Runde 1, Tag 6

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Der Tag fing mit einem riesen Gewitter an. Es krachte ohrenbetäubenden, die Blitze zuckten hell und der Regen war einer Sintflut ähnlich.
Alle befanden sich im Haus. Sie waren nur noch zu acht. Acht von ehemaligen vierzehn.
Und noch vier Tage.
Sie waren alle im Gemeinschaftsraum, sahen in die Flammen und lauschten dem Gewitter.
"Es ist zu laut.", beschwerte Tim sich. Robin nickte. "Das könnten sie echt noch ändern. Die Lautstärke." Der nächste Donnerschlag folgte, laut und grollend, aber nicht mehr ohrenbetäubenden. "Na, danke."
Die Spielmacher schienen sie gehört zu haben, kein Wunder denn deren Augen und Ohren waren überall.
Felix wippte mit seinem Bein auf und ab. Er schien den vollen Raum nicht leiden zu können.
Er war nicht der einzige, Ovid zeigte ebenfalls eine gewisse Anspannung.
"Sie hetzten uns gegeinander auf.", behauptete Yannik plötzlich.
"Sie wissen, dass wir nicht vorhaben das Haus zu verlassen und alle auf einem Haufen werden nervös und angespannt, weil jeder Opfer und Mörder ist."
Sara sah ihn lange an. "Du meinst sie erwarten Massenmorden?"
Yannik zuckte mit den Schultern. "Und wenn wir einen Tag niemanden töten? Einfach um den Spielmachern zu zeigen, dass es auch ohne geht?"
Malin nickte sofort. "Ich bin dabei." Nach einander stimmten auch die anderen zu.
Eine Weile schwiegen sie wieder, lauschten dem Feuer- und dem Regenprasseln und den Donnerschlägen.
Dann drehte Felix sich plötzlich zu Maxi. "Woher kommt diese schreckliche Narbe auf deiner Brust?" Sofort richteten sich alle Blicke auf Maxi. Die Anspannung stieg rasant.
Der Gefragte hatte die Hände zu Fäusten geballt, seine braunen Augen sahen nicht sehr glücklich drein.
"So sieht es aus wenn jemand versucht hat, dir das Herz herauszuschneiden." Und ruckartig stand er auf und verließ den Raum. "Bitte was?!", flüsterte Malin entsetzt.
Sara stand auf und folgte Maxi. Sie fand ihn draußen. Er stand vor dem Eingang im Regen, die Fäuste immer noch geballt. Der Regen hatte ihn innerhalb dieser kurzen Zeit schon durchnässt.
Sara seufzte leise. Sie schloss ihre Stoffjacke, zog sich die Kapuze über die braunen Haare und trat zu ihm. Der Boden war verschlammt, überall waren Pfützen.
Vorsichtig trat sie neben ihn. Wütende Raubkatzen konnten beißen.
"Maxi...du musst es niemandem erzählen. Wir erzählen ja auch nichts über uns. Komm bitte wieder mit rein. Es ist so kalt im Regen." Maxi bewegte sich nicht.
"Magst du den Regen nicht?", fragte er leise.
Sara schniefte. "Ein bisschen. Ich mag es bevor oder vorallem nachdem es geregnet hat. Der Geruch ist das schönste daran, nicht wahr?" Er zuckte mit den Schultern.
Sie nahm seinen Ärmel und zog leicht daran. Zu ihrer Überraschung drehte er sich um und ging mit ihr ins Haus zurück. Sie ließen ihren Schuhe drinnen vor der Eingangstür stehen, sie waren klatschnass.
Lautlos gingen sie an dem Gemeinschaftsraum vorbei, jeder in das Badezimmer seines Geschlechts.
Sara hängte ihre Jacke über die Heizung. Ihr Hemd war halbwegs trocken. Rasch flitzte sie in ihr Zimmer. Ihre Hose war ebenfalls nass, aber sie hatte nur diese eine. Allerdings stand ein Schrank im Zimmer. Vorsichtig öffnete sie die Schränktür. Er war leer. Bis auf einen einzigen Kleiderbügel. Daran hingen eine graue Stoffjacke und eine Jogginghose. Erleichtert befreite Sara sich aus ihrer nassen Hose und zog die andere an.
Kurz darauf ging sie wieder in den Gemeinschaftsraum. Zitternd setzte sie sich in einen Sessel nahe dem Feuer. Da erst bemerkte sie, dass es still war. Ziemlich still.
Alle sahen sie an. Maxi war nicht hier. Wahrscheinlich in seinem Zimmer.
"Und?", fragte Malin.
Sara biss sich kurz auf die Lippe. "Naja, ich denke das ist kein gutes Gesprächsthema. Also lasst es lieber." Und damit zog sie die Knie an und sah in die Flammen.
Nur langsam kamen die leisen Gespräche wieder in Gange.
Sie sprachen über nichts interessantes, ihre Themen wechselten schnell vom Wetter, zum Spiel, zur Technik und anschließend machten sie sich darüber Gedanken was wohl die anderen, die Toten, gerade machten.
Sie beobachten uns.
Bei dem Gedanken daran schauderte Sara.
Wer hier weinte, weinte vor etwa hundert Menschen. Vor den Spielemachern und den Mitspielern. Wer hier etwas falsches tat, wurde von vielen Augen beobachtet.
Hier gab es keine Geheimnisse, außer jenen die man tief in sich verschloss.
Die beste Miene für dieses grausame Spiel war...ein Pokerface.
Sara wünschte zum ersten Mal seit langem wieder Zuhause zu sein. Aber hatte sie ein Zuhause? Auf dem Friedhof bei ihren Eltern? In Schweden bei ihrem Ex? Oder doch ihre leere, graue Wohnung irgendwo in einer lauten Großstadt Deutschlands? Darüber sollte sie sich keine Gedanken machen. Nicht Jetzt.  Kein Zuhause. Sie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Raum zu.
Sara sah kurz zu Felix hinüber. Er beteiligte sich nicht an den Gesprächen, seine braunen Augen waren auf die Flammen gerichtet. Er war so ruhig...aber wer wusste schon was in ihm vorging.
Er wollte gewinnen. Sara konnte die verbissene Miene sehen, die krampfhaft versuchte alle Emotionen zu unterdrücken.
Er sieht aus, als hätte er viel und oft verloren. Vielleicht versucht er deshalb zu gewinnen.
Sara stand auf. "Ich leg mich hin."
Die anderen sahen überrascht zu ihr hinüber.
"Es ist gerade mal Mittag.", bemerkte Yannik. "Geht es dir nicht gut?", fragte Malin und runzelte die Stirn.
"Nein...ich ruhe mich einfach nur ein bisschen aus okay?" Sie trat an die Tür. "Bis heute Nachmittag." Sie spürte die Blick die ihr folgten, als sie auf den Gang trat.
Als sie in ihr Zimmer ging, sah sie Maxi draußen auf der überdachten Veranda sitzen.
Er hatte sich in eine Decke gewickelt, vielleicht war es dieselbe die Luis auch hatte, und schaute dem Gewitter zu.
Sara verkroch sich unter der Bettdecke.
Es kam ihr ein bisschen wie der einzig sichere Ort in Valos vor.
Aber die Wahrheit war härter, denn es gab hier keinen sicheren Platz.

Der Geruch von Regen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt