn?", fragte sie neugierig und misstrauisch zugleich.
"Nicht wir haben uns geschadet, sondern das Team des Valos Projektes!"
Da begriff Ovid was er gerade gesagt hatte.
Denn es war eine überraschend offene Aussage für jemanden mit einer paranoiden Persönlichkeitsstörung.
Elsas nickte langsam.
"Was würdest du dem Professor sagen wenn du ihn nochmal sehen könntest?"
Ovid überlegte lange.
Eigentlich wollte er ihm gar nichts sagen, sondern ihn nur fühlen lassen, was er gefühlt hatte.
Aber Rache war ein grausames Gefühl.
"Ich würde ihm sagen, dass er daran Schuld ist vierzehn Menschen das Leben, oder was davon übrig war, geraubt zu haben."
Nur so wenig.
Aber manchmal reichte ein Satz.
Elsas nickte.
Sie gingen schweigend weiter, während der Wind immer heftiger an ihnen zerrte und die Wellen höher wurden.
Und gerade als Elsa sagte, dass es Zeit für den Heimweg wäre, weil ein Sturm aufziehe, sah Ovid etwas besonderes.
Wie gebannt starrte er auf den Horizont.
Dichte Wolken hatten sie bereits erreicht, doch die eigentlich Gewitterwolke hing noch über dem Meer.
Draußen tobte das Wasser schon und die Wolkenfront schien den ganzen Horizont zu verschlucken.
An einer Stelle rissen die Wolken auseinander und helle Sonnenstrahlen bahnten sich ihren Weg durch den aufkommenden Sturm.
Es war so dramatisch wie Ovid es nur aus Filmen kannte.
Die Strahlen beschienen das tobende Meer, erhellten die brüllenden hohen Wellen und den Regen, der auf das Wasser prasselte. Gischt, die hoch aufschoss, nur um dann wieder zurück in das tosende Meer zu stürzen.
Für einen Moment war der Sturm und das Toben des Meeres erleuchtet, dann verschlangen die Wolken das Licht wieder und der erste Donner rollte heran.
Die vier erreichten das Auto kurz bevor der Regen lospeitschte.
Wie eine apokalyptische Gewalt schlug und trommelte er auf das Auto und der Arzt startete hastig den Motor.
Ovid bemerkte mit leichten Vergnügen die Angst auf Elsas Gesicht.
Die Fahrt zur Psychiatrie war kurz, aber Elsa entließ ihn gleich in sein Zimmer.
Es war früher Nachmittag, doch der Sturm verdunkelte den Himmel.
Ovid kuschelte sich in seine Decken ein und starrte durch das Fenster nach draußen.
Er dachte an den Augenblick am Strand zurück.
Am Ende verschlangen Sturm und Dunkelheit immer das letzte Licht, die restliche Hoffnung.
Doch Angst hatte Ovid keine mehr.
Du hast Tod und Mord erlebt, Lüge und Verrat...was kann dir noch Angst machen? Du hast den Tod erlebt.
Er hatte quasi den Tod überlebt.
Eigentlich sollte er ein Buch schreiben, Texte veröffentlichen oder Interviews führen, stattdessen saß er in einer Psychiatrie und fürchtete die ganze Welt.
Misstraute ihr.
Er fuhr zusammen, als Elsa herein kam.
"Entschuldigung!", sagte sie rasch und hob die Hände.
Ovid nickte nur und versuchte sich aus seinen Gedanken zu reißen.
Elsa setzte sich vorsichtig auf einen Stuhl ihm gegenüber.
"Ich muss dir etwas erzählen. Nach unserem Gespräch heute Mittag kann es dir einfach nicht verschweigen."
Ovid sah sie mit neutralem Gesichtsausdruck an und wartete. Draußen zuckte ein Blitz, der Donner folgte gleich gleichauf.
"Alexander ist tot."
Eine uralte Liedzeile schoss Ovid durch den Kopf, ehe er an etwas anderes denken konnte.
"It's alright to die, 'cause it's the only thing you haven't tried."
Elsa wartete auf irgendeine Regung seinerseits.
"Hoffentlich ist er endgültig tot.
Ein für alle mal."
Elsa fiel die Kinnlade herunter.
Ovid ahnte, dass es für sie grausam klingen musste, aber er wusste, dass alle Valos Teilnehmer ihn verstehen würden.
Nie wieder sterben.
Nie wieder aufwachen.
Elsa sammelte sich kurz.
Dann erhob sie sich und ging zur Tür.
Tränen schwammen in ihren Augen und Ovid wusste nicht wieso.
"Okay.", sagte sie nur, dann ging sie.
Ich hasse dich Ralph K. Mögest du in allen Höllen schmoren und Alex in Frieden tot sein.
Er hatte keine besondere Bindung zu Alex gehabt, außer dass sie beide in der zweiten Runde Mörder waren.
Er kannte ihn nicht mal.
Dennoch wusste Ovid was er durchgemacht hatte, denn er hatte es auch erlebt.
Und plötzlich war Ovid scheiß egal wie hässlich Rache war.
"Sollte ich je die Chance auf Rache für dich bekommen, werde ich sie nutzen!", sagte er laut.
Der Donner brüllte wie zur Antwort laut und Ovid nahm es als Bestätigung.

Am nächsten Tag stellte ihm Elsa eine Frage, die sie jede Woche stellte.
"Wer bist du?"
Ovid schluckte.
"Ein Mörder, ein Verräter und ein dreimal Toter."
Elsa seufzte langsam.
Ovid hatte sich etwas vor gemacht. Er war kein guter Mensch, er würde es vielleicht nie sein.
Aber er war einer von vielen, also machte es keinen Unterschied.
"Würdest du wieder einen Menschen töten?"
Ovid atmete tief durch und erwiderte ihren Blick.
Lüg nicht!
"Ja."
Elsa sah ihn lange an und nickte dann.
Zeit für Erkenntnis.
Ovid seufzte. Er war vielleicht ein schlechter Mensch, aber er konnte immer noch das beste daraus machen.
Selbst wenn der Sturm das Licht stahl, konnte er selbst zur Finsternis werden.
Du brauchst keine Angst vor der Welt zu haben. Die Welt sollte Angst vor dir haben!
Vor ihm und den anderen zwölf.
Alex war tot.
Der Rest psychisch Gestörte.
Das konnten sie nicht auf sich sitzen lassen.
Der Sturm wird kommen!
"Ovid?"
Er hob den Kopf und lockerte seinen Körper aus der starren Haltung.
"Ja, Elsa. Ich würde töten. Wovor soll ich noch Angst haben?
Dem Tod?"
Und zum ersten Mal seit langer Zeit lachte er laut, lachte und Elsa wich verstört zurück.
Macht euch bereit ihr perfekten Menschen in eurer perfekten Welt.

Ovid lachte sie aus. Lachte die Welt aus.

I tried to be someone else
But nothing seemed to change
I know now, this is who I really am inside
Finally found myself
Fighting for a chance
I know now, this is who I really am
(The Kill)

Der Geruch von Regen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt