Tim

37 7 9
                                    

Name: Tim Radinger
Alter: 21
Eingewiesen wegen:
Selbstverletzendes Verhalten (SSV)

Es war eine peinliche Stille, die am Tisch herrschte.
Sie waren zu viert im Raum, ein Arzt, ein Sicherheitsmann, Tim und seine Schwester.
Er sah sie aus scharfen Augen an, beobachtete jede Bewegung.
Sie fühlte sich eindeutig unwohl und schien sich zu wünschen nie hergekommen zu sein.
Aber nun war sie hier, saß ihrem gestörten Bruder in einem Psychatriezimmer gegenüber und regte sich unwohl.
"Und?", fragte sie leise, doch in der Stille des Raumes wirkten ihre Worte unnatürlich laut.
"Schwimmst du immer noch?"
Tim nickte knapp und ließ sie nicht aus den Augen.
"Mehr als je zuvor."
Es war seine Art von Therapie geworden.
Wenn er sich im Wasser befand, hatte er etwas zu tun, dass nicht Selbstverletzung war.
Das Schwimmbad der Psychiatrie war winzig, aber Tim war froh, dass es überhaupt eines gab.
Er ging täglich schwimmen, mindestens drei Stunden.
"Schwimmst du noch?", fragte er genauso leise zurück.
Sie schluckte und zuckte mit den Schultern.
"Es geht so. Vier bis fünfmal im Monat vielleicht."
Tim war überrascht, aber er verbarg es. Sie hätte bei den Meisterschaften mitmachen können, sie gehörte zu den besten. Und nun hatte sie aufgehört?
"Was ist passiert?"
Sie schüttelte rasch den Kopf und sah weg.
"Ich hab mich mit unseren Eltern gestritten. Nur ein kleiner Konflikt."
Dass sie log konnten alle im Raum bestätigten, trotzdem sprach es keiner aus.
Tim nickte nur.
Zur nächsten Frage musste er sich sehr überwinden.
"Wie geht es ihnen?"
Seine Schwester lächelte matt.
"Gut. Sie haben sich eine Wohnung am Stadtrand von Düsseldorf gemietet und haben jetzt zwei Katzen."
Die sollen die Kinder ersetzen.
Tim war betrübt. Waren er und seine Schwester ihnen so unwichtig geworden? Die eigenen Kinder?
"Tim, es tut mir so Leid!"
Sie war aufgesprungen und ihm nahe gekommen, doch Tim verweigerte die Umarmung und drückte sie weg.
Tränen schwammen in ihren Augen und sie starrte einen Moment auf seinen Arm, welcher sie auf Abstand hielt.
Zwei Bisswunden und kleine Schnitte an der Innenseite des Armes. Die Bisse waren blaugrünlich geworden und sahen wirklich hässlich aus.
Sie nickte nur und setzte sich wieder.
Sie hat begriffen. Sie hat es jetzt erst begriffen.
Was für Schande sie ihm angetan hatte.
Jahrelange Hänseleien, er geprügelt von den Eltern weil er schlechter war, beschimpft, verstoßen.
Hanna atmete tief durch und tupfte ihre Tränen ab.
Eine Weile herrschte Stille.
Dann begann Hanna wieder zu reden.
"Ich...ich hab ein paar Videoaufnahmen gesehen.", sagte sie leise.
Tim schwieg.
"Dieses Mädchen...Malin...sie ist sehr hübsch."
Tims Atem beschleunigte sich.
Malin und seine Schwester...sie gehörten nicht zusammen. Wie konnte sie von ihr reden?!
"Ja.", sagte er nur und hasste sich dafür.
"Hast du sie gemocht?"
Tim verschränkte die kräftigen Arme.
"Mehr als dich an manchen Tagen."
Hanna sah ihn überrascht und verletzt an. Dann nickte sie nur und senkte den Kopf wieder.
Sie hatte es verdient einzustecken und das wusste sie.
"Ich glaube sie mochte dich."
Tim nickte nur.
Er wollte nicht mit Hanna über seine Gefühle reden.
"Ich habe sie umgebracht."
Wieder ein Satz der seine Schwester aus der Fassung brachte.
Was war sie für ein zerbrechliches Mädchen geworden?
Tim beugte sich vor und zwang Hanna in seine Augen zu sehen.
"Valos. Musste ich wirklich erst alles verlieren um wieder von meiner eigenen Familie beachtet zu werden? Wo wart ihr? Wo waren meine Eltern als ich in Not war, wo war meine Schwester, als ich umgebracht wurde?!"
Hanna begann leise zu weinen und der Arzt und der Sicherheitsmann tauschten Blicke.
"Habt ihr mich je geliebt?"
Er lehnte sich wieder zurück und sah seiner Schwester beim weinen zu.
Nach einer Weile stand er auf und wandte sich an den Arzt.
"Ich möchte gehen."
Hanna sprang hinter ihm auf.
"Tim, bitte-"
Tim fuhr herum und der Sicherheitsmann griff sich an den Gürtel.
"Nein! Wo warst du? Warum musste ich alles, alles verlieren um von euch beachtet zu werden? Bei Liebe fangen wir nicht an. Zeit für Reue Hanna."
Er fuhr herum und folgte dem Arzt aus dem Zimmer.
Sein Ziel war das Schwimmbad.
Keine paar Minuten später schloss das Wasser ihn ein, raubte alle Geräusche und nahm ihn in seine eigene Welt.
Es war angenehm kühl, aber nicht so kalt wie das virtuelle Meer in Valos.
Und außerdem taumelte er nicht dauernd zwischen Realität und Virtualität herum.
In den ersten fünf Monaten hatte er sich damit besonders schwer getan. Die Psychiater hatten ganze Arbeit geleistet um ihm zu versichern, dass er in der Realität und in Sicherheit war.
Tim wusste es besser; es gab keinen Ort mehr, wo er in Sicherheit war.
Die reale Welt unterschied sich gar nicht so sehr zu Valos wie er anfangs gedacht hatte.
Sie war genauso grausam.
Und noch grausamer war es, wenn man niemanden mehr hatte.
Hanna wollte für ihn da sein, doch sie konnte nur wenig aus der Vergangenheit wett machen. Seine Eltern wollte er nicht mehr und sie ihn auch nicht.
Die Gefährten aus Valos hatte er verloren.
Besonders bedauerte er den Verlust von Malin, Luis und Yannik. In der ersten Runde hatte er sich gut mit ihnen verstanden und in der dritten war Luis in seinem Team.
Er wünschte sich mit irgendeinem von ihnen zu reden und wenn es Maxi wäre.

Der Geruch von Regen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt