Runde 2, Tag 10

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Ovid wachte neben Alex auf. Die beiden Mörder hatten diese Nacht nicht im Keller verbracht, sondern in Alex' Zimmer wo sie dem ständigen Regen lauschen konnten. Ovid hatte Alex nur kurz erzählt was geschehen war, ehe sie eingeschlafen waren.
Sie hatten die beiden Toten im Wohnzimmer nebeneinander liegen lassen und waren einfach schlafen gegangen. Nun lag Ovid wieder wach da und versuchte nicht an den Abend zu denken.
Drei Menschen hatte er nun getötet. Vielleicht würden es sogar vier werden, wenn Alex Ari nicht eher tötete.
Es war eine grausige Vorstellung so viel schreckliches in 10 Tagen vollbracht zu haben...doch eigentlich waren es nur zehn Stunden. Das machte es nicht gerade besser.
Vorsichtig setzte er sich auf und da öffnete auch Alex die Augen.
Schwach lächelte der junge Mann ihn an und Ovid erwiderte dieses Lächeln, auch wenn er nicht wusste, warum er lächelte. Auch Alex setzte sich nun auf, die Hand immer noch an den Körper gepresst.
"Ist es nicht besser geworden?" Alex seufzte.
"Nein, aber zum Glück ist heute der letzte Tag." Ovid schluckte.
Nur wenn alles klappte.
"Ja...hoffentlich."
Die beiden erhoben sich, zogen schweigend ihre Schuhe an und steckten ihre Messer ein. Gemeinsam traten sie auf den Gang und liefen hinab ins Wohnzimmer. Ohne einen Blick auf die Toten zu werfen, setzten sie sich vor den Kamin und Ovid machte sich daran ein Feuer zu entfachen. Es war kalt im Haus geworden und der Regen wollte kein Ende nehmen.
Wie Tränen liefen die Tropfen an der Fensterscheibe hinab und der Schein des Feuers spiegelte sich in ihnen. Im Badezimmer hatte sich noch nichts geregt und Alex überlegte langsam ob Ari nicht schon tot war. Als er Ovid diese Frage stellte verneinte der Lockenkopf. "Sonst würden wir ja schon aufwachen." Und Alex hörte die Sehnsucht in Ovids Stimme.
Jetzt wo Paul tot war, hätten sie Ari auch einfach töten können, ohne ihn noch ewig mit dem Horrorfeeling und zwei Mördern alleine zulassen. Doch keiner von beiden regte sich. Schweigend saßen wie vor dem Feuer, wie Helene und Ari gestern noch. Keiner von beiden wollte aufstehen und das letzte Blut vergießen. Die Zeit in Valos war schrecklich, doch beide wussten, es musste ein letztes Mal grausam werden bevor sie endlich aufwachen konnten. Doch besser werden...das könnte es nie.
"Alex?", fragte Ovid. Der junge Mann drehte ihm den Kopf zu.
"Wo wärst du jetzt wenn du nicht zu diesem Projekt gekommen wärst?" Alex dachte kurz nach.
"Wahrscheinlich würde ich in irgendeinem warmen Café sitzen und Todesanzeigen für die OZD schreiben." Die OZD war die Online-Zeitung-Deutschland, der Nachfolger von Papierzeitungen.
"Das war dein Job?", fragte Ovid unsicher. "Mit 21 Jahren hast du Todesanzeigen geschrieben?"
Alex zuckte mit den Schultern und lehnte seinen Kopf an den Sessel. "Es wird dir kaum ein anderer Job geboten, wenn du zwei Jahre im Knast warst."
Ovid starrte ihn an, nun noch verwirrter.
"Du warst...wieso?" Alex schloss die Augen und biss sich kurz auf die Lippe, als eine heftige Schmerzwelle durch seinen Arm fuhr.
"Wegen gar nichts. Sie haben mich mit meinem Bruder verwechselt. Als sie es dann auch mal kapiert haben hatte ich schon zwei Jahre gesessen. Danach wird dir kaum ein Job geboten, egal ob unschuldig oder nicht." Ovid runzelte die Stirn.
"Es kann heute noch zu Verwechslungen kommen? Bei all der Technik?" Alex nickte grimmig.
"Das ist ja gerade das Problem. Die Menschen verlassen sich viel zu sehr auf Technik und merken es dann gar nicht mehr, wenn die mal einen Fehler macht."
Ovid sah bedrückt aus. "Mies."
Alex nickte nur.
"Da hab ich natürlich nicht gezögert, als ich das Angebot bekam. Mehr hatte ich ja nicht mehr." Ovid nickte verständnisvoll.
"Und...darf ich fragen was dein Bruder angestellt hat?"
Alex verzog leicht das Gesicht, ob vor Schmerz wusste Ovid nicht.
"Raub. Merhmals.", sagte er bloß und der Lockenkopf fragte auch nicht weiter nach.
Wieder schwiegen sie. Eine lange Zeit, so lange, dass es schon Mittag sein konnte. Doch die Welt draußen war nur dunkel, nass und kalt.
Das Feuer innen war ihre Licht und Wärmequelle in einer Welt, die nicht existierte und doch so erschreckend und betäubend war.
Ovid schloss die Augen und zog die Knie an. Er musste an all die lebenden Menschen in der realen Welt denken.
Sie hatten es nie erlebt zu sterben, nie, und sie würden es nur einmal erleben. Ovid würde es zwei-, vielleicht dreimal erleben...und nicht auf natürlichem Wege. Das war das Schrecklichste daran; ermordet zu werden. Erstochen und aufgeschlitzt. Nur Ertrinken oder Ersticken stellte Ovid sich schlimmer vor. Wie kam man überhaupt auf solche Ideen? Die Menschheit hatte sich selbst zerfressen, sich in den Abgrund gerissen und nahm während dem Fallen alles mit was es zu packen kam, ihn zum Beispiel und alle anderen Teilnehmer.
Ovid räusperte sich laut und riss damit auch Alex aus seinen Gedanken.
"Wir zögern zu lange. Ich...gehe." Alex wusste genau was Ovid meinte. Ari.
Er nickte dankbar und der dunkelhäutige Mann erhob sich und griff nach seinem Messer. Langsam stieg er die Stufen hinauf und lauschte schließlich vorsichtig an der Tür zum Badezimmer. Kein Geräusch. Vorsichtig stellte Ovid den Stuhl bei Seite und öffnete die Tür. Er umklammerte sein Messer als er eintrat. Vor ihm lag die Schnur auf dem Boden, welche Aris Hände gefesselt hatten. Nur fehlte der Körper des jungen Mannes.
Ovid begriff zu spät, dass es eine Falle war.
Plötzlich legte sich von hinten ein Band um seinen Hals, welches sehr schnell sehr eng wurde. Ovid keuchte, ließ das Messer fallen und griff sich an den Hals.
Aris Gürtel! Der junge Mann sackte auf die Knie, versuchte den Gürtel zu lösen und nach Luft zu schnappen, doch er konnte nicht. Er riss sich mit den Nägeln die Haut an seinem Hals auf, versuchte zu schreien. Er erstickte, bekam keine Luft!
Was für eine Ironie.
Die Panik hatte von ihm Besitz ergriffen und schwarze Funken traten in sein Sichtfeld. Ovid hörte seltsame, erstickte Geräusche, die seinem Hals entwichen, da sackte er auch schon vorn über. Er griff noch nach seinem Messer, doch er sah nichts mehr und fand es nicht.
Dann hörte er Aris Stimme, die sich bei ihm entschuldigte und keinen Moment später war er tot.

Der Geruch von Regen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt