"Zuerst die Schwachen.", sagte Paul und sah über den Tisch zu Ovid und Alex. Ovid saß mit verschränkten Armen da. "Wer sind denn deiner Meinung nach die Schwachen?" Paul beugte sich vor. "Helene, Luis, Sara, du weißt schon." Alex runzelte die Stirn. "Warum nicht die, die uns gefährlich werden könnten?" Paul zuckte mit den Schultern.
"Damit die Gruppe begreift das auch Maxi, Robin, Felix und Tim nichts gegen uns tun können. Diesmal sind sie die hilflosen Schäfchen." Ovid senkte den Blick. "Wieso bist du so grausam?" Der blonde Mann lachte leise. "Warum nicht?" Alex schwieg, hielt den Blick aber auf Paul gerichtet.
"Und nun? Es ist schon der zweite Tag." Sein Gegenüber seufzte. "Wenn ihr nicht anfangen wollt, gehe ich halt hin." Ovid sah besorgt auf.
"Heute?" "Wann sonst?" Darauf hatten seine beiden Mitmörder keine Antwort und so sahen sie ihm nur stumm hinterher.
Paul erhob sich und verließ den Raum. Er ging in den zweiten, winzigen Stock der Hütte. Hier war ihr Schlafplatz und der Lagerraum ihrer Gegenstände. Dort nahm er seine Klinge und schob sie in die lederne Scheide mit Gürtel, den er im Rucksack gefunden hatte. Er wechselte seine Bergschuhe gegen Turnschuhe, diese waren auf Holzboden leiser. Über sein graues Shirt zog er eine schwarze Jacke. Außerdem band er sich eines der Totenkopftücher vor den Mund um sich gegen den Bergwind zu schützen und setzte anschließend die Kapuze auf. Zur Sicherheit legte er sich noch eines der langen Lederbänder um die Schulter. Er vermutete das diese die Funktion einer Peitsche und gleichzeitig eines Stricks hatte.
Als er sich umdrehte lehnte Ovid in der Tür. Die tiefbraunen Augen verrieten keinerlei Emotionen. "Viel Glück.", sagte der Lockenkopf leise, als Paul an ihm vorbeiging und keiner von beiden wusste, ob das Glück dem Mörder oder den Opfern galt. Paul nickte nur kurz, dann verließ er das Haus und machte sich auf den Weg zur Kletterwand. Paul spürte Alex und Ovids Blicke im Rücken. Wenn er erst den Anfang machte, würden ihm die anderen schon bald folgen.Ari lag auf der Couch, auf dem Sessel daneben saß Samuel. "Glaubst du sie haben die Wahrheit gesagt, als sie meinten, sie würden uns nie wieder gehen lassen?", fragte Samuel. Er klang besorgt und spielte nervös mit der Figur eines Schäfchens, die er auf der Fensterbank gefunden hatte. Ari verschränkte die Arme hinter dem Kopf und sah zur Decke. "Ich weiß es echt nicht. Vielleicht wollten sie uns nur einschüchtern. Oder sie tun nur so, damit wir besser spielen." Samuel schüttelte den Kopf.
"Das wäre unlogisch. Aber..." Er schwieg und Ari drehte ihm den Kopf zu und blickte ihn erwartungsvoll an. Samuel wirkte ein wenig peinlich berührt. "Stimmt es was Sara gesagt hat? Das wir niemanden mehr haben?" Ari sah wieder zur Decke. Er kaute leicht auf seiner Lippe. "Bei mir schon."
Samuel sah ihn neugierig an und Ari gab seufzend nach. "Wahrheit ist auf dieser Welt ein Fremdwort. Mein Großvater hat bei der CIA gearbeitet und ist später ausgestiegen. Er wollte ein paar der Geheimnisse um die CIA veröffentlichen, er war nicht einverstanden mit ihren Methoden. Sie haben ihn geschnappt und getötet. Allerdings gelang es meinem Großvater die Akten meinem Vater zu geben. Jetzt ist der auch tot. Und die CIA hatte so sehr Angst, dass etwas davon ans Licht kommen könnte, dass sie meine ganze Familie verjagt oder getötet haben. Meine Tante und ich konnten nach Deutschland fliehen, allerdings ist sie an einem Tumor gestorben. Die CIA ist nicht mehr das, was sie einmal war oder sein sollte."
Samuel nickte. "Klingt wie die Geschichte von Snowden." Ari schnaubte. "Snowden hat die Menschheit beschützen wollen, aber sie hat ihn umgebracht. Seine Geschichte ist vergessen, weil die Geheimdienste es so wollten." Samuel schwieg betroffen. Ari hatte so sehr Recht, dass es beinahe schon schmerzhaft war. "Und du?"
Der junge Mann schüttelte rasch den Kopf. "Ich...hab eine ziemlich einfache Lebensgeschichte im Gegensatz zu dir." Ari setzte sich auf und beugte sich vor. Samuel sah krampfhaft auf das Schäfchen. "Meine Mutter war Alkoholikerin und mein Vater starb bei einem illegalen Autorennen. Das Jugendamt hat mich mitgenommen, aber ich wollte lieber in ein Waisenhaus als zu einer Pflegefamilie. Das haben die Leute nicht verstanden und mich trotzdem nem Ehepaar überlassen. Ich bin abgehauen und zu nem Kumpel gezogen. Der war allerdings auch in paar illegale Dinge verwickelt und ein Jahr vor der Einladung zu diesem Projekt ist er verschwunden. Kam nicht mehr und es hat auch keiner mehr nach ihm gesucht. Ich hab alleine weitergelebt." Ari sah verwirrt aus."Und...die Miete? Geld zum Überleben? Wie konntest du dich um sein Erbe kümmern ohne erwischt zu werden? Wovon hast du überlebt?" Samuel zuckte mit den Schultern. "Von seinen Wettgewinnen. Ist ne Menge Geld. Mit seinem Erbe hat mir ein Kumpel von dem Kumpel geholfen." Ari zog beide Augenbrauen hoch.
"Krass. Du warst also ein richtiger Streetboy ohne Hilfe in irgendner Großstadt?" Jetzt musste Samuel doch lächeln. "Es ist nicht sehr einfach...aber möglich." Ari grinste. "Und wie war dein Gangstername?" Samuel schmunzelte. "Sie nannten mich Ghost." Unsichtbar, namenlos und schweigsam. Sie nannten mich Ghost, weil ich in Daniels Leben kam und er verschwand.
Plötzlich wurde Ari wieder ernst.
"Welcher Sektor?"
"Epsilon. Und du wahrscheinlich Delta?"
Ari lächelte unglücklich. "Eine Zeitlang. Ich kam zu Valos, als ich noch in Delta lebte. Hiernach...wer weiß, wohin mit uns."
Sie hatten nie zuvor über die Sektoren gesprochen, aus denen sie kamen. Wahrscheinlich, weil sie sich alle schämten im Omega oder Epsilon Bereich zu leben - den schwärzesten Löchern der Großstädte. Alpha und Beta waren hierbei die oberste Liga, darauf folgte Gamma als Bürgersektor, Delta als Neutralzone für alle Kranken, Vebrecher, Waisen und sonstige Hilfsbedürftige aus allen Sektoren. Und am untersten Ende der Nahrungskette die Ghettos und Slums Epsilon und Omega.
Das System diente einer geordneten Gliederung des weltweiten Systems, doch in Wahrheit sortierte es nur die Schwachen und Bösartigen aus.

DU LIEST GERADE
Der Geruch von Regen
Fiksi Ilmiah"Valos" oder auch "Virtuell Avatar 01" genannt, ist ein neues Projekt, dass ein großer Schritt für die moderne Technologie werden soll. Doch bevor es auf den Markt kommt, wird es von 14 Testpersonen geprüft. Allerdings wird es für die kleine Gruppe...